Oualid El Ouakili im Boxstudio
Vom Hauptschüler zum Juristen

"Die Aka­de­miker-Lauf­bahn war für meine Familie und mich neu"

Interview von Vanessa Meilin Rolke2025 M07 25, Lesedauer: 6 Minuten

Oualid El Ouakili war auf der Hauptschule, bevor er sein Abitur gemacht hat – und dann Jura studierte. Bald steigt er ins Referendariat ein. Im Interview erzählt er, wie er mit Herausforderungen umgeht und wie ihm der Boxsport geholfen hat.

LTO: Herr El Ouakili, Sie waren zunächst auf einer Hauptschule, haben dort Ihren Realschulabschluss gemacht und konnten dann als Stufenbester auf die Gesamtschule wechseln, um Ihr Abitur zu machen. Dann haben Sie Jura studiert. Wieso haben Sie sich dazu entschieden?

Oualid El Ouakili: Es hat sich alles so gefügt. Ich habe mir immer wieder kleinere Ziele gesetzt, zum Beispiel, mein Abitur zu schaffen. In meinem Umkreis war Jura kein Thema. Während ich in der Oberstufe für das Abitur gelernt habe, habe ich festgestellt, dass ich mich sehr für wirtschaftliche Strukturen interessiere. Da ich auch gesellschaftliche Themen spannend finde, dachte ich mir, wieso nicht die beiden Themen in einem juristischen Rahmen betrachten.

Wie haben Ihre Eltern reagiert?

Sie waren sehr stolz. Meine Eltern stammen aus Marokko, ich bin aber in Deutschland geboren. Sie wussten erstmal gar nicht, was mit meinem Jurastudium auf sie zukommt – und ich auch nicht. Sie kannten zwar die klassischen Berufe wie Richter oder Anwalt, mehr aber auch nicht. Meine drei älteren Brüder haben alle nicht den akademischen Weg gewählt, sondern sich nach ihren Ausbildungen selbstständig gemacht. Die Akademiker-Laufbahn war also komplett neu für uns alle.

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"Die positiven Seiten jedes Landes nutzen" 

Ihre Eltern kommen aus Marokko, Sie haben aber immer in Deutschland gelebt. Wie ist das Leben für Sie mit den zwei Kulturen?

Ich bin bilingual aufgewachsen, also ich habe Deutsch und Arabisch gelernt, das ist schon von Vorteil. Besonders in meiner Kindheit sind wir jedes Jahr in die Heimat geflogen. Das hat mich tatsächlich auch stark beeinflusst, da ich mich auch mich gut mit der Kultur auskenne. 

Wenn man mit zwei Kulturen aufwächst, hat man immer einen Vergleich. So kann man meiner Meinung nach besser die positiven Seiten des jeweiligen Landes für sich nutzen. Beide Kulturen haben natürlich auch ihre negativen Seiten, aber die muss man nicht so in den Vordergrund stellen. Entscheiden möchte ich mich nicht. Ich bin niemand, der zu 100 Prozent auf Kulturen setzt.

Wie muss man das verstehen?
Ich versuche, so viel es geht aus allen Kulturen, mit denen ich Berührungspunkte habe, mitzunehmen. Ich bin sehr offen und reise gerne. Nach dem ersten Staatsexamen war ich auch in Kapstadt und habe Banking Law und Competition-Law-Kurse an der Universität von Kapstadt besucht. Das internationale Wirtschaftsrecht interessiert mich sehr. Neben dem Fachlichen konnte ich aber auch viel über mein eigenes Verhalten und Handeln lernen.

"Neben dem Studium habe ich ein eCommerce Business aufgebaut" 

Neben dem Studium haben Sie auch in einer Großkanzlei gejobbt. Wie sind Sie dort hingekommen?

Ich musste mich und mein Studium finanzieren, daher habe ich nebenbei gejobbt. Zunächst habe ich in einem Start-Up gearbeitet und viele wirtschaftsrechtliche Themen bearbeitet. Parallel habe ich noch ein eCommerce Business aufgebaut, das ich zwischenzeitlich aber verkauft habe. Ich interessiere mich für die digitale Welt im Sales und vor allem zu Corona-Zeiten war das eine gute Möglichkeit. Ich habe zwei Onlineshops gegründet, programmiert und mit Gewinn verkauft. Danach habe ich in einer Kanzlei das Datenschutzrecht und IT-Recht kennengelernt. Von März bis August 2024 habe ich dann bei Luther im Bereich Corporate/M&A gearbeitet. Nach meiner Zeit in Kapstadt habe ich bei Luther weitergemacht. Ich werde erst zu Beginn meines Referendariats im August 2025 dort aussteigen.

Was gefällt Ihnen an der Arbeit in der Großkanzlei am meisten?

