"Assessmentcenter für 12-jährige geht gar nicht"
LTO: Frau Comans, Sie sind Fachanwältin für Verwaltungsrecht und auf sogenannte Schulplatzklagen spezialisiert. Das heißt, Sie legen sich permanent mit Schulämtern und Schulen an. Was treibt sie an? Mögen Sie keine Pädagogen?
Lea Comans: Ich bin seit 2017 als Anwältin tätig und von Anfang an gehörte das Schul- und Prüfungsrecht zum Schwerpunkt meiner Tätigkeit. Zunächst in Köln, seit 2019 in Berlin. Ich bearbeite Grundschul-Schulplatzklagen, aber auch andere schulrechtliche Fälle: Für meine Mandanten gehe ich etwa gegen schulische Ordnungsmaßnahmen (z.B. Verweis, Ausschluss vom Unterricht) oder die Nichtversetzung vor und übernehme Prüfungsanfechtungen. Andere Fälle drehen sich um das Ruhen der Schulpflicht, also wenn z.B. einer Schülerin oder einem Schüler vorgeworfen wird, durch das Verhalten in der Schule oder auf dem Schulweg Leben, Gesundheit oder sexuelle Selbstbestimmung anderer gefährdet zu haben.
Eine Abneigung gegenüber Pädagogen habe ich als Tochter einer Lehrerin definitiv nicht. Ich bin aber sehr wohl der Auffassung, dass es nicht gleichgültig ist, welche Schule man besucht. Außerdem darf man den großen Einfluss, den Lehrer durch die Vergabe der Schulnoten auf das Leben anderer haben, auch mal hinterfragen.
Was werfen Sie den Lehrkräften vor?
Lehrer überschreiten manchmal ihren Bewertungsspielraum und können durch eine falsche Benotung einem jungen Menschen den Lebenstraum nehmen. Bevor man von seinem individuellen Traum Abstand nimmt, sollte man hinschauen, ob der Stein auf dem Weg dorthin zu Recht liegt und man ihn vielleicht übersteigen oder beiseitelegen kann.
"Mit einem Schnitt unter 2,3 muss man an einem Probetag fürs Gymnasium teilnehmen"
In Berlin steht derzeit für viele Kinder und ihre Eltern im sechsten Schuljahr die Wahl der weiterführenden Schule an. In diesem Jahr mussten Kinder, die den erforderlichen Notenschnitt von 2,3 nicht geschafft haben, aber dennoch auf ein Gymnasium wollen, an einem Probeunterrichtstag teilnehmen.
Berlin hat das Schulgesetz geändert. Bislang lag es bei einem Notenschnitt zwischen 2,3 und 2,7 im Ermessensspielraum der Grundschule, einem Schüler eine Gymnasialempfehlung zu geben. Und wenn man die nicht bekam, konnten Eltern ihr Kind für ein Probejahr am Gymnasium anmelden.
Seit diesem Jahr ist es mit der Wahlfreiheit vorbei. Am 21. Februar haben knapp 2.000 Sechstklässler in Berlin an einem eintägigen Prüfungstag teilgenommen. Sie mussten schriftliche Aufgaben erledigen und standen unentwegt unter Beobachtung. Ich finde, ein solche Assessmentcenter für 12-jährige geht gar nicht. Die Kinder sind einem unglaublichen Druck ausgesetzt und Schüchterne haben bei so einem Format im Zweifel das Nachsehen.
Nach Auskunft der Berliner Senatsverwaltung werden die Kinder und ihre Eltern bis zum 5. März erfahren, ob sie den Probeunterrichtstag bestanden haben und "gymnasialtauglich" sind. Beginnt danach Ihr Job?
Betroffene haben den Probetag am vergangenen Freitag als sehr chaotisch geschildert. Ich rechne damit, dass viele Eltern ein negatives Ergebnis nicht auf sich sitzen lassen werden. Das Problem ist nur: Hier gibt es bislang kaum Kriterien, wann eine Gymnasialempfehlung unter solchen Prüfungsbedingungen zu erteilen ist und wann sie versagt werden kann. Die muss die Senatsverwaltung erst noch entwickeln.
