Die juristische Presseschau vom 30. August 2023: Ermitt­lungen gegen Lin­de­mann ein­ge­s­tellt / 14 Jahre für Jen­nifer W. / Ver­g­leich im Equal-Pay-Streit

30.08.2023

Die Berliner Staatsanwaltschaft stellt ihre Ermittlungen gegen den Rammstein-Frontmann ein. Das OLG München verurteilt IS-Rückkehrerin Jennifer W. zu höherer Strafe. Birte Meier und das ZDF beenden ihre Auseinandersetzung vergleichsweise.

Thema des Tages

StA Berlin – Till Lindemann: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen gegen den Musiker Till Lindemann eingestellt. Es bestehe kein hinreichender Tatverdacht auf die Begehung von Sexualstraftaten und von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Ermittlungen hätten "keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass der Beschuldigte gegen deren Willen sexuelle Handlungen an Frauen vorgenommen, diesen willensbeeinflussende oder -ausschaltende Substanzen verabreicht oder gegenüber minderjährigen Sexualpartnerinnen ein Machtgefälle ausgenutzt hat, um diese zum Geschlechtsverkehr zu bewegen". Die Behörde hatte u.a. die YouTuberin Kayla Shyx vernommen, ihre Schilderungen aber für "zu unkonkret" eingestuft. Daneben seien Presseberichte ausgewertet worden; eine Kontaktaufnahme zu den dort zitierten vermeintlich Geschädigten sei aber nicht gelungen, weil sich Journalist:innen auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht beriefen. Auch die Ermittlungen gegen die selbst ernannte "Casting-Direktorin" Alena M., die Lindemann bei den Konzerten junge Frauen zum Sex zuführte, wurden eingestellt. Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten seien nicht erkannt worden. Es berichten u.a. SZ (Lena Kampf) und LTO (Max Kolter).

Jasper von Altenbockum (FAZ) bedauert in seinem Kommentar, dass "misshandelte Frauen" es zukünftig noch schwerer haben, "sich Glauben zu verschaffen" und dass "Frauenverächter sich nun als unschuldig verfolgte Opfer aufführen". Wieder einmal zeige sich, "dass moralisierende Aktivisten mehr Schaden anrichten als Nutzen." Hannah Lühmann (Welt) hofft auf einen "gesellschaftlichen Läuterungsprozess" in zwei Richtungen durch den Fall: einerseites "Stärkung des Vertrauens in die Justiz", andererseits "Schärfung des gesellschaftlichen Empfindens für Übergriffe."

Rechtspolitik

Bürokratieabbau: Am heutigen Mittwoch will das Regierungskabinett Eckpunkte eines Bürokratieentlastungsgesetzes beschließen, schreibt LTO. Federführend sind Justiz- und Wirtschaftsministerium. So sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller und einfacher werden. Vereinfacht werden solle auch der Verwaltungsaufwand bei der arbeitsrechtlichen Entsendung von Mitarbeiter:innen ins europäische Ausland. Bei einer Überarbeitung der EU-Datenschutzgrundverordnung will Deutschland verstärkt auf Rechtssicherheit und effektive Durchsetzung hinwirken. Die Maßnahmen sollen eng mit der französischen Regierung, die Ähnliches plane, abgestimmt werden.

Ersatzfreiheitsstrafe: Über die viermonatige Verschiebung der Umsetzung des neuen Berechnungsschlüssels der Ersatzfreiheitsstrafe schreibt nun auch die SZ (Ronen Steinke). Die IT-Probleme des federführenden Bundeslands Bayern stünden im Widerspruch zum "internetaffinen" Auftreten des Justizministers Georg Eisenreich (CSU), deckten sich aber mit den Erfahrungen von Anwält:innen, die im Freistaat noch immer daran scheiterten, Akteneinsicht auch digital wahrnehmen zu können.

Cannabis: Die Welt (Frederik Schindler) berichtet über innerkoalitionäre Kritik an den Cannabis-Legalisierungsplänen der Bundesregierung. Die relativ restriktiven Bestimmungen des Gesetzentwurfs drängten Cannabis-Nutzende auch weiterhin auf den Schwarzmarkt, werden Fachpolitikerinnen der Ampelkoalition zitiert.

