Das Bild zeigt den Eingang zur mündlichen Prüfung mit Hygienemaßnahmen und Informationshinweisen für Prüflinge.
Mündliche Prüfung im Ersten Staatsexamen

Darauf kommt es Prü­fern an

Gastbeitrag von Michelle Sieburg2025 M06 30, Lesedauer: 4 Minuten

Viele Studierende sind gerade vor der mündlichen Prüfung nervös. Was, wenn ich eine Frage nicht beantworten kann oder sogar einen Blackout habe? Erfahrene Prüfer verraten, was man dann macht und worauf es ihnen wirklich ankommt.

Ein Moment, auf den Studierende lange hingearbeitet haben: Die Klausuren im ersten Staatsexamen sind geschafft und sie halten die Ladung zur mündlichen Prüfung in den Händen. Besonders spannend ist die Besetzung der Prüfungskommission. Während Professor:innen den Examenskandidat:innen schon aus dem Studium vertraut sind, sind Prüfer:innen aus der Praxis meist unbekannt.

Richter:innen, Rechtsanwält:innen, aber auch Regierungsdirektor:innen und Ministerialrät:innen –Prüfer:innen haben die unterschiedlichsten Berufe. Weniger bunt gestaltet sich das Geschlechterverhältnis in den Prüfungskommissionen. Frauen sind noch immer deutlich unterrepräsentiert. LTO berichtete bereits über dieses Problem und dessen negative Auswirkungen. Die Prüfungsämter sind sich dem Problem bewusst und werben regelmäßig um neue Prüfer:innen. Unterstützung gibt es auch aus studentischen Reihen, etwa mit der Prüfer:innen-Kampagne des Landesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften in Baden-Württemberg. Wer die Befähigung zum Richteramt hat und mehrjährige Berufserfahrung, kann sich grundsätzlich an die Prüfungsämter wenden für eine Prüfertätigkeit.

Erste Anhaltspunkte, auf welche Themen die jeweiligen Prüfer:innen besonders Wert legen, liefern die Protokolle der vergangenen Prüfungen. Aber was macht eigentlich eine gute Prüfungsleistung aus und welche weiteren Tipps haben Prüfer:innen?

"Das Potenzial eines Prüflings kann ich meist nach den ersten drei Antworten einschätzen"

Natürlich sollten die Prüflinge den Pflichtstoff beherrschen, insbesondere die Grundlagen. "Wenn Prüflinge wiederholt und auf Nachfrage das Trennungs- und Abstraktionsprinzip missachten, fällt das negativ ins Gewicht", erklärt Dr. Steffen Jankowiak, Vorsitzender Richter am Landgericht Berlin und Prüfer im Zivilrecht. Grundlagen sind außerdem im späteren Berufsleben von Bedeutung. Prüfer:innen aus der Praxis fragen zudem oft Prozessrecht ab.

Glänzen kann man aber auch mit Sonderwissen. "Das Potenzial eines Prüflings kann ich meist nach den ersten drei Antworten einschätzen und meine Fragen entsprechend anpassen", so Ariane Müller, Richterin am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg und Prüferin im öffentlichen Recht. Sehr guten Kandidat:innen stelle sie dann schwierigere Fragen, etwa bezüglich der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Darüber hinaus kann man mit Systemverständnis punkten. Markus Lepszy ist stellvertretender Leiter des Assessmentcenters für Führungskräfte bei der Bundeswehr und zudem seit 2015 Prüfer im öffentlichen Recht in Nordrhein-Westfalen. Besonders leistungsstarken Kandidat:innen stellt er gezielt Fragen zum Systemverständnis. "Dass auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt wirksam ist, wissen die meisten Prüflinge. Wenn man dann auch noch erläutern kann, was die Gründe dafür sind – nämlich vor allem die Effektivität der Verwaltung und Rechtssicherheit – zeigt man ein tiefgehendes Verständnis der Materie", so Lepszy.

Es gibt nicht "die eine richtige Lösung"

In den Gesprächen mit den Prüfer:innen fällt schnell auf, dass zudem fächerübergreifende Kompetenzen ausschlaggebend für eine gute Leistung sind. Die Prüflinge sollen ihr juristisches Denkvermögen zeigen. Das betont auch Rechtsanwalt Norbert Bierbach, seit 1995 als Prüfer im Zivilrecht in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin-Brandenburg tätig: "In der mündlichen Prüfung soll keine fertige Lösung präsentiert, sondern vielmehr gemeinsam erarbeitet werden."

