Überprüfung von Richtern und Staatsanwälten: Wie die Justiz gegen Ver­fas­sungs­feinde aufrüstet

von Dr. Markus Sehl

17.05.2021

Wer Richter werden will, den überprüft der Verfassungsschutz - Mecklenburg-Vorpommern hat ein neues Gesetz gegen Extremisten in der Justiz verabschiedet. Sachsen prüft schon vor dem Referendariat. Ist das sinnvoll und verfassungskonform?

Bekannt geworden ist in den letzten Jahren ein einziger Härtefall. Dem früheren Staatsanwalt und AfD-Politiker Thomas Seitz wird ein Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue vorgeworfen – ein Grundsatz, der im Richtergesetz und in den Beamtengesetzen die Justiz verpflichtet. Der Gedanke dahinter: Für den Rechtsstaat und das Grundgesetz kann niemand eintreten, der die Verfassung aus Überzeugung ablehnt. Erst Mitte April 2021 hat der Dienstgerichtshof am Oberlandesgericht Stuttgart die Entfernung des früheren Staatsanwalts Seitz aus dem Justizdienst bestätigt. Der AfD-Politiker hatte sich wiederholt rassistisch geäußert und von "Gesinnungsjustiz" gesprochen.

Die Justizministerien in den Ländern haben seit 2017 keine weiteren Verdachtsfälle von Verfassungsfeinden in der Justiz erfasst, wie sie dem Deutschen Richterbund im Herbst 2020 mitgeteilt haben. Sachsen verzeichnet drei Fälle, in denen Äußerungen von Richterinnen und Richtern wegen Verstößen gegen das Mäßigungsgebot geahndet wurden, entlassen wurde niemand. Nicht alle Disziplinarverfahren gegen extremistische Justizvertreter gelangen indes an die Öffentlichkeit. Gerichte geben an, deren Persönlichkeitsrechte schützen zu wollen.

Als im Jahr 2019 bekannt wurde, dass ein Thüringer Staatsanwalt in Gera ein Verfahren gegen das Zentrum für Politische Schönheit führte, erinnerten sich ehemalige Jura-Kommilitonen an den Mann als "Jura-Nazi". Sie fragten sich, wie der in den Staatsdienst gelangen konnte. Aufgefallen war er der Justizverwaltung auf seinem Weg jedenfalls nicht.

Verbindliche Abfrage beim Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern

Die Justiz ist auf die Gefahr durch Verfassungsfeinde in ihren eigenen Reihen bislang nur eingeschränkt vorbereitet. Vorgesehen ist eine Art Verfassungstreue-Check nur bei der Einstellung von Justiznachwuchs - und auch diese Überprüfung fällt in den Ländern recht unterschiedlich aus. Mal müssen die Einstellungskandidaten eine Selbsterklärung abgeben, in anderen Bundesländern müssen sie eher informell im Bewerbungsgespräch Fragen beantworten. Ein Auszug des Vorstrafenregisters mag nur begrenzt Auskunft über verfassungsfeindliche Einstellungen liefern. Als einziges Bundesland sah bislang Bayern eine Regelanfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz vor, sonst wird nur in Verdachtsfällen angefragt.

Andere Länder wollen nun aber nachziehen. Am schnellsten reagiert hat Mecklenburg-Vorpommern. Das Land hat gerade Anfang Mai 2021 eine bemerkenswerte Regelung verabschiedet. Verpackt in einem Gesetz zum Besoldungsrecht hat sich das Land die bislang schärfste Überprüfung von Richterbewerbern in ganz Deutschland geschaffen. Wer künftig Richter werden will, zu dem darf die Einstellungsbehörde Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Geschlecht und die Staatsangehörigkeit an die Verfassungsschützer übermitteln – die melden Erkenntnisse zurück, die "Zweifel daran zu begründen vermögen, dass der Bewerber die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten", wie der Entwurf vorsieht.

Dazu wird ein neuer Paragraf 3a ins Landesrichtergesetz eingefügt. "Darüber hinaus übermittelt sie der Einstellungsbehörde die bei ihr vorliegenden sicherheitsrelevanten Erkenntnisse über den Bewerber", heißt es weiter im Gesetzestext. Abgefragt werden nur dort bereits vorliegende Erkenntnisse, weitere Ermittlungen sollen laut Gesetzesbegründung nicht angestellt werden. Die geplante standardisierte Überprüfung geht über das bayerische Regelabfrage-System hinaus.

Wie Bayerns Verfassungsschutz Justizbewerber prüft

Die Überprüfung in Bayern setzt zunächst eine Einwilligung des Bewerbers oder der Bewerberin voraus. Dann wird den Kandidaten eine Liste mit als extremistisch eingestuften Organisationen von Roter Hilfe, über örtliche Pegida-Gruppierungen bis zu Al Qaida vorgelegt und ein Fragebogen mit vier Fragen. Gefragt wird nach der Mitgliedschaft oder Unterstützung einer dieser Gruppen, nach einer früheren Mitarbeit für die Stasi, und ob gegen die Bewerberin oder den Bewerber ein Verfahren wegen Verstoßes gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtstaatlichkeit eingeleitet wurde.

Wird dieser Fragebogen nicht ausgefüllt oder nicht unterschrieben oder bestehen aufgrund der gemachten Angaben Zweifel an der Verfassungstreue, dann wird zur Abklärung das Landesamt für Verfassungsschutz eingeschaltet.

"Liegen dem BayLfV dann Tatsachen vor, die Bedenken gegen die Berufung der betreffenden Person in ein Richterverhältnis begründen, werden diese der anfragenden Justizbehörde übermittelt", erklärte ein Sprecher des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz auf Anfrage. Vorgekommen sei das seit der Einführung der Regelabfrage Ende 2016 noch nie, so das Justizministerium des Freistaates. Das mag auch nicht allzu sehr überraschen, mussten die Prüffälle ja vorher einwilligen. Das Prüfprogramm wird vor allem extremistische Juristinnen und Juristen abschrecken, die sich dann gar nicht erst bewerben.

Die bayerische Überprüfung konzentriert sich auf die Mitgliedschaft in und Unterstützung von verfassungsfeindlichen Organisationen. "Eine erstmalige Erhebung von Daten anlässlich der Regelanfrage findet grundsätzlich nicht statt", hieß es von der Verfassungsschutzbehörde Bayerns. Die Verfassungsschützer beschäftigen sich also nicht anlassbezogen weiter mit den Hintergründen der Bewerber. Wer sich außerhalb der Mitgliedschaft in einer gelisteten Organisation radikalisiert hat, sich nur im Internet verdeckt vernetzt, der dürfte regemäßig durch das Raster fallen. Nicht-organisierte Extremisten dürften so schnell keine Schwierigkeiten bekommen.

Richter und Staatsanwälte unter Generalverdacht?

Aber wie intensiv sollen die Verfassungsschützer überhaupt prüfen dürfen? Die Regelabfrage als Mittel der Wahl ist umstritten, auch deshalb ist die Mehrheit der Länder bei der Einführung zögerlich. In Niedersachsen wird ein Vorhaben geprüft, aber es gibt noch keine Gesetzesinitiative. In Bremen wurde ein entsprechendes Vorhaben wieder auf Eis gelegt. In Mecklenburg-Vorpommer ruft die geplante Einführung nicht nur Kritik aus der Opposition auf den Plan.

"Mit der Regelabfrage wird eine ganze Berufsgruppe ohne jeden sachlichen Grund unter Generalverdacht gestellt", erklärt die rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Jacqueline Bernhard. "Das Mittel einer Regelabfrage ist ohnehin völlig überzogen. Bereits jetzt werden Führungszeugnisse beim Bundeszentralregister eingeholt, und bei womöglich vorliegenden Hinweisen kann auch eine Anfrage beim Verfassungsschutz gestellt werden."

Verfassungsrechtliche Zweifel – auch im Justizministerium

Auch der Richterbund Mecklenburg-Vorpommern kritisierte die Einführung der Regelabfrage für Richterinnen und Richter im Gesetzgebungsverfahren. Sie begegne "verfassungsrechtlichen Bedenken". Die Vereinigung sieht mildere und gleich geeignete Mittel wie die Befragung von Bewerbern. Nach Informationen von LTO wurde auch das Justizministerium des Landes in die verfassungsrechtliche Prüfung des neuen Paragrafen eingebunden. Eine Stellungnahme des Ministeriums verzeichnet Stimmen, die verfassungsrechtliche Zweifel insbesondere mit Blick auf Art. 12 und Art. 2 iVm Art. 1 Abs 1 GG äußern. Allerdings sei auch eine ausgewogene Lösung geschaffen worden, so hätten überprüfte Bewerber auch die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Alles in allem, werde die Neuregelung aber einer Überprüfung durch das Verfassungsgericht standhalten. Ein entsprechendes Risiko sollte man eingehen, heißt es in dem Schreiben.

Die Einstellung in den Justizdienst ist ein entscheidender Moment, spätestens nach Ablauf der Probezeit von Richtern und Staatsanwälten sind Sanktionen gegen diese bis hin zur Entlassung nämlich an hohe Voraussetzungen geknüpft. Wer einmal Teil der Justiz geworden ist, den wird man schwer wieder los. Der Weg führt nur über die Dienstgerichte und langjährige Rechtstreitigkeiten. Nicht zufällig auch eine Absicherung gegen politisch willkürliche Auswechslung unliebsamer oder kritischer Richter oder Staatsanwältinnen. Es ist ein Balanceakt.

Überprüfung schon auf dem Weg ins Referendariat – ist das verfassungswidrig?