Namen: Aus Anlass der nun in die Wege geleiteten Reform des Namensrechts erinnert die FAZ (Thomas Jansen) an frühere Versuche. So sei das Verbot von Doppelnamen in einem Entwurf für ein Gesetz "über die Gleichberechtigung von Mann und Frau" von der ersten Regierung Adenauer 1952 mit dem fehlenden Verständnis "breitester Schichten des Volkes" begründet worden. In den 1970er-Jahren habe die Union ihren Widerstand mit den durch Doppelnamen entstehenden Schwierigkeiten "moderner Datenverarbeitungsanlagen" begründet. Einen radikalen Bruch stellte der 1993 verabschiedete Abschied vom obligatorischen gemeinsamen Ehenamen dar. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) habe den jetzigen Vorstoß jüngst mit einer Inländerdiskriminierung begründet: hier lebende Ausländer unterliegen dem Namensrecht ihrer Heimatstaaten und dort seien Doppelnamen oft zugelassen.

Bundespräsident: Rechtsprofessor Heiko Sauer beleuchtet im Verfassungsblog die gesetzlich ungeregelte, gleichwohl verfassungsprozessual übliche Praxis von Stillhaltezusagen des Bundespräsidenten, Gesetze vorläufig nicht auszufertigen, wenn beim Bundesverfassungsgericht Eilanträge gegen deren Inkrafttreten anhängig sind. In der Kurzversion eines Festschriftsbeitrag plädiert der Autor dafür, diese Zusagen auf einen Zeitraum von sechs Monaten zu begrenzen, um den Interessen der übrigen Verfassungsorgane gerecht zu werden.

Justiz

OLG München zu IS-Rückkehrerin Jennifer W.: Wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Gestalt einer Versklavung mit Todesfolge hat das Oberlandesgericht München die IS-Rückkehrerin Jennifer W. zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Anders als im ersten Prozess hatte die Angeklagte ihre Beteiligung am Verdurstungstod eines 5-jährigen jesidischen Mädchens im irakischen Falludscha eingeräumt. Nach der durch eine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs erreichten Aufhebung des ersten Schuldspruchs zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren hat das OLG das Vorliegen eines minder schweren Falls diesmal verneint. Dies berichten u.a. spiegel.de (Wiebke Ramm) und LTO.

Annette Ramelsberger (SZ) bemerkt in ihrem Kommentar, dass "Mörder" kein Mal auf der Stirn trügen. Die "hübsche, blasse, unverschleierte junge Frau" im Gericht lasse sich kaum mit dem Bild "der überzeugten IS-Ideologin" in Verbindung bringen, die nun erneut verurteilt wurde. "Für den Rechtsfrieden" und auch sie selbst wäre es "besser gewesen, dieses Urteil wäre bereits im ersten Anlauf so ergangen."

ArbG Berlin – Equal Pay/Birte Meier: Der mittlerweile wieder am Arbeitsgericht Berlin anhängige Streit zwischen der Journalistin Birte Meier und dem ZDF über geschlechtsspezifische Gehaltsunterschiede ist durch einen Vergleich beendet worden. Einzelheiten zum Inhalt des Vergleichs wurden nicht bekannt. Im Zuge der achtjährigen Auseinandersetzung hatte Meier eine Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts erstritten, so LTO (Tanja Podolski). Das BAG hatte 2020 entschieden, dass der Auskunftsanspruch des Entgelttransparenzgesetzes auch für arbeitnehmerähnliche Personen wie Meier gelte. Die nunmehr hinfällige Zahlungsklage bezüglich der Differenz gegenüber Gehältern von männlichen Kollegen hatte die Journalistin aber wieder beim Arbeitsgericht erheben müssen. Die FAZ (Marcus Jung) erwähnt, dass Meier noch im Juni des vergangenen Jahres ein Angebot des Senders zur Zahlung von mehr als 100.000 Euro sowie mehrerer bezahlter Urlaubsmonate ausgeschlagen habe.

BVerfG - Länderfinanzausgleich: Gegen die Klage Bayerns, das die aktuellen Regeln zum Länderfinanzausgleich ungerecht findet, hat sich eine Prozessgemeinschaft von mittlerweile zwölf Bundesländern gebildet, die von Rechtsprofessor Stefan Korioth vertreten wird. Zuletzt traten die Länder Bremen und Niedersachsen der Gemeinschaft bei, meldet die SZ

LG Erfurt/LG Hamburg zu Wucherzinsen: In ihrem Wirtschafts-Teil berichtet die SZ (Thomas Öchsner) ausführlich über zwei Entscheidungen der Landgerichte Erfurt und Hamburg, in denen die Sittenwidrigkeit von Darlehensverträgen wegen geforderter Wucherzinsen festgestellt worden ist. Die im Mai bzw. März verkündeten Urteile hätten die Sittenwidrigkeit der vereinbarten Zinszahlungen sowohl an der absoluten Höhe der Zinsen festgemacht als auch am jeweils vorliegenden Ausnutzen einer Zwangslage des Darlehensnehmers.

LG Karlsruhe zu Radio Dreyeckland: Drei vom Amtsgericht Karlsruhe erlassene Durchsuchungsbeschlüsse gegen das Freiburger Radio Dreyeckland und zwei dort arbeitende Journalisten waren rechtswidrig. Das Landgericht Karlsruhe entschied, dass die amtsgerichtliche Entscheidung unzureichend begründet und die Ermittlungsmaßnahme unverhältnismäßig gewesen sei. Das AG habe verfassungsrechtliche Vorgaben bezüglich der Unverletzlichkeit der Wohnung und der Pressefreiheit ungenügend berücksichtigt, so der LTO (Leonie Ott) vorliegende LG-Beschluss. Ein Strafverfahren gegen RDL-Redakteur Fabian Kienert wegen der Verlinkung der Archivseite der verbotenen Plattform linksunten.indymedia stehe aber noch an, nachdem das Oberlandesgericht Stuttgart die entsprechende Anklage im Juni zugelassen hatte.

GenStA Hamburg – Olaf Scholz: Der frühere Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi (Linke) hat eine Strafanzeige gegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wegen falscher uneidlicher Aussage erstattet. Nach Ansicht de Masis lasse sich nur im Wege einer staatsanwaltschaftlichen Befragung klären, ob Scholz´ Angabe im Hamburger Untersuchungsausschuss zutreffe, er könne sich an Treffen mit den Cum-Ex-belasteten Bankiers Max Warburg und Christian Olearius nicht erinnern. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet.

Recht in der Welt

EGMR/Russland – Pussy Riot: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Russische Föderation zur Zahlung einer Entschädigung an Mitglieder der Band Pussy Riot verurteilt. Russland habe es pflichtwidrig unterlassen, einen gewalttätigen Übergriff auf die Gruppe im Jahre 2014 strafrechtlich zu ahnden, berichtet tagesschau.de (Gigi Deppe). Nachdem das Land nicht mehr Mitglied im Europarat ist, dürfte nicht zu erwarten sein, dass die Entschädigung tatsächlich gezahlt wird.

USA – 3M/Ohrstöpsel: Der US-Konzern 3M hat seine Auseinandersetzung über angeblich gesundheitsschädliche Ohrstöpsel mit Militärveteranen durch einen Vergleich beendet. Der Konzern soll sechs Milliarden Dollar im Gegenzug für eine Erledigung von mehr als 250.000 Klagen zahlen, berichtet die FAZ.

Brasilien – Jair Bolsonaro: Gegen den früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro sind aktuell mehrere Ermittlungsverfahren anhängig. "Zum Verhängnis" könnte Jair Bolsonaro dabei vor allem der "fast kleinkriminell wirkende" Vorwurf der Geldwäsche und der Veruntreuung werden, schreibt die SZ (Christoph Gurk). Während seiner Präsidentschaft sollen Mitarbeiter wertvolle Geschenke an den Amtsinhaber zu Geld gemacht und ihren Chef hierbei beteiligt haben. Bolsonaros Verteidigung behaupte, dass die Gegenstände persönliche Geschenke gewesen seien. 

