Promovieren in Osteuropa

Vom Reiz des Fremdgehens

von Hermann HorstkotteLesedauer: 4 Minuten
Juristische Doktoranden erfahren an Unis in Nachbarländern oft mehr Wertschätzung als hierzulande. Egal, ob national oder international – der Dr. gilt gleichermaßen im ganzen "europäischen Hochschulraum". Qualitätsstandards sind dabei nachrangig, meint Hermann Horstkotte.

Der Bürgermeister von Haigerloch auf der Schwäbischen Alb, Heinrich Götz, wird seines Doktortitels nicht recht froh. Er hat 2008 an der Mateja Bela Universität in der Slowakei mit einer 156 Seiten starken Arbeit über die Rechtsform der deutschen GmbH & Co. KG den juristischen P(hilosophiae)D(octor) /PhD gemacht. Unstrittig darf dieser Grad– wie auch viele andere - zum Dr. "eingedeutscht" werden; nach einem zwischenstaatlichen Äquivalenzabkommen bleibt hierzulande nur der Zusatz "jur." versagt. Gleichwohl runzeln viele Professoren die Stirn über das Fremdgehen deutscher Doktoranden in Osteuropa. So empört sich etwa die Fachzeitschrift "Kritische Justiz"  in einer der nächsten Ausgaben über das "Promovieren auf Transsilvanisch", also auf  buchstäblich "hinterwäldlerischem" Wege. Götz´ Dissertation zum Beispiel sei "keine eigenständige wissenschaftliche Leistung", sondern referiere Handbuchwissen. Die Promotion sei ein "Fall der akademischen Entwicklungshilfe von Ost nach West, der wohl eher nicht als Einzelfall gelten" könne. "So war die europäische Harmonisierung der akademischen Abschlüsse sicherlich nicht gemeint." Das schreibt  Michael Thorwart, von Haus aus Physikprofessor und Haigerlocher; immerhin aber geben ihm namhafte Rechtsprofessoren wie Andreas Fischer-Lescano und Günter Frankenberg als Herausgeber der "Kritischen Justiz" fachliche  Rückendeckung.

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Wie viel hat der europäische Hochschulraum gemeinsam?

Offiziell leben und forschen wir zwar in einem "gemeinsamen europäischen Hochschulraum" – aber anscheinend doch mit irritierenden Standardabweichungen gen Osten. Während fragwürdige Doktorabreiten an deutschen Universitäten wie etwa im Falle Gutenberg hierzulande als Täuschungsversuch gegenüber arglosen Prüfern verstanden werden, geraten osteuropäische  Hochschulen oft in den Verdacht eines unlauteren Zusammenspiels mit ihren "Kunden" bis hin zum Titelkauf. Selbstkritische Stimmen vor Ort können dann Vorurteile nur noch nähren. So hat eine gewinnnorientierte Beratungsagentur mit Professoren der Uni Dresden jahrelang gut fünfzig Promotionsbewerber verschiedener Fächer  zu einem auch bei uns voll anerkannten "Dr." aus Osteuropa geführt – aber aus bloßer Sorge um Imageschäden für die Heimathochschule in Sachsen diesen Betrieb 2010 eingestellt. Demgegenüber gibt Dr. Götz an, ohne Vermittler ganz einfach im Rahmen seiner Anwaltstätigkeit auf den späteren Doktorvater Mojimir Mamojka gestoßen zu sein. Der, im Nebenamt zugleich ein prominenter slowakischer Politiker, habe ihn auf den "externen Promotionsstudiengang an seiner Universität" aufmerksam gemacht. Götz nahm das juristische  Fernstudium als Mittvierziger auf und büffelte dafür drei Jahre. Während dieser Zeit waren auch schon mehrere Teilprüfungen vorgeschrieben.

Promotion neben dem Beruf - im Ausland viel einfacher

Mit dem anspruchsvolleren  Promotionsstudium und dem Umfang wie Niveau der Dissertation unterscheidet sich der PhD /Dr. grundsätzlich von einem weniger anspruchsvollen slowakischen "Berufsdoktorat". Das darf in Deutschland lediglich unter dem Originaltitel JUDr geführt werden – nur in Berlin und Bayern ist auch eine Eindeutschung zum Dr. zulässig, so zum Beispiel für den CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer oder den SPD-Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Brunner. Gerade Berufstätige, die im Sinne des sprichwörtlichen lebenslangen Lernens noch nebenbei den Doktor machen wollen, tun das gern im Ausland. Denn wenn auch nicht die schwierige Phase der Promotion an sich, können sie dort doch jedenfalls so manche Hindernisse umgehen, die ihnen in Deutschland im Wege stehen. Wer etwa kein vollbefriedigendes juristisches Staatsexamen  hat, braucht hierzulande eine Ausnahmegenehmigung von der Fakultät, um überhaupt als Doktorand zugelassen zu werden. Fachhochschul-Absolventen wie zum Beispiel Wirtschaftsjuristen können nur dann den Doktor machen, wenn sich ein Uni-Professor als Betreuer für eine "kooperative" Promotion mit einem FH-Kollegen findet. Solche Umstände gibt es etwa in der Slowakei oder Tschechien nicht. Davon abgesehen haben vielbeschäftigte deutsche Rechtsprofessoren erfahrungsgemäß kaum ein offenes Ohr und Zeit für Bewerber, die als "Spätberufene" aus sozialem Geltungsdrang noch nebenberuflich einen Doktorhut erwerben wollen. Eine Kölner Doktormutter schrieb bis 2009 sogar auf ihrer Webseite: "Ich erwarte von meinen Doktoranden die Bereitschaft zur Übernahme von Klausurkorrekturen oder zur Betreuung einer Arbeitsgemeinschaft." Berufstätige wie etwa den Anwalt und Politiker Götz kann so etwas natürlich nur abschrecken.

Autor ist, wer ... seinen fremdsprachigen Text nicht versteht?

Bei allem Reiz einer internationalen Promotion leidet  Götz´ Autorenschaft aber doch unter einem sprachlichen Handicap: Die Prüfer konnten kein Deutsch, er selber umgekehrt kein Slowakisch. Deshalb ließ er die Prüfungsschrift von einer Uni-Mitarbeiterin in die Landessprache übersetzen. Götz zahlte dafür, so seine Auskunft gegenüber LTO, einen überschaubaren Geldbetrag. Damit ist urheberrechtlich alles in Ordnung. Tatsächlich  sagen die deutschlandweit verbindlichen Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft  (DFG) zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis: "Autor ist, wer einen wesentlichen Beitrag zu einer wissenschaftlichen Veröffentlichung geleistet hat." Ob dazu auch die vollständige Übersetzung eines Textes zählt, bleibt so weit offen. In den "Erläuterungen" der DFG heißt es allerdings weiter, dass der Autor "die Gewähr für den Inhalt der Veröffentlichung übernimmt".  Was aber, wenn ein Autor wie Götz "seinen" fremdsprachigen Text überhaupt nicht versteht? Betont  er doch selber, allein  die slowakische Fassung der Dissertation sei "Grundlage meines Titels, nicht vorher entstandene deutsche Versionen." Da aber für die promovierende Uni im Partnerland alles in Ordnung ist, muss es das auch hierzulande so sein – der "gemeinsame europäische Hochschulraum" fordert Respekt. 

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