Foto: Justiz NRW.
Warum Frauen in Prüfungskommissionen fehlen
Frauen haben im Staatsexamen schlechtere Noten als Männer. Eine im Jahr 2018 veröffentlichte Studie ergab, dass Frauen im Schnitt um 0,3 Notenpunkte schlechter abschneiden. Die Untersuchung zeigte zudem, dass Frauen bei gleicher schriftlicher Leistung eine geringere Chance haben, bestimmte Notenschwellen in der mündlichen Prüfung zu erreichen, wenn sie von einer rein männlich besetzten Kommission geprüft werden. Sobald eine Frau Teil der Kommission ist, verschwindet dieser Effekt.
Der Ruf nach mehr Frauen in den Prüfungskommissionen hat also nicht nur gesellschaftspolitische, sondern auch leistungsbezogene Gründe. Obwohl seit 2004 mehr Frauen als Männer Jura studieren und das erste und zweite Staatsexamen absolvieren, sitzen in den Prüfungskommissionen der mündlichen Examensprüfungen überwiegend Männer. Wie lässt sich das angesichts der hohen Zahl qualifizierter Juristinnen erklären und was tun die Justizprüfungsämter, um dieses Ungleichgewicht zu beheben?
Aktuelle Zahlen: Überwiegend Männer auf der Prüfungsbank
Im Jahr 2022 hat der Deutsche Juristinnenbund (djb) im Rahmen einer Studie bei allen Prüfungsämtern nach dem Geschlechterverhältnis im sogenannten Prüfer:innen-Pool gefragt – also unter denjenigen, die grundsätzlich für die mündlichen Examensprüfungen zur Verfügung stehen. Dabei konnte man nur einen geringen Anteil an Prüferinnen feststellen. In Sachsen-Anhalt verzeichnete man an einen Frauenanteil von ca. 30 Prozent, in Baden-Württemberg sowie im Saarland waren es bloß 20 Prozent. Viele Prüfungsämter hielten sich jedoch vage und berichteten abstrakt von einer "überwiegenden Anzahl an Prüfern".
LTO hat bei mehreren Justizprüfungsämtern nach den aktuellen Zahlen gefragt – nicht alle haben sich zurückgemeldet. Das niedersächsische Prüfungsamt bleibt vage und verweist lediglich darauf, dass mehr Männer als Frauen prüfen. In Rheinland-Pfalz liege keine Geschlechterstatistik vor. Die erhaltenen Antworten zeichnen ein eindeutiges Bild: Es gibt noch immer mehr Prüfer als Prüferinnen. Das baden-württembergische Justizprüfungsamt verzeichnet 28 Prozent Prüferinnen und damit rund 8 Prozentpunkte mehr als 2022. Auch das Saarland konnte sich auf 27 Prozent leicht verbessern. Etwas besser schneiden Bayern, Bremen, Hamburg, Sachsen und Thüringen ab, dort liegt der Prüferinnenanteil im ersten Examen bei etwa einem Drittel. In Mecklenburg-Vorpommern sind es sogar 38 Prozent. In Nordrhein-Westfalen (NRW) melden die für das erste Staatsexamen zuständigen Justizprüfungsämter einen Prüferinnenanteil von 31 Prozent in Köln, 33 Prozent in Hamm und 39 Prozent in Düsseldorf. Bei dem für das zweite Staatsexamen zuständigen Landesjustizprüfungsamt NRW gibt es etwa 35 Prozent Prüferinnen. Am besten schneidet Sachsen-Anhalt mit einem Prüferinnenanteil von 40 Prozent ab – das sind 10 Prozentpunkte mehr als im Jahr 2022.
Doch ein etwaiger Zuwachs im Pool spiegelt sich nicht immer automatisch in der tatsächlichen Besetzung der Kommissionen wider. Grund dafür ist nach Angaben der Prüfungsämter die individuelle zeitliche Verfügbarkeit der Prüfer:innen. In der Herbstkampagne 2024 wurden in Baden-Württemberg von insgesamt 247 Prüfer:innen lediglich 47 Frauen eingesetzt – das entspricht gerade einmal 19 Prozent. Umgekehrt gelang es Bremen in den vergangenen drei Examenskampagnen mit einem Frauenanteil von 32 Prozent im Prüfer:innen-Pool, 25 von 38 mündlichen Prüfungen mit mindestens einer Frau zu besetzen – in wiederum zehn dieser Prüfungen prüften sogar zwei oder mehr Frauen.
Berufliche und familiäre Verpflichtungen schwer zu vereinbaren
Woran kann es liegen, dass Juristinnen die Prüfungstätigkeit ablehnen? An qualifizierten Juristinnen mangelt es nicht. Die Gründe, weshalb viele Juristinnen keine mündlichen Examensprüfungen abnehmen, werden nicht offiziell erfasst. Auf Nachfrage von LTO teilen einige Justizprüfungsämter aber ihre Erfahrungen.
