Karla Steeb, Lilian van Rey, Lilith Rein (von links nach rechts)
Feminist Law Clinic in Köln

"Sexua­li­sierte Gewalt sollte auch im Jura­stu­dium ein Thema sein"

Interview von Pauline Dietrich, LL.M.2025 M09 28, Lesedauer: 5 Minuten

Anfang 2025 startete die Feminist Law Clinic in Köln ihre Beratungen, inzwischen gibt es deutschlandweit Ortsgruppen. Eine der Gründerinnen erzählt, welche Rechtsfragen ihnen begegnen, wie es weitergehen soll – und ob auch Männer mitmachen.

LTO: Lilian van Rey, Sie sind eine von drei Gründerinnen der ersten Feminist Law Clinic in Deutschland, seit Januar 2025 finden Beratungen statt. Was ist "feminist law"?

Lilian van Rey: Feminist law beschreibt einerseits unsere Themengebiete, in denen wir Menschen ehrenamtlich beraten. Konkret also in Rechtsfragen, die vor allem FLINTA (steht für Frauen Lesben Inter Nicht-binär Trans Agender, Anm. d. Red.) und queere Menschen betreffen, und in denen es kein kostenloses und niedrigschwelliges Angebot gibt.

Andererseits beschreibt feminist law unser Selbstverständnis: Wir wollen eine erste Anlaufstelle sein für Frauen und queere Menschen und ihnen Gehör schenken.

Bei Instagram haben Sie geschrieben, dass Sie in den ersten sieben Monaten 79 Fälle begleitet haben, die meisten davon im Unterhaltsrecht und zu sexueller Nötigung. Haben Sie das so erwartet?

Ja, wir haben die Beratungen in den Gebieten Unterhaltsrecht, Selbstbestimmungsrecht und sexueller Gewalt gestartet. Wir haben nicht erwartet, dass es so viele Fälle konkret im Unterhaltsrecht sind.

Inzwischen beraten Sie auch in anderen Rechtsgebieten. Welche sind das und warum haben Sie diese dazu genommen?

Wir hatten von vornherein überlegt, die Beratungen auf andere Rechtsgebiete auszuweiten und haben dann in den ersten Beratungen geschaut, was die Menschen sonst noch ansprechen und wo sie Gehör finden wollen. Entsprechend haben wir dann das Familienrecht erweitert und zum Beispiel das Umgangsrecht dazu genommen, weil das häufig im Zusammenhang mit dem Unterhaltsrecht angefragt wurde. Und dann eben auch das Arbeitsrecht mit dem Fokus auf dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Zusätzlich stehen wir für Fragen zum Schwangerschaftsabbruch und Sorge- und Umgangsrecht zur Verfügung.

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"Es engagieren sich hauptsächlich Betroffene"

Wie viele Mitglieder haben Sie inzwischen und an wie vielen Standorten?

Inzwischen sind wir insgesamt 500 Mitglieder im Verein, die natürlich nicht alle Rechtsberatungen machen. Ein Team zum Beispiel kümmert sich um den Social-Media-Auftritt und um die Website.

Momentan haben wir ungefähr 30 Ortsgruppen über ganz Deutschland verteilt. In Tübingen, Köln, Hamburg und München bieten wir Vor-Ort-Beratungen an. In München und Köln gibt es zudem eine wöchentliche offene Sprechstunde, wo Interessierte offene Fragen stellen und sich über die Beratungen informieren können. In Göttingen wird es bald ein ähnliches Format geben

Wie läuft die Zusammenarbeit mit Rechtsanwält:innen?

Nach einem Beratungstermin gehen wir mit spezialisierten Rechtsanwält:innen in Supervision. Wir schildern den Fall und was wir dazu selbst schon recherchiert haben. Bevor dann eine Rückmeldung an unsere Mandant:innen erfolgt, halten wir Rücksprache.

Haben Sie in Ihrem Beratungsteam auch männliche Studierende?

Ja, aber leider sehr wenige, wie so häufig bei Care-Arbeit oder auch im Ehrenamt. Es engagieren sich hauptsächlich Betroffene – und damit bei uns eben vor allem Frauen und queere Menschen. 

Warum meinen Sie, wenden sich Betroffene dann an Sie – und nicht direkt an Anwält:innen?

Zum einen vermute ich eine Kostenfrage dahinter, denn wir merken, dass viel Wissen zur Prozess- und Verfahrenskostenhilfe in Deutschland fehlt. Darüber informieren wir dann.  

Zum anderen ist es niedrigschwelliger, sich bei Law Clinics zu melden, man kann bei uns zum Beispiel einfach online ein Kontaktformular ausfüllen oder eine Mail senden. Ich denke, viele Betroffene haben das Gefühl, das bei Anwält:innen nicht einfach machen zu können und sie ganz formell kontaktieren zu müssen. 

"'Awareness' ist ein fester Bestandteil"

Schildern Sie bitte einen ihrer Fälle.