Dabei spielen mehrere Kriterien eine Rolle. Staatsanwalt Dr. Simon Pschorr, seit 2021 Prüfer im Strafrecht in Baden-Württemberg, erklärt: "In der Prüfung lege ich Wert auf eine konsequente rechtliche Erörterung. Die eine 'richtige Lösung' ist ein Absurdum." Zu einer solchen Erörterung gehören im Strafrecht die Definition der maßgeblichen Tatbestandsmerkmale sowie eine den Sachverhalt ausschöpfende Subsumtion. Negativ fällt auf, wenn ein rechtliches Problem übersehen wird – das gilt für jedes Rechtsgebiet. Pschorr unterstreicht außerdem: "Den Gutachtenstil kann man sprechen!"

Argumentieren statt Aufsagen

Ein weiteres Bewertungskriterium stellt das juristische Argumentationsvermögen dar. Wichtig ist es dabei, nicht nur das erlernte Wissen abstrakt abzuladen, sondern auf den konkreten Fall anzuwenden und sich auch selbst zu positionieren.

"Es fließt natürlich positiv in die Bewertung ein, wenn man ein neues Argument vorträgt", erklärt Julja Altermann, Richterin am Sozialgericht Berlin und Prüferin im öffentlichen Recht.

Eine klare Struktur ist ebenfalls Teil einer guten Argumentation. "Häufig werden Streitigkeiten wirr vorgetragen. Dabei sollten die Prüflinge wie in den schriftlichen Prüfungen vorgehen: die Meinungen darstellen, subsumieren und den Streitentscheid nur führen, wenn es erforderlich ist", erklärt Pschorr.

Mit einer strukturierten Vortragsweise kann man außerdem sein Grundlagenverständnis demonstrieren. "Positiv werte ich, wenn ein Prüfling der Prüfungsreihenfolge der Ansprüche folgend alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen nennen und einordnen kann", berichtet etwa Dr. Julia Redler, Referentin beim Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamt Berlin-Brandenburg und hauptamtliche Prüferin im Zivilrecht.

Reden ist Gold

Dass man in Prüfungen mit unbekannten Rechtsproblemen konfrontiert wird, ist kein Sonderfall. Dennoch stellt Nichtwissen für Prüflinge oft eine große Unsicherheit dar. Was also tun, wenn man mal nicht weiterweiß?

"Alles ist besser als Schweigen", antwortet Staatsanwältin Manuela Merkel, Prüferin im Strafrecht in Mecklenburg-Vorpommern. "Der Prüfungskommission ist durchaus bewusst, dass die Prüflinge nicht alles wissen können. Da ist es besonders wichtig, seine Gedankengänge zu kommunizieren." So kann man als Prüfling ausgehend vom Gesetz versuchen, sich eine Antwort herzuleiten. Richter Jankowiak rät: "Denken Sie laut, wenn Sie nicht weiterwissen. Es hilft bereits, wenn Sie erklären, wo Sie gerade im Gesetz blättern."

Das gelte auch bei einem Blackout – dem Albtraum aller Prüflinge. Richterin Altermann rät zudem: "Kommunizieren Sie offen, wenn Sie einen Blackout haben. Das ist für mich als Prüferin ja nicht erkennbar. Wenn ich aber weiß, dass ein Prüfling einen Blackout hat, kann ich helfen oder die Frage weitergeben." In der Praxis komme ein Blackout bei Prüflingen aber eher selten vor.

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In Lerngruppen freies Sprechen üben

Die hauptamtliche Prüferin Redler empfiehlt zur Vorbereitung, in einer Lerngruppe freies Sprechen zu üben. Das mündliche Ausformulieren der eigenen Gedanken sei anspruchsvoll und wird während des Studiums selten gezielt gelernt. Und sie betont: "Gute Verpflegung und ausreichend Schlaf sind ebenfalls wichtig."

Die Prüfer:innen waren selbst auch mal Prüflinge und kennen diese nervenaufreibende Situation. Allgemein gilt: "Die Prüfungskommission will das Beste aus den Prüflingen rausholen und allen die Gelegenheit bieten, ihr Können zu zeigen", betont Altermann.

Michelle Sieburg studiert Jura an der Universität Heidelberg.

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