So erklärt das Landesjustizprüfungsamt Mecklenburg-Vorpommern, dass üblicherweise sowohl weibliche als auch männliche Jurist:innen ihre Absage mit der Belastung im Hauptjob begründen. Den Prüfungsämtern in Hamburg und NRW wurde in der Vergangenheit die schwierige Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Verpflichtungen als Absagegrund genannt.
Strukturelle Hürden: Gender Pay Gap und Gender Care Gap
Auch Rahel Meinhof, Vorsitzende des Arbeitsstabs Ausbildung und Beruf des djb, sieht als Ursache des Ungleichgewichts strukturell nachteilige Rahmenbedingungen: "Zum Stand unserer Studie wird die Prüfungstätigkeit – abhängig vom Bundesland – mit nur 12 Euro bis 51 Euro pro Prüfling vergütet", erklärt sie. Die Prüfung, inklusive ausreichender Vorbereitung, nimmt aber mindestens einen Arbeitstag in Anspruch. "Es wundert daher wenig, dass Frauen sich angesichts der auch in juristischen Berufen bestehenden Gender Pay Gap eine schlecht bezahlte Prüfungstätigkeit weniger leisten können", so Meinhof.
Auch der Gender Care Gap kann sich negativ auswirken. Frauen übernehmen im Schnitt häufiger die sogenannte Care-Arbeit und haben dadurch weniger Kapazitäten für zusätzliche Tätigkeiten. Deshalb wurde beispielsweise in Hamburg eine Kinderbetreuungspauschale eingeführt. Prüfer:innen im ersten Examen erhalten für jedes in ihrem Haushalt lebende Kind unter 14 Jahren eine Pauschale in Höhe von 25 Euro. Voraussetzung für solche Maßnahmen sind jedoch ausreichende finanzielle Mittel.
Mehr Prüferinnen, mehr Diversität, weniger Diskriminierung
Was kann man noch tun, um den Frauenanteil in den Prüfungskommissionen zu erhöhen? Die Prüfungsämter sprechen bereits gezielt Juristinnen an. Auch von Studierendenseite kommt Unterstützung: Der Landesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften Baden-Württemberg (LRF) etwa hat eine Prüfer:innen-Kampagne ins Leben gerufen und informiert so über die Voraussetzungen und Vergütung der Prüfungstätigkeit.
Öffentlich zugängliche Informationen darüber, wie man Prüfer:in wird, sucht man nämlich meist vergeblich. Auf Nachfrage teilen die Justizprüfungsämter mit: Je nach Bundesland werden grundsätzlich überdurchschnittliche Examensergebnisse und einige Jahre Berufserfahrung vorausgesetzt. Hinzu kommt die persönliche Eignung – dabei sind z.B. bereits gesammelte Erfahrungen in der Ausbildung von Nachwuchsjurist:innen gerne gesehen.
Keine Frauenquote, sondern Zielformulierungen
Könnte eine Frauenquote zu paritätisch besetzten Prüfungskommissionen führen? Einige Prüfungsämter versuchen ohnehin, jede Prüfungskommission mit mindestens einer Frau zu besetzen. Eine im Gesetz verankerte Regelung könnte diesen Erfolg festigen.
"Verbindliche Frauenquoten bergen zum jetzigen Zeitpunkt die Gefahr, den wenigen Prüferinnen eine größere Last aufzuerlegen", warnt Meinhof jedoch. Es sei zu befürchten, dass die wenigen Prüferinnen aufgrund der Frauenquote an deutlich mehr Prüfungen teilnehmen müssten als ihre männlichen Kollegen. "Eine solche Überlastung kann sich dann gegebenenfalls wieder negativ auswirken und Frauen von einer Prüfungstätigkeit abhalten", so Meinhof.
Stattdessen seien in Bundesländern mit einem noch nicht paritätischen Prüfer:innen-Pool weiche Quoten als Zielformulierung sinnvoller. In § 7 Abs. 3 S. 4 JAVO Schleswig-Holstein heißt es etwa: "Bei der Berufung der Prüferinnen und Prüfer ist anzustreben, dass Frauen und Männer zu gleichen Anteilen vertreten sind; zu diesem Zweck sollen verstärkt Frauen als Mitglieder des Justizprüfungsamtes gewonnen werden."
Mehr Transparenz und finanzielle Unterstützung
Die Zusammensetzung der Prüfungskommissionen entscheidet nicht nur über die Examensnote, sondern auch über den zukünftigen Berufsweg. Das Ziel einer paritätischen Besetzung ist längst formuliert, doch die Realität ist davon noch weit entfernt.
Neben dem gezielten Anwerben von Juristinnen gibt es jedoch einige Lösungsmöglichkeiten: transparentere Zugangswege, die gesetzliche Verankerung des Ziels und eine bessere finanzielle Unterstützung. Jetzt kommt es darauf an, diese konsequent umzusetzen.
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