"Nachweisen, dass andere Kinder zu Unrecht einen Gymnasialplatz erhalten haben"
Gegen den Ablehnungsbescheid des späteren Wunsch-Gymnasiums ist Widerspruch und Klage möglich. Wann ist ein solcher Schritt ratsam?
Ziel des Widerspruchsverfahrens ist es, Verfahrensfehler nachzuweisen. Das geht natürlich nur dann, wenn man zeitnah einen Blick in die Akten vornimmt und z.B. überprüfen kann, ob andere Kinder zu Unrecht einen Schulplatz erhalten haben. Zum Beispiel, weil fehlerhaft Schulplätze an Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf vergeben wurden, Härtefälle zu Unrecht angenommen wurden oder unzulässige Auswahlkriterien angewendet worden sind.
Was wären unzulässige Auswahlkriterien?
Das hängt grundsätzlich von dem begehrten Gymnasium ab, denn nicht alle Gymnasien haben dieselben Auswahlkriterien. So kann eine Schule mit spezieller pädagogischer Prägung besonderes Gewicht auf einzelne Fächer legen, ein "normales" Gymnasium hingegen nicht. Auch die Entfernung ist beispielsweise kein taugliches Auswahlkriterium.
"Ablehnung der Wunsch-Grundschule muss nicht das letzte Wort bleiben"
Einer Ihrer Schwerpunkte sind Grundschulklagen. Da gibt es keinen Notendurchschnitt, der sich überprüfen lässt. Das Kind bekommt eine Einzugsschule zugewiesen, die nicht unbedingt die ist, die sich die Eltern vorgestellt haben. Sie geben dann eine Wunschschule an, bekommen aber eine Absage.
Genau, manchmal ist die Einzugsschule weit entfernt oder sie passt auch aus anderen Gründen nicht, zum Beispiel weil man sein Kind lieber auf einer gebundenen Ganztagsschule sieht. Aber auch hier heißt es: Die Ablehnung muss nicht das letzte Wort bleiben. Es gibt gute Chancen, dass Eltern am Ende doch noch den Wunsch-Grundschulplatz für Ihr Kind erhalten.
Grundsätzlich gibt es drei Wege, dies zu erreichen: Per Nachrückverfahren, man findet Verfahrensfehler oder man einigt sich mit dem Schulamt. Um diese Möglichkeiten zu eröffnen, ist aber auch ein rechtzeitiger Widerspruch erforderlich.
Können Eltern diesen auch selbst einlegen?
Im Prinzip ja, aber davon rate ich aber bei der Schulplatzvergabe ab.
Die anwaltliche Vertretung hat den großen Vorteil, dass bereits mit Einlegung des Widerspruchs Akteneinsicht beantragt wird. Nur im Wege einer vollumfänglichen Durchsicht der Akten kann das Vergabeverfahren z.B. auf Verfahrensfehler überprüft werden, die gar nicht so selten sind. Eltern können diese Fehler in der Regel nicht entdecken.
Sinn macht es aber auch hier, das gerichtliche Eilverfahren parallel zum Widerspruchsverfahren zu betreiben, um eine schnelle gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Schließlich gibt es keine Frist, bis wann das Schulamt über den Widerspruch entscheiden muss. In den meisten Fällen kommt der Bescheid sogar erst nach der Einschulung.
"Im Zweifel müssen zusätzliche Schulplätze geschaffen werden"
Welche typischen Verfahrensfehler begegnen Ihnen?
Manchmal stößt man auf Scheinanmelder. Hierbei handelt es sich um ein Kind, bei dem die Eltern bei der Anmeldung zum Schein angeben, dass sie in dem Einschulungsbereich der gewünschten Schule wohnen, tatsächlich jedoch außerhalb des Einschulungsbereichs wohnen.
