Die juristische Presseschau vom 24. November 2016: Kein Asyl für syri­sche Flücht­linge? / Wahl­fach Legal Tech? / Straf­tat­be­stand gegen Scharia-"Polizei"?

24.11.2016

Das OVG Schleswig will syrische Flüchtlinge im Normalfall nur subsidiär schützen. Außerdem in der Presseschau: Diskussion um Scharia-"Polizei", StA Köln ermittelt wegen NSU-Aktenvernichtung und Vorschlag für ein Wahlfach Legaltech.

Thema des Tages

OVG Schleswig zu syrischen Flüchtlingen: Allein der Auslandsaufenthalt und die Asylantragstellung eines syrischen Flüchtlings reichen nicht aus, um Asyl zu gewähren – vielmehr bedürfe es besonderer Anhaltspunkte einer politischen Verfolgung. Mit dieser Entscheidung bestätigte das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht die Praxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Syrer sollen im Normalfall nur subsidiären Schutz erhalten. Das Gericht sieht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die syrische Regierung Rückkehrer aus westlichen Ländern grundsätzlich zur Opposition zählt und politisch verfolgt. Bislang hatten die Verwaltungsgerichte in der ersten Instanz hier unterschiedliche Auffassungen vertreten, wobei überwiegend Asyl gewährt wurde. Dies ist die erste Entscheidung eines OVG in dieser Sache. Die Revision ist nicht zugelassen. Die SZ (Wolfgang Janisch) schreibt, das Urteil komme angesichts der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte einigermaßen überraschend. Auch die Welt (Marcel Leubecher) und lto.de (Tanja Podolski) berichten.

Subsidiär Geschützte dürfen erst nach zwei Jahren ihre Familie nachholen – syrische Flüchtlinge müssen daher mit gravierenden Folgen rechnen, wenn sich die Rechtsauffassung des OVG durchsetzt, mahnt Klaus Hempel (tagesschau.de). Er hebt hervor, dass die unteren Verwaltungsinstanzen die Situation anders beurteilten und empfindet es als sehr unbefriedigend, dass es hier keine einheitliche Rechtsprechung gebe. Diese könne nur vom Bundesverwaltungsgericht kommen. Hempel weist darauf hin, dass die Beschwerdefrist gegen die Nichtzulassung der Revision noch einen Monat laufe. Auch Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) betont, es gehe hier eigentlich nicht um die möglichen Übergriffe durch den syrischen Staat, sondern darum, dass die nach Deutschland geflüchteten Syrer auch ihre Familie in Sicherheit bringen könnten. Der verspätete Familiennachzug für subsidiär Schutzwürdige verstoße gegen den besonderen Schutz der Familie. Eine Entscheidung aus Leipzig wäre gut für Rechtsklarheit. Aber hier sei eigentlich der Gesetzgeber gefragt.

Rechtspolitik

Kinderrechte ins Grundgesetz: "Kinder und Jugendliche haben als eigenständige Persönlichkeiten ein Recht auf Achtung ihrer Würde, auf gewaltfreie Erziehung und besonderen Schutz" – so könnte eine Ergänzung von Artikel 6 Grundgesetz klingen. Die FAZ (Mona Jaeger) erklärt, warum dies nicht nur Symbolpolitik wäre. Das Verfassungsrecht entwickle eine "Strahlkraft in die gesamte Gesellschaft". Zudem überwögen Elternrechte Kinderrechte derzeit auch deswegen, weil sich erstere im GG finden.

Datenschutzreform: Thomas de Maizière (CDU) plant, Kontrollrechte von Datenschutzbehörden und Bürgern einzuschränken – Geheimnisträger sollen nicht mehr darauf hin geprüft werden, ob sie Daten bewusst weitergeben. Möglich sei dies durch einen Interpretationsspielraum der EU-Datenschutzverordnung, schreibt die SZ (Kristiana Ludwig) und stellt den Gesetzentwurf vor. Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz moniert eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Straftatbestand für Scharia-"Polizei": "Soll die Scharia-Polizei bestraft werden?" Zu dieser Frage stellt die Zeit zwei konträre Positionen vor: "Ja", meint Jochen Bittner. Es bestehe eine Regelungslücke im Strafrecht. Denn obwohl die Salafisten in Warnwesten "karnevalesk" anmuten können, enthalte ihr Auftreten genug Gewalt, um verhaltensändernd zu wirken. Sie signalisierten, dass sie Regeln trotz der Exekutivgewalt des Staats notfalls mit Zwang durchsetzen wollten. Der Weg über das Strafrecht sei verhältnismäßig: Der liberale Rechtsstaat habe dort, "wo dessen Grundlagen angegriffen werden", "scharfe Grenzen" zu ziehen. "Nein", antwortet hingegen Heinrich Wefing: "Würde der Rechtsstaat sich für alle Spinner einen eigenen Straftatbestand überlegen – er würde kollabieren." Auch salafistische Ideologen könnten daher den öffentlichen Raum nutzen, solange sie keine Gewalt anwendeten – denn dann kennte auch das Strafrecht eine Antwort. Bis dahin gebe es keine Rechtslücke, sondern "Freiheit".

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. November 2016: Kein Asyl für syrische Flüchtlinge? / Wahlfach Legal Tech? / Straftatbestand gegen Scharia-"Polizei"? . In: Legal Tribune Online, 24.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21286/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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