Sachsen setzt für seine Überprüfung sogar noch früher auf dem Karriereweg an. Das Land hat im März 2021 eine neue Ausbildungsordnung verabschiedet, die bereits den Eintritt von Verfassungsfeinden in das Referendariat verhindern soll. In Zukunft werden Bewerber, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpfen, in der Regel nicht in den Vorbereitungsdienst eingestellt.

Die Landesjustiz hatte zuletzt schlechte Erfahrungen gemacht. Trotz seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Landfriedensbruchs durfte ein Referendar, der sich an Krawallen von Neonazis und Hooligans in Leipzig beteiligt hatte, in Sachsen Volljurist werden. Die Justizverwaltung musste feststellen, dass gerade gegen Ende der Ausbildung die Begründungsanforderungen so hoch ausfallen, dass eine Entfernung kaum noch durchzusetzen war. Die neuen Regeln in der Ausbildungsordnung sollen eine deutliche Antwort darauf sein.

Die sächsischen Neuregelungen gegen Extremisten im Referendariat fallen aus Sicht von Kritikern zu deutlich aus. "Statt Neonazis zukünftig besser ausschließen zu können, droht in Sachsen ein 'Radikalenerlass 2.0'", sagte die Sprecherin einer Gruppe sächsischer Referendare. Mit dem sogenannten "Radikalenerlass" beschlossen Bund und Länder 1972, ihre Bewerber für den Öffentlichen Dienst auf Verfassungstreue hin überprüfen zu lassen. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahre 1975 bestätigte, dass der Staat die Verfassungstreue zur Voraussetzung für die Einstellung von Beamten, Richtern und Soldaten machen darf. 

In Hessen Stufenverfahren statt Regelabfrage?

Die Regelung zur Verfassungstreue auf Bundesebene in § 9 im Deutschen Richtergesetz setzt voraus, dass ein Richter "jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt." Die Betonung von "jederzeit" wirft auch die Frage auf, wie gewährleistet werden kann, dass nicht nur neu eingestelltes Personal, sondern auch langjährige Justizmitglieder nicht zu einem Risiko werden. Die Vorschrift wird so ausgelegt, dass die Pflicht auch umfasst, gegenüber anderen für diese Ordnung einzutreten. Das wäre ein Ansatzpunkt, der für eine Art Selbstkontrolle der Justiz sprechen würde.

In Hessen arbeitet man nach Recherchen von LTO an einem eigenen System, das sowohl einen Ausgleich von Unabhängigkeit und Überprüfung schaffen soll, als auch auf eine gewisse Dauer angelegt ist. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Zum Schutz der Unabhängigkeit der Justiz wird der Justizminister gemeinsam mit dem Richterwahlausschuss bei der Einstellung mittels eines Stufenverfahrens, das in Abstimmung mit den Richterverbänden entwickelt wird, dafür Sorge tragen, dass nur Richter berufen werden, die die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten."

Neue Sicherungen gegen extremistische Schöffen?

In deutschen Strafgerichten sitzen neben den Berufsrichterinnen oder Berufsrichtern auch noch rund 40.000 ehrenamtliche Richter, sogenannte Schöffen. Bei der letzten Bewerbungsrunde 2018 hatten unter anderem NPD, Pegida und die mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtete AfD ihre Anhänger aufgerufen, Schöffen-Posten zu besetzen.

Eine Initiative aus Baden-Württemberg setzt sich nun für eine bundesweite Regelung ein, die die Verfassungstreue zur Ernennungsvoraussetzung für Schöffen macht. Auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) zeigte sich, wie aus einem Brief an den baden-württembergischen Justizminister aus Februar 2021 hervorgeht, offen gegenüber einer solchen deklaratorischen Regelung. Auf Anfrage erklärte ein Sprecher des BMJV, dass der Bund mit den Ländern dazu im Austausch stehe.

Ein Fall aus Baden-Württemberg hatte 2008 das BVerfG beschäftigt. Das dortige Landesarbeitsgericht hatte einen Schöffen aus seinem Amt entfernt, der jahrelang Band-Mitglied einer Rechtsrockgruppe war. Das BVerfG wies seine Verfassungsbeschwerde gegen die Entfernung ab und betonte die Pflicht zur Verfassungstreue auch für die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

Laut Koalitionsvertrag von CDU und Grünen im Ländle, der erst vergangene Woche veröffentlicht wurde, sollen in Sachen Verfassungstreue für Berufsrichterinnen und Richter die gleichen Zugangsvoraussetzungen gelten wie für die ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen. Ein erster vor allem deklaratorischer Schritt – am Ende wird es aber auch für die Berufung der Schöffen genauso wie bei Staatsanwälten und Richterinnen darauf ankommen, mit welchem System auf Verfassungstreue geprüft werden soll. 2023 steht die nächste Schöffenwahlrunde an.

Zitiervorschlag

Überprüfung von Richtern und Staatsanwälten: Wie die Justiz gegen Verfassungsfeinde aufrüstet . In: Legal Tribune Online, 17.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44981/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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