Aber auch andere Fehler kommen immer wieder vor, wie z.B. die fehlerhafte Festsetzung des Einzugsbereichs oder die fehlerhafte Annahme des Wunsches nach dem Schulprogramm.
Entdeckt man einen solchen Verfahrensfehler, besteht grundsätzlich die Chance, dass auf der Wunschschule zusätzliche Schulplätze geschaffen werden müssen. Kein Elternteil muss also in derartigen Fällen die Sorge haben, dass einem anderen Kind der Schulplatz weggenommen wird. Nur bei den Scheinanmeldern könnte dem anderen Kind der Platz wieder entzogen werden. Denn hier liegt der Ursprungsfehler nicht beim Schulamt, sondern im Fehlverhalten der Eltern, die die Scheinanmeldung vorgenommen haben.
Was hat es mit dem Nachrückverfahren auf sich?
Auf einen Erfolg beim Nachrückverfahren zu hoffen, ist Glückssache. Man weiß ja nicht, ob eine Familie z.B. kurzfristig umzieht und dadurch ihren Schulplatz wieder abgibt. Werden Plätze frei, wird ein Losverfahren unter den Widerspruchsführern durchgeführt, eine Rangliste erstellt und immer wenn ein Schulplatz frei wird, rückt der nächste auf der entsprechenden Nachrückposition nach.
"Erfolgsquote im Kontext Grundschulplatz bei über 90 Prozent"
Man hört immer wieder, dass in Berlin Eltern mit ihrem Widerspruch und Klageandrohung oft Erfolg haben? Woran liegt das? Arbeiten die Schulbehörden in der Hauptstadt derart fehlerhaft?
In der Tat verspricht das Vorgehen gegen einen ablehnenden Schulbescheid statistisch oft Erfolg. Ich persönlich kann im Kontext Grundschule von einer Erfolgsquote von über 90 Prozent berichten. Und ich weiß von anderen Kollegen, dass es ihnen ähnlich geht.
Die gute Quote liegt vor allem daran, dass in den Sommermonaten noch viel Bewegung stattfindet, Verfahrensfehler entdeckt werden, aber auch – das möchte ich hier einmal betonen – die Schulämter sich sehr kooperativ verhalten.
"Auch ein Schulamt will ein Gerichtsverfahren vermeiden"
Sie sprachen ja die Möglichkeit an, sich mit dem Schulamt zu einigen. Das klingt so schön friedlich, aber auch ein bisschen nach Mauschelei…
Ein stückweit ist es auch so. Die meisten Kollegen, die im Schulrecht unterwegs sind, kennen die zuständigen Sachbearbeiter in der Behörde sehr gut und nicht selten zieht man auch an einem Strang. Entgegen der Annahme manche Eltern wollen die Mitarbeiter oftmals gerne helfen.
Im Übrigen möchte auch ein Schulamt ein Gerichtsverfahren vermeiden und schaut sich die Umstände des konkreten Falles deshalb lieber noch einmal genauer an.
Frau Comans, abschließend eine persönliche Frage: Haben Sie Ihr Kind auf ihrer Wunschschule untergebracht?
Vor dieser Entscheidung stand ich noch nicht. Meine Tochter ist erst knapp drei Jahre alt und besucht die Kita. Ich gestehe jedoch, dass mich das Thema bereits seit einiger Zeit sehr beschäftigt und ich mir auch schon meine Gedanken mache, wo sie am besten untergebracht sein wird und wie ich es anstellen kann, dass sie dann auch sicher einen Schulplatz auf dieser Schule bekommt. Das sind eben immer zwei verschiedene Paar Schuhe.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Rechtsanwältin Lea Comans arbeitete bis 2018 in der Sozietät Birnbaum & Partner in Köln. Auf Schulrecht spezialisierte sich die Fachanwältin für Verwaltungsrecht in der Berliner Kanzlei "Werner Rechtsanwälte". 2023 wechselte sie zu Grawert PartmbB. Auf ihrer eigenen Homepage schulplatzklage.de informiert sie über ihr Herzensthema.
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