Die juristische Presseschau vom 18. Mai 2021: Völ­ker­recht bei Nahost-Mili­tär­schlägen / Frag­wür­dige Aus­lie­fe­rungen nach Russ­land / Verrat bei Ber­liner Justiz?

18.05.2021

Israels Militärschläge gegen die Hamas sind vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt. Die FAZ warnt vor zu viel Vertrauen in das russische Justizsystem. Attila Hildmann wurde wohl aus der Justiz über einen frischen Haftbefehl informiert.

Thema des Tages

Israel/Palästina – Völkerrecht: Die SZ (Paul-Anton Krüger) bewertet den militärischen Schlagabtausch zwischen der Hamas und der israelischen Armee. Die Hamas habe kein Recht, militärisch gegen völkerrechtswidrige israelische Hausräumungen in Ost-Jerusalem vorzugehen. Deshalb seien die Raketenangriffe der Hamas illegal. Israel habe hiergegen ein Selbstverteidigungsrecht. Dabei seien auch Angriffe auf Hamas-Stellungen in Wohngebieten zulässig, wenn die Kollateralschäden (d.h. die zivilen Opfer) nicht in einem krassen Missverhältnis zum militärischen Nutzen stehen. 

Rechtspolitik

Antisemitismus und Strafrecht: Jost Müller-Neuhof (Tsp) hält es für richtig, dass die Zusendung von hetzenden Botschaften nicht mehr hingenommen wird, weil dies als Email nicht einmal mehr eine Briefmarke koste. "Strafe muss sein, aber sie war noch nie eine Lösung. Für nichts", warnt Müller-Neuhof. Das neue Delikt "verhetzende Beleidigung" sei auch kein Rezept gegen judenfeindliche Ressentiments. 

Die taz (Christian Rath) gibt einen Überblick über Strafnormen, mit denen antisemitische Hetze bestraft werden kann. In einem separaten Kommentar beschreibt Christian Rath (taz) anhand der vor einem einem Jahr eingeführten Strafbarkeit des Verbrennens ausländischer Flaggen, wie schwer es sei, legale Kritik an der israelischen Regierung von strafbarer antisemitischer Hetze abzugrenzen. 

Kinderrechte ins Grundgesetz: Bei einer Bundestags-Anhörung zum Regierungsentwurf übten Sachverständige überwiegend Kritik, so sz.de. So sei es nicht ausreichend, wenn Kinderrechte vom  Staat nur "berücksichtigt" werden. Im Leitartikel empfiehlt Wolfgang Janisch (SZ) der Opposition, bei ihrer ablehnenden Haltung zu bleiben, um damit eine Grundgesetzänderung zu verhindern. "Denn mit dem Regierungsentwurf in der aktuellen Form haben Kinder nichts zu gewinnen. Aber sie haben etwas zu verlieren – nämlich die Chance auf ihre echte Aufwertung im Grundgesetz." Es fehle ein Recht der Kinder auf Partizipation.

TKÜ Verfassungsschutz: Über eine Bundestags-Anhörung zur Novelle des Verfassungsschutzgesetzes berichtet die FAZ (Helene Bubrowski). Im Mittelpunkt stand die geplante Befugnis, Messenger-Kommunikation mit Hilfe von Staatstrojanern an der Quelle zu überwachen. Dabei sagte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang, es sei nicht intendiert, hierbei Sicherheitslücken auszunutzen. 

Lieferketten und Menschenrechte: Der Bundestag hat die für Donnerstag geplante Beschlussfassung über das Lieferkettengesetz aus noch unbekannten Gründen von der Tagesordnung abgesetzt, berichtet die FAZ (Manfred Schäfers), die auch über die gespaltenen Experten-Stellungnahmen in der Bundestags-Anhörung informiert. 

Das Hbl (Frank Specht) berichtet über eine Studie des Entwicklungsministeriums, wonach die Kostenbelastung durch das Gesetz für die Unternehmen minimal sein werde.

Heike Göbel (FAZ) kritisiert das Vorhaben: "Das Gesetz liefert Unternehmen großer Rechtsunsicherheit aus, ohne dass sie die Politik vor Ort groß ändern könnten."

Umsetzung EU-Urheberrecht: Der Anwalt Albrecht Conrad kritisiert im FAZ-Einspruch den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsnovelle, der bald im Bundestag beschlossen werden soll. Die vielen nationalen Sonderwege hälfen weder den Nutzer:innen noch den Kreativen und den Verwertern. Sie schwächten nur die EU-Wirtschaft im Wettbewerb mit den USA und China. 

Transsexualität: Thomas Thiel (FAZ) kritisiert im Feuilleton Gesetzentwürfe von Grünen und FDP zum Transsexuellengesetz, die am Mittwoch im Bundestag diskutiert werden. Künftig solle jeder jährlich sein Geschlecht "durch einen reinen Sprechakt" ändern können. Auch Kinder ab 14 sollen gegen den Willen ihrer Eltern über einen hormonellen und operativen Geschlechtswechsel entscheiden dürfen. Kinder würden hier zum Experimentierfeld der Pharmaindustrie und ideologischer Interessen gemacht, "an deren Folgen sie mitunter ihr Leben lang leiden werden".

Die Abgeordnete Doris Achelwilm (Linke) fordert im Interview mit der taz (Patricia Hecht) einen gesetzlichen Leistungsanspruch von Transpersonen gegenüber den Krankenkassen auf Hilfsmittel wie Perücken und Kompressionswesten, dauerhafte Haarentfernung sowie chirurgische Eingriffe im Brust- und Genitalbereich. Gleichzeitig soll vor der Bewilligung von geschlechtsangleichenden Maßnahmen keine Psychotherapie mehr verlangt werden dürfen. Dies sei eine "unnötige, unwirksame Zwangstherapie".

Verfassungsfeindliche Richter: LTO (Markus Sehl) stellt Regelungen der Länder vor, mit denen sie verhindern wollen, dass Verfassungsfeinde Richter:innen oder Staatsanwält:innen werden können. In Mecklenburg-Vorpommern wurde gerade per Gesetz eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz eingeführt, die über das bisher in Bayern praktizierte Modell hinausgehe. In Sachsen setzt die Prüfung schon bei der Ausbildung an. Baden-Württemberg plädiert für eine bundesweite Regelung, die die Verfassungstreue zur Ernennungsvoraussetzung für Schöffen macht.

Justiz

Auslieferung nach Russland: Die FAZ (Marlene Grunert/Friedrich Schmidt) stellt die Zusammenarbeit mit Russland bei Auslieferungen in Frage. Die Verhältnisse insbesondere in Tschetschenien seien auch im Bereich der nicht-politischen Kriminalität nicht so rechtsstaatlich, wie es die deutsche Justiz annehme. Es sei dort z.B nicht unüblich, dass unliebsamen Personen von der Polizei Drogen untergeschoben werden, um sie aus dem Verkehr zu ziehen. 

StA Berlin – Geheimnisverrat an Hildmann: Bei der Staatsanwaltschaft Berlin läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Verrats von Dienstgeheimnissen gegen unbekannt. Es gibt Indizien, dass der Verschwörungsideologe Attila Hildmann im Februar aus der Justiz von einem gegen ihn verhängten Haftbefehl gewarnt worden war, berichtet die SZ (Ronen Steinke/Florian Flade). Hildmann habe von dem an einem Freitagnachmittag von einer Richterin unterzeichneten Haftbefehl bereits vor der Staatsanwaltschaft gewusst. Hildmann, dem u.a. Volksverhetzung vorgeworfen wird, war da aber schon in die Türkei geflüchtet. 

BVerfG – EZB-Anleihekauf: An diesem Dienstag will das Bundesverfassungsgericht bekanntgeben, ob es gegen die Bundesbank eine Vollstreckungsanordnung erlässt, wonach diese sich aus dem Anleiheankaufprogramm der Europäischen Zentralbank zurückziehen müsste. Die Kläger Peter Gauweiler und Bernd Lucke hatten dies beantragt, um das EZB-Urteil des BVerfG aus dem Mai 2020 durchzusetzen. Die EZB geht jedoch davon aus, dass sie die Verhältnismäßigkeit des Anleihe-Ankaufprogrammes nachgewiesen habe. Es berichten die Welt und handelsblatt.com.

BFH – Rentenbesteuerung: Der Bundesfinanzhof verhandelt am morgigen Mittwoch über zwei Fälle, bei denen der Vorwurf im Raum steht, dass die Rentenbeiträge, die aus dem versteuerten Einkommen gezahlt wurden, höher ausfielen als der steuerfreie Teil der Rentenzahlung. Falls der BFH eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung annimmt, müsste er den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Laut dem Vorbericht der FAZ (Corinna Budras) haben bereits 142.000 Rentner:innen geklagt. 

OLG Celle zu Notarspflichten bei Nachlassverzeichnissen. Ein Notar darf sich bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses nicht allein auf Angaben der Erben verlassen, sondern muss eigene Nachforschungen anstellen, zum Beispiel bei Banken nach weiteren Konten fragen. Dies entschied das Oberlandegericht Celle laut LTO in zwei Verfahren, bei denen es um die Berechnung des Pflichtteils für enterbte Angehörige ging. 

FG Münster zu Hundezucht und Umsatzsteuer: Eine Frau, die über Jahre hinweg Hunde züchtete und verkaufte, ist umsatzsteuerpflichtig, entschied laut LTO das Finanzgericht Münster. Die Frau hatte argumentiert, wegen der hohen Auflagen des Zuchtverbandes habe sie hohe Kosten und könne die Hundezucht nicht gewinngbringend betreiben, es handele sich deshalb nur um ein Hobby. Das FG stellte dagegen auf ihren professionellen Marktauftritt ab. 

LG Frankfurt/M. – Cum-Ex/Maple Bank: Am Landgericht Frankfurt/M. hat der Strafprozess gegen fünf Ex-Manager der Maple Bank wegen schwerer Steuerhinterziehung begonnen. Die Staatsanwaltschaft verlas die Anklage. Ex-Bank-Chef Wolfgang Schunk übernahm Verantwortung. Ein Mitangeklagter räumte ein: "Der Profit aus diesen Geschäften kam aus der Steuererstattung", berichtet die SZ (Jan Willmroth).

