Die juristische Presseschau vom 21. Februar 2018: Neu­trale Bewer­tungen / Mas­ku­line For­mu­lare / Die­sel­freie Innen­städte?

21.02.2018

Der BGH bemängelt die Neutralität des Ärzte-Bewertungsportals Jameda. Außerdem in der Presseschau: BGH verhandelt zu generischem Maskulinum in Bankformularen und vor der Fahrverbote-Entscheidung des BVerwG steigt die Spannung.

Thema des Tages

BGH zu Bewertungsportal: Eine Kölner Ärztin hat vor dem Bundesgerichtshof die Löschung ihres Eintrags im Bewertungsportal Jameda durchgesetzt. Das Portal habe durch die Präsentation des Eintrags, gegenüber dem die Einträge von bezahlenden Konkurrenzärzten hervorgehoben wurden, seine Stellung als "neutraler Informationsvermittler" verlassen und das Recht der Klägerin auf ihre informationelle Selbstbestimmung verletzt, berichtet die SZ (Wolfgang Janisch) über das Urteil. Massenhafte Löschungen von Profilen werde die Entscheidung wohl nicht nach sich ziehen. Jameda hätte die beanstandete Anzeige anderer Ärzte umgehend abgeschaltet. Im Übrigen habe der BGH auch an seine Entscheidung aus dem Jahr 2014 erinnert. An den dort aufgestellten Grundsätzen der Zulässigkeit neutraler Ärztebewertungen werde nach wie vor festgehalten. Berichte zur Entscheidung und auch zur Reaktion der Plattformbetreiber bringen unter anderem die Welt (Benedikt Fuest), taz (Christian Rath), FAZ (Kim Björn Becker/Constantin van Lijnden, Zusammenfassung auf faz.net), tagesschau.de (Christoph Kehlbach) und swr.de (Klaus Hempel). Für lto.de stellt Rechtsanwalt Paetrick Sakowski den Fall, die Rechtslage und die Konsequenzen der Entscheidung dar.

Die rasche Reaktion des beklagten Portals belege, "wie gut das zum Medienkonzern Burda gehörende Unternehmen in der Disziplin 'Litigation PR'" aufgestellt ist, schreibt Rechtsanwalt David Ziegelmayer in einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch. Inwiefern dagegen bislang zahlende Ärzte das Portal weiter nutzen würden, wenn sie "nun nicht mehr in den Genuss einer bevorzugten Darstellung" kämen, stehe auf einem anderen Blatt. Nach der Einschätzung von Eike Kühl (zeit.de) wird das Urteil "an der im Internet weit verbreiteten Benoteritis" wohl nichts ändern. Internetnutzer könnten der im Netz vorherrschenden Bewertungsökonomie zwar nicht entfliehen, wegen mangelnder Transparenz aber wenigstens lernen, Bewertungen kritisch wahrzunehmen. Für Wolfgang Janisch (SZ) bringt die Entscheidung die Geschäftsinteressen der Betreiber von Bewertungsportalen in den Fokus. Ungelöst bleibe dagegen der Umgang mit unzutreffenden Bewertungen. Letztlich würden diese Abwehransprüche ebenso wie Transparenz und Neutralität von Portalen als "wesentliche Eckpunkte des Bewertungswesens" gesetzlich geregelt werden müssen.

Rechtspolitik

Verfassungsrichter: Auch die FAZ (Helene Bubrowski/Reinhard Müller) wirft nun einen Blick auf die in einigen Monaten anstehende Wahl für den durch das Ausscheiden von Michael Eichberger frei werdenden Verfassungsrichterposten. Mittlerweile mehrten sich bei den großen Parteien Stimmen, nach denen die Grünen auf das ihnen zugesicherte Vorschlagsrecht noch einmal verzichten sollten.

NetzDG: Udo Vetter (lawblog.de) diskutiert einen als Alternative zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz vorgestellten Entwurf von Rechtsprofessor Dirk Heckmann.

Prozessverschleppung: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch illustriert Joachim Jahn am Beispiel des beim Oberlandesgericht Celle anhängigen Musterverfahrens von Kapitalanlegern gegen Porsche und VW, dass Blockadestrategien auch im Zivilprozess "ihren Platz" hätten. Analog zu der im Koalitionsvertrag der mutmaßlich kommenden Großen Koalition vereinbarten Vereinfachung von Ablehnungsmöglichkeiten missbräuchlicher Befangenheits- und Beweisanträge sollten nach Ansicht des Autors auch für das Zivilprozessrecht vergleichbare Schritte unternommen werden.

Justiz

BVerfG zu Meinungsfreiheit: In einem nun veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht im Januar die Verurteilung eines Webseitenbetreibers wegen der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Berlin verwiesen. Das Tatgericht habe bei der Würdigung der fraglichen Äußerung, einer abfälligen Bemerkung über einen 1952 in der DDR Hingerichteten, den politischen Kontext zu berücksichtigen. Dieser sei nach den Karlsruher Richtern in einer Kritik des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit zu erkennen, so der Tsp (Jost Müller-Neuhof) über die jetzige Entscheidung.