Die Diversität, sei es in persönlicher als auch juristischer Hinsicht. Ich hatte die Möglichkeit in viele unterschiedliche Rechtsgebiete reinzuschnuppern, sei es Corporate Law, M&A, Immobilienrecht oder auch Arbeitsrecht – und das auf einem sehr hohen Niveau. Vor allem am Anfang der Karriere ist das wirklich viel wert.

"Mit 15 Jahren war ich kein guter Verlierer"

Außerdem haben Sie jahrelang neben dem Studium geboxt und sind unter anderem im Jahr 2018 Rhein-Ruhr-Wupper-Meister in der Gewichtsklasse bis 64 Kilogramm geworden. Was bedeutet der Boxsport für Sie?

Sehr viel. Mein letzter Kampf ist etwas her, aber ich bin noch Leistungssportler. Ich sollte vor vier Monaten noch in Kapstadt kämpfen, aber mein Gegner hat am Kampftag im letzten Moment abgesagt. Mittlerweile gebe ich aber mein Wissen auch als Trainer weiter. Das Boxen ist ein super Ausgleich zum Lernstress. Ich habe durch den Leistungssport viel gelernt, was mich auch im Studium und im Beruf weiterbringt.

Was denn zum Beispiel?

Mut, Fleiß und Durchhaltevermögen. Wenn es schlecht läuft, sollte man nicht aufgeben. Fast wichtiger finde ich aber, dass man sich nicht so lange auf seinem Erfolg ausruht, wenn es gut läuft. Natürlich sollte man sich auch Auszeiten gönnen, innehalten und sich freuen. Aber man sollte seinen Fokus nicht verlieren. Das habe ich durch die Wettkämpfe gelernt. Mit 15, 16 Jahren war ich kein guter Verlierer und habe lange gebraucht, um Niederlagen zu verarbeiten. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, das Positive daran zu sehen und immer weiter an mir zu arbeiten.

Ich hatte auch im Leistungssport immer mit Druck zu kämpfen, und wusste, dass man entweder daran zerbricht oder stärker wird. Das hat mir auch im Studium geholfen. Es war auch gut, dass ich zumindest durch meine Familie keinen Druck hatte. Wenn man sich so durchbeißen musste, entsteht einfach ein anderer Blickwinkel.

"Fleiß, Mut und Durchhaltevermögen zahlen sich immer aus"

Ihr Weg war kein geradliniger, sondern sehr steinig. Wie sind Sie mit Herausforderungen und Schwierigkeiten umgegangen?

Ich habe schon oft an Punkten gestanden, an denen ich mich gefragt habe, ob ich mein Ziel wirklich erreichen kann. Ich habe dann aber nicht aufgegeben, sondern immer weitergemacht.

Als ich damals von der Hauptschule in die Oberstufe gekommen bin, habe ich mich in den ersten Wochen oft gefragt, ob ich das Abitur überhaupt schaffen kann. Dann habe ich die ersten Klausuren mit positiven Ergebnissen zurückbekommen und gemerkt, dass ich es kann.

Dann habe ich mich reingehängt. Im Studium habe ich mir dieselben Fragen gestellt, aber immer weitergemacht. Fleiß, Mut und Durchhaltevermögen zahlen sich am Ende immer aus. Für mich gibt es keine Herausforderung, die man nicht schaffen kann, solange man realistisch bleibt.

"Sich nicht auf seine Herkunft reduzieren, sondern seinem Können vertrauen"

Mit Ihrem Weg sind Sie sicher ein Vorbild für viele junge Menschen, besonders mit Migrationshintergrund. Was möchten Sie ihnen mitgeben?

Vorbild ist ein großes Wort – ich weiß nicht, ob ich wirklich ein Vorbild bin. Ich denke, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss. Wichtig ist, sich nicht auf seine Herkunft zu reduzieren, sondern einfach seinem Können zu vertrauen. Mir hat es immer geholfen, offen für Neues, Tipps und Erfahrungen zu sein. Und man sollte sich von anderen Menschen nicht einreden lassen, dass man etwas nicht könnte. Jeder kann es schaffen, egal woher und zu welchem Zeitpunkt.

Als nächstes geht es für Sie ins Referendariat. Haben Sie schon konkrete Pläne für die Zeit danach?

Nein, ich bin sehr gespannt. Das Wirtschaftsrecht macht mir viel Spaß und ich könnte mir gut vorstellen, in dem Bereich zu bleiben. Aus meiner Sicht ist es viel wert, wenn man weiß, was man mag. Ich bin aber auch offen für andere juristische Berufe, besonders gespannt bin ich auf das Richteramt.

Viel Erfolg dabei und vielen Dank für das Gespräch!

Oualid El Ouakili hat zunächst eine Hauptschule in Düsseldorf besucht und dann sein Abitur an einer Gesamtschule absolviert. Nach erfolgreichem Abschluss seines Jurastudiums an der Universität Bielefeld verbrachte er ein Auslandsjahr in Kapstadt mit Kursen im Banken- und Wettbewerbsrecht. Bald beginnt er sein Referendariat am Landgericht Wuppertal.

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