In einem Kommentar stellt Marcus Jung (FAZ) fest, dass die Abtrennung der Verfahren gegen Steueranwalt Ulf Johannemann und einen Kollegen zwar aus coronabedingten Gesichtspunkten richtig war. "Damit wurden dem Prozess aber wichtige Informationen entzogen". 

LG Hamburg – Zugriff auf Polizeidaten: Eine spielsüchtige Polizistin gestand vor dem Landgericht Hamburg, dass sie 2018 und 2019 rund zehn Mal Daten aus dem Polizeicomputer abgerufen habe, um sie gegen Bezahlung dem Betrüger "Milliarden Mike" auszuhändigen. Der Betrüger ist wegen Bestechung angeklagt, die Polizisten wegen Bestechlichkeit, berichtet spiegel.de.

LG Erfurt – Nazi-Angriff von Ballstädt: Elf Rechtsextremist:innen müssen sich vor dem Landgericht Erfurt zum zweiten Mal wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung verantworten. Sie hatten 2014 eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt angegriffen. Ein erstes Urteil hatte der Bundesgerichtshof wegen Begründungsmängeln aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft schlug nun eine Verständigung – Geständnis gegen Bewährungsstrafe – vor. Die Vorsitzende Richterin stimmte dem zu, berichtet die taz (Konrad Litschko), worauf die Nebenklage-Anwält:innen Befangenheitsanträge gegen alle Richter:innen stellten. Bei lebensgefährlichen Angriffen sei eine Gefängnisstrafe unerläßlich. 

AG Berlin-Tiergarten – Missbrauch durch Arzt: Im Prozess gegen den Berliner Arzt Heiko J. wegen sexuellen Missbrauchs an männlichen Patienten in seiner Praxis sagte einer der Belastungszeugen aus. Der Arzt habe ihn am Penis angefasst und zur Ejakulation gebracht. Er habe das Erlebnis nicht als Missbrauch erlebt. "Für mich war das einfach ein Arzt, der eine rote Linie überschreitet. Und gut ist", sagte er vor Gericht. Der Arzt bestritt den Vorfall, berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm)

AG Bremen-Blumenthal – Selbstjustiz nach RTL-Sendung: Das Amtsgericht Bremen-Blumenthal hat die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung gegen ein RTL-Film-Team nicht zugelassen. Den Reportern war vorgeworfen worden, dass sie durch die mangelhafte Anonymisierung eines Wohnblocks in ihrem Beitrag einen selbstjustiz-artigen Angriff auf einen unschuldigen Mann ausgelöst hatten, den die Angreifer für einen Pädophilen hielten. Diesen Angriff konnte das Film-Team jedoch nicht vorhersehen, entschied das Amtsgericht laut FR (Eckehard Stengel).

Recht in der Welt

Großbritannien – Radovan Karadžić: Der vom Jugoslawien-Tribunal verurteilte einstige bosnische Serbenführer Radovan Karadžić will verhindern, dass er seine lebenslange Haft in Großbritannien verbüßen muss. Er fürchtet Angriffe durch inhaftierte Islamisten, berichtet die FAZ (Michael Martens)

Irland – Facebook/Datentransfers: netzpolitik.org (Denise Stell) berichtet über ein Urteil des Obersten Gerichtshofs Irlands von voriger Woche. Der österreichische Datenschutz-Aktivist Max Schrems hat erreicht, dass die Irische Datenschutzbehörde eine zweite Untersuchung gegen Facebook einleiten kann, um Facebooks EU-US-Datentransfers zu stoppen. Schrems wird mit der Aussage zitiert: "Nach acht Jahren ist die DPC nun verpflichtet, Facebooks EU-US-Datentransfers zu stoppen, wahrscheinlich noch vor dem Sommer."

USA – Bayer: Ein Berufungsgericht in San Francisco bestätigte ein Urteil, wonach Bayer einem Kläger insgesamt gut 25 Millionen Dollar Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Pestizid Glyphosat bezahlen muss, berichtet die taz (Jost Maurin), die auch einen Überblick über den Stand der Prozesse gibt. Damit habe Bayer den zweiten Berufungsprozess verloren.

Sonstiges

Junge Welt und Verfassungsschutz: Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet über eine Antwort der Bundesregierung zur Einstufung der linken Zeitung "junge welt" als verfassungswidrig. Der Autor misst die Einstufung an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und bleibt skeptisch. In einem Gastbeitrag für die taz kritisiert der Politikprofessor Christoph Butterwegge, nicht die Demokratie solle durch eine andere Gesellschaftsordnung ersetzt werden, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem.

Völkerrechtlerin Baerbock: focus.de (Laura Schäfer) stellt fest, dass sich die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zurecht als Völkerrechtlerin bezeichnet und dass dabei hochschulrechtlich auch alles korrekt zuging. 

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)   

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. Mai 2021: Völkerrecht bei Nahost-Militärschlägen / Fragwürdige Auslieferungen nach Russland / Verrat bei Berliner Justiz? . In: Legal Tribune Online, 18.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44982/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen