US-Präsidentschaftskandidat Perry: Ein bisschen "Law made in Germany"

Dr. Heiko Holste

31.08.2011

Rick Perry ist die neue Hoffnung der Republikaner im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur für die Wahl 2012. Um die Wirtschaft seines Landes wieder auf die Beine zu bringen, will der Gouverneur aus Texas auch das amerikanische Rechtssystem reformieren und macht dabei Anleihen beim deutschen Recht. Aus den USA berichtet Heiko Holste.

Weniger Steuern, weniger Staatsausgaben und weniger Regulierung - das ist das Mantra aller bisherigen Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner, von der Tea-Party-Ikone Michele Bachmann bis hin zum eher gemäßigten Mitt Romney. Der Gouverneur von Texas, Rick Perry, der erst Mitte August in das Rennen einstieg, hat den programmatischen Dreiklang erweitert. Perry will der kriselnden US-Wirtschaft und ihren Unternehmen auch mit "less litigation" helfen, also mit weniger Gerichtsprozessen.

Bei seinem ersten Besuch in Iowa, wo der US-Vorwahlkampf traditionell beginnt, sagte er: "Zu viele Unternehmen werden durch sinnlose Klagen behindert. Sie müssen Unsummen für Verteidiger-Honorare aufwenden. Dagegen hilft nur ein Grundsatz: Der Verlierer (einer Klage) muss bezahlen."

Eine entsprechende Regelung des texanischen Rechts, die Perry eingeführt hat, ist für ihn Modell für die gesamten USA. Die Kritik an Amerikas klagefreudigen Anwälten ist auch ein Seitenhieb auf Konkurrentin Michele Bachmann, die als Kompetenznachweis gerne auf ihre frühere Tätigkeit als Anwältin verweist.

"American Rule" vereinfacht Zugang zu den Gerichten

In den USA gilt im Kostenrecht die so genannte American Rule, wonach bei einem Rechtsstreit unabhängig von dessen Ausgang jede Partei ihre Kosten selbst trägt. Rick Perry propagiert dagegen nun einen Eckpfeiler des deutschen Zivilprozessrechts, das Unterliegensprinzip aus § 91 der Zivilprozessordnung. Hier muss der Verlierer eines Rechtsstreits die Gerichtskosten und auch die Anwaltskosten des Siegers bezahlen.

Solche Kostenregelungen steuern auch den Zugang zu den Gerichten. Das deutsche Prinzip hält durch das Kostenrisiko davon ab, leichtfertig Klagen zu erheben. Im Gegenzug bleibt die Durchsetzung des Rechts für den Sieger bezahlbar. Die "American Rule" vereinfacht dagegen den Zugang zu den Gerichten. Dies entspricht einer gesellschaftlichen Mentalität, in der die Lösung von sozialen Konflikten häufig privatisiert und der gerichtliche Rechtsschutz oft Ersatz für fehlende gesetzliche Regelungen zum Verbraucherschutz oder zur Sozialversicherung ist.

Wenn etwa bei Personenschäden keine gesetzliche Unfallversicherung einspringt, sind die Kläger häufig darauf angewiesen, mit Schadensersatzklagen ihre Existenz und ihren Lebensstandard abzusichern. Dabei können die Gerichte neben dem Ersatz der tatsächlich entstandenen Schäden auch einen Strafschadensersatz verhängen, dessen generalpräventive Wirkung Unternehmen zu größerer Sorgfalt in der Zukunft anhalten soll. Dieser Strafschadensersatz  kann mitunter beträchtliche Höhe erreichen und ist auch in eher skurril anmutenden Fällen verhängt worden.

Zur Legende wurde der Fall von Stella Liebeck. Sie verbrühte sich 1992 an einem Becher heißem Kaffee von McDonald’s und erstritt dafür einen Strafschadensersatz von 480.000 Dollar von dem Burgerbrater. 

Hohes Risiko für US-Unternehmen durch Strafschadensersatz-Klagen

Für die Kläger stehen daher nicht immer der Ersatz tatsächlich erlittener Schäden und der Verbraucherschutz im Vordergrund. Auch von der Aussicht auf den Strafschadensersatz geht ein beträchtlicher Anreiz zur Klage aus. Dieser wird durch kein Kostenrisiko gezügelt, da der Kläger wegen der "American Rule" für die gegnerischen Anwaltskosten nicht aufkommen muss und die Klägeranwälte häufig auf Basis von Erfolgshonoraren arbeiten. Klagen gegen solvente Unternehmen wegen schädigender Produkte oder bei ärztlichen Behandlungsfehlern sind in den Vereinigten Staaten zu einem anwaltlichen Geschäftsmodell geworden.

Für amerikanische Unternehmen sind solche Klagen ein beträchtliches Risiko, da die Höhe eines möglichen Strafschadensersatzes schwer zu kalkulieren ist und auch scheinbar abwegige Klagen eine intensive, und das heißt auch kostenträchtige anwaltliche Verteidigung erfordern.

Es ist ein Teufelskreis entstanden aus hohen Schadensersatzansprüchen, hohen Anwaltshonoraren und hohen Versicherungsprämien. Eine Folge: In ländlichen Gegenden der Vereinigten Staaten fehlt es inzwischen an Gynäkologen, weil die horrend hohen Versicherungsprämien diesen Arztberuf unattraktiv gemacht haben.

Perry kopiert das deutsche Recht nur zur Hälfte

Dies alles will Rick Perry jetzt ändern und dazu das Unterliegensprinzip nach Amerika importieren. Es gilt im globalen Wettbewerb der Rechtsordnungen als großer Vorteil des deutschen Rechtssystems. 2008 starteten das Bundesjustizministerium und die großen Justizorganisationen eine internationale Werbekampagne für das deutsche Recht. Unter dem Titel "Law made in Germany" wird dabei auch das Unterliegensprinzip herausgestellt.

Den Anfang einer Reform hat Perry jetzt in Texas gemacht. Der amerikanische Föderalismus erlaubt den Bundesstaaten, das Prozessrecht ihrer Gerichte selbst zu regeln. Zum 1. September tritt daher in Texas ein Gesetz in Kraft, wonach die Gerichte künftig besonders aussichtslose Klagen kurzfristig abweisen und dem Kläger auch die Kosten der Gegenseite auferlegen können. Gewerkschaften und viele Anwälte fürchten, dass die neue Kostenregelung den Zugang zu den Gerichten und die Rechtsdurchsetzung für Normalverdiener erschweren wird.

Perry dagegen will vor allem die Unternehmen entlasten, sie sollten künftig weniger Zeit bei Gerichten verbringen und mehr Zeit darauf verwenden, Jobs zu schaffen, erklärte er zum Auftakt des Vorwahlkampfes. Eine Ausweitung des gesetzlichen Verbraucherschutzes oder von Versicherungspflichten plant der texanische Gouverneur allerdings nicht. Schon die von US-Präsident Obama eingeführte staatliche Krankenversicherung gilt den Republikanern als Vorstufe zum Sozialismus und wird von ihnen vehement bekämpft. Weil Perry darauf verzichtet, den erschwerten Zugang zum Recht durch gesetzliche Regelungen zu kompensieren, kopiert er das deutsche Recht also nur zur Hälfte.

Dass er überhaupt Anleihen bei ausländischen Rechtssystemen macht, würde Perry öffentlich wohl kaum einräumen. In Iowa erwähnte er stattdessen seinen Vater, der gegen "Nazi-Germany" für die Freiheit gekämpft habe, und pries unter dem Jubel seiner Zuhörer das politische System der USA als das beste der Welt. Ihre programmatischen Ideen mögen nicht immer originell sein, aber in Sachen Patriotismus lassen sich US-Wahlkämpfer von niemandem überbieten.

Der Autor Dr. Heiko Holste ist Jurist und Gastwissenschaftler an der Georgetown University in Washington. Er untersucht den amerikanischen Vorwahlkampf.

 

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Zitiervorschlag

Dr. Heiko Holste, US-Präsidentschaftskandidat Perry: Ein bisschen "Law made in Germany" . In: Legal Tribune Online, 31.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4157/ (abgerufen am: 02.05.2024 )

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