Aktuell bearbeite ich zum Beispiel einen Fall im Unterhaltsrecht, wo die Betroffene sich wünscht, dass wir bei der Kommunikation mit Behörden unterstützen. Zum Beispiel wenn eine Antwort an das Jugendamt aussteht, klären wir darüber auf und helfen, ein Schreiben aufzusetzen. Wir informieren die Mandantin auch darüber, was mit den Angaben passiert, die sie machen muss. 

Sie begleiten auch Fälle von Vergewaltigungen. Sind Ihre Berater:innen psychologisch geschult?

In der Ausbildung zum oder zur Berater:in ist "Awareness" ein fester Bestandteil. Wir bekommen Tipps und Bewältigungsstrategien an die Hand, wie man solchen schwierigen Themen umgehen kann. Parallel dazu haben wir in den Beratungen eine inzwischen etablierte Awarenessstruktur ins Leben gerufen. So haben wir Personen im Team, die psychologisch geschult sind, und an die man sich wenden kann und die ggf. auch noch weiter verweisen können. 

Das hört sich nach keiner leichten Materie an für Jurastudierende – zumal die behandelten Rechtsgebiete überhaupt nicht examensrelevant sind. Sollten diese Rechtsgebiete im Jurastudium mehr vorkommen?

Auf jeden Fall wäre es gut, wenn im Jurastudium mehr auf die spätere Praxis geschaut würde. Im Jurastudium lernt man über die brutalsten Mordfälle und wie man diese einordnet. Arbeitsrechtliche Fragestellungen oder auch Unterhaltsfälle sind aber alltägliche Themen, die Menschen in viel größerem Umfang betreffen und entsprechend ausführlicher in der Ausbildung behandelt werden sollten. Insbesondere sexualisierte Gewalt sollte auch im Jurastudium ein Thema sein, bisher ist sie gar kein Bestandteil der Ausbildung.

"In Deutschland sollte das 'Ja-ist-Ja-Prinzip' eingeführt werden" 

Was ist Ihr persönliches Fazit sieben Monate nach der Gründung: Was hat Sie am meisten überrascht?

Ich bin sehr begeistert, wie unser Angebot angenommen wird und auch, wie viele uns helfen und bei uns beraten möchten. Das ist wirklich überwältigend – vor einem Jahr saßen wir da noch zu dritt und jetzt sind wir mehr als 500 Menschen, die sich auf die eine oder andere Weise engagieren. Es ist natürlich immer eine Herausforderung, ein Ehrenamt neben dem Studium und anderen Verpflichtungen zu managen, aber man bekommt auch sehr viel dadurch zurück.

Haben Sie Reformvorschläge, die Sie aus Ihren Beratungen mitgenommen haben?

In Deutschland sollte das "Nur-Ja-ist-Ja-Prinzip" eingeführt werden, also dass Personen zu sexuellen Handlungen ausdrücklich zustimmen müssen. Das gibt es inzwischen auch in anderen europäischen Staaten und würde für die Praxis eine große Erleichterung bringen.

Das "Nur-Ja-heißt-Ja"-Modell ist vorteilhaft, weil es bestehende Strafbarkeitslücken im Sexualstrafrecht schließt und sicherstellt, dass sexuelle Handlungen nur bei ausdrücklichem Einverständnis legal sind. Dadurch wird das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen besser geschützt und problematische Situationen wie Schockstarre oder Passivität nicht länger zulasten der Betroffenen gewertet. Zugleich verbessert sich die Beweissituation für Betroffene vor Gericht. Viele Verfahren, bei denen ein sexueller Kontakt nachgewiesen wird, scheitern aktuell dennoch an dem Beweis eines "erkennbar entgegenstehenden Willens".

Wo soll es denn noch hingehen mit der Feminist Law Clinic?

Wir haben im Mai den dritten Platz beim europäischen Jugendkarlspreis, eine Auszeichnung des europäischen Parlaments, belegt, worüber wir uns sehr gefreut haben. Wir haben dort zum ersten Mal die Möglichkeit entdeckt, sich auch über die Landesgrenzen hinaus zu vernetzen. So haben wir unseren Blick dafür geweitet, uns mit kostenlose Rechtsberatungsangeboten mit feministischem Ansatz in anderen Ländern zu vernetzen. Und wir möchten natürlich unsere Beratungen weiter ausbauen – denn wir bekommen enorm viele Anfragen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Lilian van Rey ist mit Lilith Rein und Karla Steeb im Vorstand der Feminist Law Clinic, die sie zusammen im Juni 2024 gegründet haben. An die Feminist Law Clinic können sich Personen wenden, die Beratung etwa in Fragen zum Schwangerschaftsabbruch, Sorge- und Umgangsrecht, Unterhaltsrecht oder Selbstbestimmungsrecht haben oder Unterstützung bei sexualisierter Gewalt benötigen.

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