BGH – Generisches Maskulinum: Über die mündliche Verhandlung am Bundesgerichtshof zur Zulässigkeit der Verwendung des generischen Maskulinums in Bankformularen berichten taz (Christian Rath), FAZ (Constantin van Lijnden) und lto.de (Hasso Suliak), jeweils auch zu den vorgetragenen Argumenten. Die Urteilsverkündung ist für Mitte März angekündigt. Nach dem Kommentar von Heide Oestreich (taz) zieht sich durch die abweisenden Urteile der unteren Instanzen "wie ein roter Faden die Leugnung der umfassenden historischen Benachteiligung von Frauen, die sich selbstverständlich auch in der Sprache niedergeschlagen hat". Man dürfe gespannt sein, wie lange sich die Justiz noch weigere, den zweiten Satz von Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz "auch anzuwenden".

BGH zu Syndikusanwälten: Dem Gastbeitrag des Akademischen Rats Christian Deckenbrock für den FAZ-Einspruch liegen die Entscheidungsgründe der bislang erst zweiten Entscheidung des als Berufungsinstanz zuständigen Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs zum 2016 grundlegend umgestalteten Recht der Syndikusanwälte vor. Im Fall wurde die beantragte Zulassung als Syndikusrechtsanwalt versagt, weil der Kläger als Betriebsrat von seiner beruflichen Tätigkeit vollständig befreit ist. Dem stünde nach Ansicht des BGH auch das Benachteiligungsverbot für Betriebsräte nicht entgegen. Der Autor betont die Notwendigkeit, bei der zum 31. Dezember vorgesehenen Evaluierung des Gesetzes eine "befriedigende" gesetzliche Lösung für Tätigkeitsunterbrechungen zu finden.

BGH – Kannibalismus: Der Bundesgerichtshof verhandelt am heutigen Mittwoch erneut zu einem Kannibalismus-Fall, bei dem das Landgericht Dresden wegen Mordes bereits zum zweiten Mal eine zeitige Freiheitsstrafe aussprach. Wegen des ausdrücklichen und freiverantwortlichen Sterbeverlangens des Opfers sei eine lebenslange Freiheitsstrafe unverantwortlich, gibt Rechtsprofessor Jörg Scheinfeld im FAZ-Einspruch die Ansicht des Dresdner Gerichts wieder, in dessen Argumentation "mehr Weisheit als in der formalen" Auffassung des BGH liege. In seiner ersten Entscheidung zum Fall habe dieser die "allein richtige" Behandlung derartiger Fälle als Tötung auf Verlangen ausgeschlossen.

BGH zu Amazon-Warensuchmaschine: Am vergangenen Donnerstag entschied der Bundesgerichtshof in zwei Verfahren, dass die von der Plattform verwendete Such- und Autocomplete-Funktion grundsätzlich auch dann nicht markenrechtsverletzend wirkt, wenn potentielle Käufer durch sie auf günstigere Konkurrenzartikel hingewiesen werden. Die Fälle werden nun auch von Rechtsanwältin Andrea Schmoll auf lto.de vorgestellt.

BVerwG – Fahrverbote: Vor der am morgigen Donnerstag anstehenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu möglichen Fahrverboten für Diesel-Fahrzeuge in Düsseldorf und Stuttgart interviewt der FAZ-Einspruch (Corinna Budras) Rechtsanwalt Remo Klinger. Der Vertreter der Deutschen Umwelthilfe (DUH) spricht über denkbare Entscheidungsszenarien, die Verantwortung der DUH für etwaige Fahrverbote und Versäumnisse der Politik. Zu diesen zählt der Anwalt auch die vom Verwaltungsgericht München mit einem Zwangsgeld gerügte Untätigkeit der Bayerischen Staatsregierung bei der angeordneten Vorbereitung eines Fahrverbots. Über die von Klinger beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit dem Ziel der Androhung einer Zwangshaft eingelegte Beschwerde berichtet die taz (Christian Rath). Die wichtigsten Aspekte der anstehenden Entscheidung des BVerwG fasst die FAZ (Marlene Grunert/Kerstin Schwenn) in Frage-und-Antwort-Form zusammen.

OLG München – Terrorismus: Fünf der zehn wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland vor dem Oberlandesgericht München Angeklagten sind nun vorläufig auf freien Fuß gesetzt worden. Das Gericht vermochte bei den Betroffenen keine Verdunkelungsgefahr mehr erkennen, meldet die SZ (Annette Ramelsberger), auch eine Fluchtgefahr sei nicht mehr vordringlich.

OLG München zu Maffay-Freudin: Die Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung von Strand-Fotos der Lebensgefährtin von Peter Maffay und dem Bauer-Verlag ist am Oberlandesgericht München durch einen Vergleich beendet worden. Einzelheiten, auch zur Entscheidung der Vorinstanz, berichtet die FAZ (Karin Truscheit).

LG Köln zu "wir-sind-afd.de": Das noch nicht rechtskräftige Urteil des Landgerichts Köln, nach dem der Betreiber der AfD-kritischen Webseite "wir-sind-afd.de" die verwendete Domain aufgeben muss, wird nun auch von taz.de (Christian Rath) vertieft dargestellt.

AG Hamburg-Altona – G-20-Ausschreitungen: Das gegen den Italiener Fabio V. am Amtsgericht Hamburg-Altona wegen schweren Landfriedensbruchs laufende Verfahren droht nach dem Bericht von spiegel.de (Ansgar Siemens) zu platzen. Die Richterin beginne in der zweiten Märzwoche ihren Mutterschutz. Nach dem bisherigen Prozessverlauf sei ein Abschluss bis dahin unwahrscheinlich.

StA Landau – Kandel: Nach einem Gutachten der Staatsanwaltschaft Landau in der Pfalz ist der wegen Mordes in einem Drogeriemarkt in Kandel Beschuldigte wahrscheinlich etwa 20 Jahre alt. Die Anklagebehörde gehe damit von einem Heranwachsenden aus, schreibt die FAZ (Alexander Haneke).

Recht in der Welt

EuGH – Polnischer Urwald: Polnische Genehmigungen für Abholzungen im Urwald Białowieża verstoßen nach der Einschätzung von Generalanwalt Yves Bot gegen EU-Recht. Dies berichtet die SZ (Daniel Brössler). In einem separaten Kommentar begrüßt Daniel Brössler (SZ) die Ankündigung der polnischen Regierung, das anstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofs respektieren zu wollen. "Noch besser" wäre es aber, wenn sie auch "im eigenen Land eine unabhängige Justiz respektierte".

EuGH – Red Bull: Im Recht-und-Steuern-Teil der FAZ macht Rechtsanwalt Carsten C. Albrecht in einem Gastbeitrag auf eine anstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Markenfähigkeit der vom Getränkehersteller Red Bull beanspruchten Farbkombination Blau und Silber aufmerksam. Im Sinne eines fairen Wettbewerbs sei auf eine stattgebende Entscheidung zu hoffen. Das Unternehmen habe unter großem finanziellen Aufwand die Farbmarke etabliert, umso unverständlicher sei die Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union, die Farbmarke wegen nicht ausreichender Definition wieder zu löschen.

Rumänien – Korruption: In Rumänien spitzt sich nach Bericht der FAZ (Reinhard Veser) der Konflikt zwischen der Regierung und der Antikorruptionsbehörde DNA (Direcția Națională Anticorupție) weiter zu. In den nächsten Tagen wolle der Justizminister des Landes einen Bericht über angebliche Rechtsverstöße der Behörde vorlegen.

China – Anwälte: In einer gemeinsamen Erklärung fordern 56 chinesische Anwälte ihre Regierung auf, wie angekündigt den Aufbau einer unabhängigen und modernen Justiz zu fördern. Wie die taz (Felix Lee) schreibt, steht die Erklärung im Zusammenhang mit der jüngsten Lizenzentziehung mehrerer prominenter Menschenrechtsanwälte.

Sonstiges

Roland Koch: Der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sieht sich einer bislang unbezifferten Schadensersatzforderung seines späteren Arbeitgebers Bilfinger gegenüber. Wie Hbl (Maike Freund) und SZ (Stefan Mayr) schreiben, will der Baukonzern Koch und weitere ehemalige Vorstände für die Kosten eines nicht ordnungsgemäß eingeführten Compliance-Systems haftbar machen.

Betriebsratswahlen: In Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage ist eine Online-Wahl zur Ermittlung von Betriebsräten nichtig. Diese im vergangenen Juni vom Arbeitsgericht Hamburg getroffene Feststellung und weitere auf Arbeitgeber lauernde "Fallstricke" bei der Durchführung von Betriebsratswahlen stellen die Anwälte Laura Matarelli und Frederik Möller in einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch dar.

Staatsschulden: Die FAZ (Friedemann Bieber) stellt in ihrem Forschung-und-Lehre-Teil Ideen zum verbesserten Umgang mit Staatsschulden vor. Idealistische Ansätze, nach denen etwa bei Ausgabe von Staatsanleihen vereinbart werden könnte, dass Ansprüche verfallen, wenn Gelder durch Diktatoren veruntreut werden, hätten wohl keine Chance. Verbindliche Regelungen im Sinne eines Insolvenzrechts für Staaten ließen sich dagegen wohl nur innerhalb eines Währungssystems verwirklichen.

Das Letzte zum Schluss

Hochzeitsfotos: Ob die Fotos vom vermeintlich schönsten Tag des Lebens nun wirklich gelungen sind, entscheidet sich häufig nach Details, Zufällen oder vielleicht auch einfach dem besonderen persönlichen Geschmack. Relativ eindeutig ging dagegen die von einem britischen Gericht getroffene Entscheidung zur Schadensersatzklage eines Ehepaars aus. Wie spiegel.de berichtet, sei jedes dritte der 1.600 angefertigten Bilder unscharf gewesen, der weitaus größte Teil der übrigen Bilder habe dagegen die Brautjungfern bzw. bestimmte Körperregionen der beiden Frauen gezeigt.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. Februar 2018: Neutrale Bewertungen / Maskuline Formulare / Dieselfreie Innenstädte? . In: Legal Tribune Online, 21.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27127/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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