Guatemala – Wahlen: Das Oberste Wahlgericht Guatemalas hat den Wahlsieg des Anti-Korruptions-Präsidentschaftskandidaten Bernardo Arévalo bei der jüngsten Stichwahl bestätigt. Gleichzeitig wurde die Partei des Siegers - Movimiento Semilla (Bewegung Samenkorn) - suspendiert. Ein gleichlautender Antrag war vom Gericht während des Wahlkampfes noch verworfen worden, da Parteiverbote währed des Wahlkampfs laut Verfassung unzulässig seien. Es berichtet die taz (Knut Henkel).

Japan - Ureinwohner: Ein Vertreter der Ureinwohner der japanischen Insel Hokkaido hat vor dem Bezirksgericht Sapporo die japanische Regierung und Hokkaidos Präfektur-Regierung verklagt. Das Volk der Ainu verlangt das Recht auf kommerziellen Lachsfang, weil es sich historisch schon immer von Lachs ernährt habe. Derzeit dürfen Ainu nur hundert Lachse pro Jahr fangen, um ihre Kultur zu pflegen. Es gehe in dem Prozess um die Frage, "ob Einwanderer Ureinwohnern verbieten dürfen, in der Natur ihrer Heimat zu wirtschaften, wie sie wollen", schreibt die SZ (Thomas Hahn) im Wirtschafts-Teil. 

Uganda – Homosexualität: Erstmals seit dem Inkrafttreten eines Gesetzes gegen quasi alle Formen von Homosexualität ist in Uganda ein Mann wegen "besonders schwerer Form" angeklagt. Einzelheiten zum Fall seien vorerst nicht bekannt, schreibt die FAZ (Claudia Bröll). Dem Angeklagten drohe die Todesstrafe.

Sonstiges

Asylgrundrecht: Im Geisteswissenschaften-Teil der FAZ widerspricht Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz inhaltlichen Aussagen des Historikers Heinrich August Winkler zur Genese des Asylgrundrechts. So hätten bei Schaffung des Grundgesetzes noch gar keine völkerrechtlichen Grundsätze existiert, auf die hätte Bezug genommen werden können. Die mittlerweile eingetretenen Ablösung des deutschen Asylgrundrechts durch Unionsrecht biete einen "Referenzfall für die vielschichtigen Verflechtungen des deutschen Verfassungsrechts in internationale sowie europäische Regelungsprozesse."

Abschiebungshaft: Aus Anlass der jüngsten Vorschläge von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die die Ausreise illegal in Deutschland aufhältiger Ausländer:innen erleichtern will, stellt der SWR-RadioReportRecht (Max Bauer) die rechtlichen Voraussetzung und die Praxis der sogenannten Abschiebungshaft vor und spricht aus diesem Grund auch mit Rechtsanwalt Peter Fahlbusch über seine Erfahrungen. In zwei Jahrzehnten hat der Anwalt über 2.000 Abschiebungshaftfälle vertreten.

Insolvenzrecht: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ macht Rechtsanwalt Jürgen Erbe auf das baldige Auslaufen insolvenzrechtlicher Sonderbestimmungen aufmerksam. Die coronabedingte Lockerung der Insolvenzantragspflicht nach dem Krisenfolgenabmilderungsgesetz etwa gelte noch bis zum Ablauf des Jahres. Persönlich haftende "Geschäftsleiter" sollten sich aber bewusst sein, dass die damit verbundene Rückkehr zur Pflicht einer über zwölf Monate gesicherten Zahlungsfähigkeit auch jetzt schon in den Blick genommen werden müsse.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.  

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. August 2023: Ermittlungen gegen Lindemann eingestellt / 14 Jahre für Jennifer W. / Vergleich im Equal-Pay-Streit . In: Legal Tribune Online, 30.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52591/ (abgerufen am: 05.05.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen