Die juristische Presseschau vom 27. März 2019: 2. Mord-Urteil gegen Raser / Urhe­ber­rechts­re­form auf dem Weg / Prä­si­dentin Kin­der­mann

27.03.2019

Die Kudamm-Raser werden erneut wegen Mordes verurteilt. Außerdem in der Presseschau: EU-Parlament beschließt die Urheberrechtsreform, Innenministerium will BfV-Befugnisse erweitern und die neue DAV-Präsidentin stellt sich im Interview vor.

Thema des Tages

LG Berlin zu Ku'damm-Rasern: Das Landgericht Berlin hat die beiden sogenannten Ku'damm-Raser erneut wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes verurteilt. Das Gericht sah durch die Angeklagten und den von ihnen verursachten Unfall, bei dem im Februar 2016 ein Unbeteiligter zu Tode kam, die Mordmerkmale Heimtücke, niedrige Beweggründe und Tatbegehung mit einem gemeingefährlichen Mittel verwirklicht. Die Vorsatzbildung beider Männer habe sich in mehreren Etappen vollzogen, schreibt lto.de (Pia Lorenz/Markus Sehl) in einer ausführlichen Darstellung der mündlichen Urteilsbegründung. Nach zunächst kurzen Rennen bis zur jeweils nächsten Kreuzung wären sie auch beim Anblick einer roten Ampel weitergefahren. Hier hätten sie "erkannt und billigend in Kauf genommen, dass jemand durch ihre Raserei zu Tode kommen könnte". Trotzdem sei Vollgas gegeben worden. Das Bewusstsein einer Eigengefährdung sei durch den "Kick beim Rennen" ausgeblendet worden, zudem nehme bei zunehmender Geschwindigkeit die Gefährlichkeit für das eigene Auto eher ab. Berichte zur Entscheidung bringen u.a. SZ (Verena Mayer) und spiegel.de (Wiebke Ramm).

Christian Gottschalk (StZ) erinnert daran, dass der Bundesgerichtshof in seiner Aufhebungsentscheidung die Höchststrafe für "überdurchschnittliche Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr" für grundsätzlich zulässig gehalten habe. Die Gerichte werden rechtsfortbildend auch zukünftig auszuloten haben, welche Voraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen. Ariane Lemme (taz) begrüßt das Urteil als "hart", aber "genau richtig". Staatliches Strafen bezwecke auch die Abschreckung und diese sei nötig, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Nach dem Leitartikel von Reinhard Müller (FAZ) soll an den Verurteilten "kein Exempel statuiert werden", obgleich auf eine "Breitenwirkung" des Urteils zu hoffen sei.

Rechtspolitik

EU-Urheberrecht: Das EU-Parlament hat die Richtlinie zur Reform des Urheberrechts beschlossen. Berichte bringen u.a. netzpolitik.org (Alexander Fanta), Hbl (Heike Anger/Eva Fischer), SZ (Karoline Meta Beisel) und taz (Anne Fromm). Der SWR-RadioReportRecht (Bernd Wolf, Manuskript der Sendung) widmet dem "Glaubenskampf ums Urheberrecht" eine Sendung. lto.de (Maximilian Amos) stellt die besonders umstrittenen Neuregelungen und die speziell in Deutschland entflammte Diskussion über Sinn und Nutzen der Reform dar. Die gleichfalls diskutierte Idee, bei der nationalen Umsetzung in der Bundesrepublik auf Upload-Filter zugunsten verpflichtender Pauschallizenzen zu verzichten, ist nach der Einschätzung eines zitierten Experten "evident europarechtswidrig". Die Richtlinie bedürfe nun noch der Bestätigung im Rat. Nach einer Analyse von Markus Beckedahl (netzpolitik.org) schießt die Reform "mit der Schrotflinte auf die großen Plattformen", trifft dabei aber "vor allem zahlreiche kleine Plattformen". Die FAZ (Michael Hanfeld) behauptet dagegen, dass die Reform "eine Wegmarke" bei der Einhegung der Macht von Internetgiganten wie Google und Facebook sei.

Die FAZ (Hendrick Kafsack) bringt ein Porträt des "leisen Siegers" Axel Voss (CDU), zeit.de (Lisa Hegemann) ein solches der wohl profiliertesten Kritikerin der Reform, Julia Reda (Piraten).

Eva Fischer (Hbl) zählt in ihrem Kommentar Argumente gegen die Reform auf, betont aber gleichzeitig, dass es "eine ideale Lösung" nicht gebe und angesichts massenhafter Urheberrechtsverstöße im Netz ein Handlungsdruck bestanden habe. Thomas Kirchner (SZ) begrüßt die Reform als "ein weiteres wichtiges Stück europäischer Emanzipation", Anne Fromm (taz) ist demgegenüber der Ansicht, dass Alternativen sehr wohl vorhanden gewesen seien. Notwendig sei nach wie vor eine angemessene Besteuerung von "Google und Co". Nach Patrick Beuth (spiegel.de) verstehen die zustimmenden EU-Parlamentarier Digitalpolitik "vorrangig als Abwehrmittel gegen den Wandel". Meike Laaff (zeit.de) stößt sich vor allem an der Diskreditierung des massenhaften Protestes gegen die Reform. Diesem die Legitimität abzusprechen, sei "einfach nur eine Frechheit".

Verfassungsschutz-Befugnisse: Ein gegenwärtig in der Ressortabstimmung befindlicher Gesetzentwurf sieht erweiterte Befugnisse des Verfassungsschutzes vor. Der Behörde solle ermöglicht werden, Kommunikation auf Messenger-Diensten zu erfassen, zudem solle die bisherige Altersgrenze von 14 Jahren bei der Speicherung persönlicher Daten aufgehoben werden, schreiben deutschlandfunk.de (Gudula Geuther), SZ (Constanze von Bullion) und FAZ (Helene Bubrowski). Letzteres sei notwendig, um Extremisten ausfindig zu machen, die Kinder beeinflussten. Deren Daten sollten dann an die Jugendhilfe übermittelt werden.

Constanze von Bullion (SZ) äußert Verständnis für die Absicht, "den Dienst aus der digitalen Steinzeit" zu holen. Demgegenüber sei die beabsichtigte Datenspeicherung von Kindern "verfehlt" und "Unfug". Radikalisierten Kindern "müssen Therapeuten und Sozialarbeiter helfen, Geheimdienstleute sind da fehl am Platz".

Grundsteuer: Im Interview mit der taz (Martin Reeh) erläutert der Jurist und Direktor des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, Inhalt und Ausgestaltung einer Bodenwertsteuer als Modell für die reformierte Grundsteuer.

Strafschärfung bei Rückfall: Für den FAZ-Einspruch untersucht Rechtsprofessor Kai Ambos den jüngst von der AfD-Bundestagsfraktion vorgestellten "Entwurf eines Gesetzes zur Strafschärfung bei Rückfall". Das Vorhaben gehe mit der "Rückfallstatistik etwas locker um" und begründe auch nicht, wie es eine Rückfallreduzierung erreiche. Jenseits inhaltlicher Mängel verdiene der Entwurf vor allem wegen seiner "den Geist des nationalsozialistischen Strafrechts" atmenden Sprache und des entworfenen Modells eines gesinnungsorientierten Täterstrafrechts Aufmerksamkeit.

Abgekürzte Strafverfahren: Der aus renommierten Rechtsprofessoren bestehende Arbeitskreis Alternativ-Entwurf hat zu Beginn des Jahres einen Entwurf zu abgekürzten Verfahrensformen im Strafrecht vorgelegt. Für den FAZ-Einspruch stellt Rechtsprofessorin Elisa Hoven die Vorschläge dar. So solle die Verfahrenseinstellung unter Auflagen nach § 153a Strafprozessordnung durch eine Verwarnung, die mit Auflagen und Weisungen verbunden wird, abgelöst werden; anstelle des Strafbefehlsverfahrens eine richterliche schriftliche "Verurteilung ohne Hauptverhandlung" treten und Absprachen nach § 257c StPO durch eine "abgekürzte Verhandlung" ersetzt werden. Dem von den Autoren vertretenen "rechtsstaatlichen Purismus" dürften Praktiker in Gerichten und Staatsanwaltschaften kaum folgen, gleichwohl verdiene "das durchdachte und überaus sorgfältig formulierte Reformwerk" eine vertiefte Diskussion.

Whistleblower: Die Anwälte Nikolas Gregor und Alexander Leister stellen im FAZ-Einspruch Regelungen des jüngst vom Bundestag beschlossenen Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor, das bereits zum Ende des kommenden Monats in Kraft treten könnte.

Justiz

EuGH zur Sprache: Bei Stellenausschreibungen der EU dürfen sprachliche Beschränkungen nur dann erfolgen, wenn die Beschränkung angemessen, mit klaren, objektiven und vorhersehbaren Kriterien begründet sei und einem dienstlichen Interesse entspricht. In zwei vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fällen war dies nicht der Fall, meldet spiegel.de.

BVerwG – Einsatzkosten: In der mündlichen Verhandlung zur Kostentragungspflicht für Polizeieinsätze bei sogenannten Hochrisikospielen der Fußball-Bundesliga sei keine Entscheidungstendenz zu erkennen gewesen, schreibt die FAZ (Reinhard Bingener) über die mündliche Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht. Fragen des Gerichts hätten der Berechnungsgrundlage und der Bestimmtheit des Bremer Gebührengesetzes gegolten. Die in der Verhandlung von den Beteiligten vorgetragenen Argumente stellt die BadZ (Christian Rath) dar, tagesschau.de (Kolja Schwartz) bringt eine Übersicht der relevanten Rechtsfragen. Die Entscheidungsverkündung ist für den kommenden Freitag geplant.

OLG München – IS-Aktivistin: Ab dem 9. April muss sich eine aus Niedersachsen stammende Frau wegen Mordes und Kriegsverbrechen vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Die Angeklagte soll im Herrschaftsgebiet des IS den Tod einer in ihrer Obhut befindlichen 5-Jährigen pflichtwidrig nicht verhindert haben. Nun habe sich auch die leibliche Mutter des Kindes gemeldet, berichtet die SZ (Lena Kampf) exklusiv.

HessVGH zu Abschaltvorrichtung: Autofahrer, deren Diesel-Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung ausgestattet ist, müssen mit einer behördlichen Betriebsuntersagung rechnen. Ohne Durchführung von Updates entspreche die sogenannte "Schummel-Software" nicht der Typengenehmigung, stellte der Hessische Verwaltungsgerichtshof nach Meldung von lto.de klar.

LG Chemnitz – Fall Daniel H.: Im Verfahren zur Tötung von Daniel H. werden die Berufs- und Laienrichter des Landgerichts Chemnitz keine Angaben zu ihren politischen Einstellungen machen. Das Recht des Angeklagten auf eine Verhandlung vor einem unabhängigen und überparteilichen Gericht sei auch ohne entsprechende Mitteilungen gewahrt, schreibt lto.de über eine Erklärung der Vorsitzenden Richterin der Schwurgerichtskammer.

StA Frankfurt/M. - "NSU 2.0": Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/M. hat mitgeteilt, dass es sich bei dem vorgeblichen Durchsuchungsversuch in den Geschäftsräumen des Springer-Verlages am vergangenen Wochenende tatsächlich um eine "staatsanwaltschaftliche Eilanordnung" gehandelt habe, vermöge derer das Berliner Landeskriminalamt in ihrem Auftrag die Herausgabe von Nutzerdaten erwirken sollte. Diese seien bei den Ermittlungen zu den mit "NSU 2.0" unterschriebenen Drohbriefen benötigt worden, erläutert lto.de (Markus Sehl). taz (Konrad Litschko) und SZ (Jens Schneider) berichten ebenfalls.

Edith Kindermann: lto.de (Pia Lorenz) bringt ein großes Interview mit Edith Kindermann, in dem die neue Präsidentin des Deutschen Anwaltvereines unter anderem über ihre Spezialdisziplin anwaltliches Gebührenrecht, alternative Vergütungsmodelle für Anwälte, ihre Einstellung zu Legal Tech-Dienstleistern und die Bedeutung von Allgemeinanwälten für den Rechtsstaat spricht.

Recht in der Welt

Schweiz – Wirtschaftsspionage: Im Verfahren gegen Cum-Ex-Tippgeber vor dem Bezirksgericht Zürich rücke eine Haftstrafe der wegen Wirtschaftsspionage und Geheimnisverrats Angeklagten näher, schreibt die FAZ (Marcus Jung). Bereits am morgigen Donnerstag solle die Verteidigung plädieren, eine Entscheidung erfolge dann "zeitnah". Nach Sönke Iwersen (Hbl) schade das allein der Abschreckung dienende Verfahren "dem Ruf der Schweiz als Rechtsstaat". Nun wisse jeder Bankangestellte im Land: "wer den Mund aufmacht, dem wird er gestopft".

USA – Opioide: Im US-Bundesstaat Oklahoma hat sich der Pharmakonzern Purdue Pharma zu einer Strafzahlung von 270 Millionen Dollar bereiterklärt. Eine Klage gegen den Hersteller des Schmerzmittels Oxycontin, das für die Verbreitung der Opioid-Epidemie im Land verantwortlich gemacht wird, entfalle damit, berichtet zeit.de. Purdue sehe sich in anderen Staaten aber "einer Prozesswelle" gegenüber.

Australien – Journalisten: Wegen Missachtung einer gerichtlich angeordneten Nachrichtensperre während des Prozesses gegen den mittlerweile verurteilten Kardinal Pell sind in Australien 23 Journalisten angeklagt worden, meldet die SZ. Für Steffen Grimberg (taz) stellen derartige Anordnungen "immer eine Einschränkung der Pressefreiheit" dar. Hiergegen vorzugehen, sei "gut und richtig".

VAE – Sorgerecht: In einer Seite-Drei-Reportage beschreibt die SZ (Dunja Ramadan) den Kampf eines nach Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgewanderten Berliners, der sich nach der Trennung von seiner Frau um ein geteiltes Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder bemüht. Viele Expats würden die Geltung der Scharia im Land ausblenden. Im Trennungsfall weise das Rechtssystem die Fürsorgepflicht für Kinder den Müttern zu.

Sonstiges

Völkerrechtliches Gewaltverbot: In einem ausführlichen ersten Teil einer auf zwei Teile angelegten Übersicht beschreibt Rechtsprofessor Claus Kreß im FAZ-Einspruch aktuelle und vergangene Entwicklungen zum völkerrechtlichen Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 UN-Charta.

Legal Tech und Schiedsverfahren: Rechtsanwältin Anke Sessler formuliert für den FAZ-Einspruch Thesen zum Gebrauch von Legal Tech in Schiedsverfahren.

Digitale Mandantenakquise: Diplom-Betriebswirtin Liane Allmann stellt auf lto.de die Notwendigkeit für Kanzleien dar, Mandate auch digital zu akquirieren und erklärt Wege, wie dies zu bewerkstelligen ist.

Das Letzte zum Schluss

Teure Party: Bereits zum zweiten Mal musste die örtliche Polizei eine von einem 16-Jährigen über WhatsApp organisierte Massenparty an einer öffentlichen Grillstelle mit ca. 150 Teilnehmern auflösen. Der Teenager aus der Nähe von Heilbronn hatte bereits im vergangenen Oktober auf die gleiche Weise die Bekanntschaft gemacht. Nun müsse er bzw. seine Eltern für die Einsatzkosten von rund 2.000 Euro aufkommen, berichtet SZ.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.  

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. März 2019: 2. Mord-Urteil gegen Raser / Urheberrechtsreform auf dem Weg / Präsidentin Kindermann . In: Legal Tribune Online, 27.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34599/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen