Die juristische Presseschau vom 25. August 2020: Abt­rei­bungs­gegner wegen NS-Ver­g­leichs ver­ur­teilt / BayVGH zur Pres­se­ar­beit der StA / Betriebs­rats­sit­zung trotz Corona

25.08.2020

Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, dürfen nicht mit NS-Tätern verglichen werden. Die StA muss auch in der Pressearbeit den Grundsatz der Waffengleichheit wahren. Betriebsräte dürfen sich für geheime Wahlen in Präsenzsitzungen treffen. 

Thema des Tages

LG Hamburg zu "Babykaust": Das Landgericht Hamburg hat den Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen verurteilt, weil er die Gießener Ärztin Kristina Hänel mit NS-Tätern verglich und Abtreibungen mit dem Holocaust gleichsetzte ("Babykaust"). Das Gericht entschied, dass Annen Äußerungen dieser Art zu unterlassen und eine Entschädigung in Höhe von 6000 Euro an Hänel zu zahlen habe. Weder der Angeklagte noch sein Anwalt erschienen zur Verhandlung, es kam daher zu einem Versäumnisurteil. Hänel ist als Ärztin bekannt, da sie auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informiert hatte und daraufhin wegen eines Verstoßes gegen § 219a Strafgesetzbuch verurteilt worden war. Es berichten taz (André Zuschlag), LTO und spiegel.de.

Rechtspolitik

BMJV in der Coronakrise: Das Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer) zieht in einem zweiseitigen Artikel Bilanz bezüglich der vom Bundesjustizministerium seit März getroffenen Schritte zur Anpassung des Insolvenz-, Aktien- und Mietrechts an die durch die Coronapandemie veränderte Wirtschaftslage. Die Autoren mahnen dabei insbesondere eine schnelle Digitalisierung der Justiz sowie besondere Sensibilität bei Grundrechtseinschränkungen aus Gründen des Infektionsschutzes an. 

Lieferketten und Menschenrechte: Der Rechtsprofessor Gregor Thüsing zählt auf beck-aktuell die unterschiedlichen Fragestellungen auf, die durch ein Lieferkettengesetz in Deutschland beantwortet werden sollten. Er rät dabei zu einem europäisch abgestimmten Gesetzgebungsverfahren, um einen "Flickenteppich nationaler Regelungen" im Kampf gegen Menschenrechtsverstöße von Lieferanten europäischer Unternehmen zu vermeiden. 

Geldwäsche: Auf dem Verfassungsblog beschäftigt sich nun auch der Senior Researcher Benjamin Vogel mit dem Gesetzentwurf zur Neugestaltung des Geldwäscheparagraphen. Der Autor kritisiert insbesondere die Abschaffung des begrenzenden Vortatenkatalogs, da dieses Vorgehen in anderen Ländern nicht zur effektiveren Bekämpfung von Geldwäsche geführt habe. Er ruft außerdem den Gesetzgeber dazu auf, größeres Augenmerk auf die Aufdeckung von komplexen Geldwäschekonstruktionen zu legen.

Arbeitsschutz in der Fleischindustrie: Wie spiegel.de berichtet, haben sich Vertreter von Sozialverbänden, DGB und Kirchen gegen den Ende Juli vorgestellten Gesetzentwurf zum Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie ausgesprochen. Sie kritisierten insbesondere die Verknüpfung von Arbeiten und Wohnen in dem Entwurf. So könne der Verlust des Arbeitsplatzes auch zum Verlust des Platzes in einer Arbeiter-Unterkunft führen. 

Krypto-Währungen: Laut eines Diskussionspapiers, das der FAZ (Hendrik Kafsack) und der SZ (Björn Finke) vorliegt, will die Europäische Kommission im September einen Vorschlag zur einheitlichen Regulierung von Krypto-Währungen vorlegen. Die Regelung solle "Rechtssicherheit und damit ein innovationsfreundliches Umfeld schaffen" sowie Verbraucher und Investoren schützen, wie der Europäische Kommissar für Wirtschaft und Kapitaldienstleistungen Vladis Dombrovskis betonte.

Justiz

BayVGH zu Pressearbeit der StA: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren verletzt ist, wenn die Staatsanwaltschaft durch ihre Pressearbeit den Grundsatz der Waffengleichheit verletzt, wie LTO berichtet. Im Juli 2017 hatte die Staatsanwaltschaft Regensburg Anklage gegen den ehemaligen Regensburger Oberbürgermeister Wolbergs erhoben und schon zwei Stunden nach Zustellung der Anklageschrift eine Pressemitteilung herausgegeben und am selben Tag noch eine Pressekonferenz einberufen. In diesem Handeln sah der Bayerische Verwaltungsgerichtshof einen zweifachen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren.

EuGH zu Privacy Shield: Der Rechtsanwalt Niko Härting prophezeit auf beck-aktuell mehr Beratungsbedarf durch Anwälte aufgrund des "Schrems II"-Urteils des EuGH von Mitte Juli sowie eine Neuentdeckung des Art. 49 Datenschutz-Grundverordnung ("Ausnahmen für besondere Fälle"). Der Autor geht davon aus, dass sich die US-Regierung in den aktuellen Verhandlungen mit der EU hin zu neuen Standardvertragsklauseln bewegen muss. 

BVerfG/OLG Koblenz – Folter in Syrien: Jost Müller-Neuhof (Tsp) kommentiert den erfolgreichen Eilantrag syrischer Journalisten vor dem Bundesverfassungsgericht, die nun einen Anspruch darauf haben, den Folter-Prozess am Oberlandesgericht Koblenz mit Dolmetschern zu verfolgen. Der Autor erinnert daran, dass freie Berichterstattung gerade aus Gerichtssälen ein Grundpfeiler der Demokratie bilde, was von vielen Richtern oft übersehen werde. Er hält die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts daher für richtig. 

BGH zu immateriellen Schadensersatzansprüchen: Die Rechtsanwältin Elke Bäuerle analysiert auf beck-aktuell einen Beschluss des Bundesgerichtshofes von Juni 2020 zur Pfändbarkeit von immateriellen Schadenersatzansprüchen im Rahmen eines Verbraucherinsolvenzverfahrens. 

OLG Stuttgart zu Brillen für "Corona-Helden": Wie spiegel.de berichtet, hat das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden, dass es Optikern verboten ist, mit Gratisbrillen für Arzt- und Pflegepersonal Werbung zu machen. Eine solche Werbung verstoße unter anderem gegen das Heilmittelwerbegesetz und sei daher eine unlautere geschäftliche Handlung.

LAG Berlin-Brandenburg zu Präsenzsitzungen: Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden, dass Gesamtbetriebssitzungen auch als Präsenzsitzungen durchgeführt werden können, wenn geheime Wahlen anstehen, wie auf LTO zu lesen ist. Anlass der Entscheidung war das Verbot der überregionalen Präsenzsitzung eines Betriebsrates wegen der Coronapandemie durch das Unternehmen.

LG Hannover zu Fehlüberweisung: LTO berichtet, dass das Landgericht Hannover einen Mann zur vollständigen Rückzahlung des aus einer fehlerhaften Überweisung erlangten Geldes verurteilt hat. Nachdem der Verurteilte Mitte Juli 2019 die Fehlüberweisung erhalten hatte, gab er innerhalb von wenigen Tagen tausende Euro für Hotelübernachtungen, Glücksspiel und im Bordell aus. Er machte daher geltend, das Geld lediglich für Luxusaufwendungen verbraucht zu haben und nunmehr entreichert zu sein. Diesen Einwand ließ das Gericht jedoch nicht gelten. 

VG Münster zu Abiparty: Das Verwaltungsgericht Münster hat eine Abiparty mit 95 Personen im August erlaubt, da der Erhalt des Abiturzeugnisses ein herausragender Anlass im Sinne der Corona-Schutzverordnung in Nordrhein-Westfalen darstelle, wie LTO schreibt. 

Recht auf Vergessen: In einem Gastkommentar im Hbl erläutert der Rechtsprofessor Rolf Schwartmann die Ende Juli erfolgte Vorlage des BGH an den EuGH bezüglich der genauen Konturierung des Rechts auf Vergessen. Der Autor nimmt dies zum Anlass, auch die bisherige Entwicklung und Bedeutung des Rechts auf Vergessen nachzuzeichnen, ausgehend vom 2014 dazu ergangenen EuGH-Urteil, über die Datenschutz-Grundverordnung, bis hin zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Ende 2019.

Recht in der Welt

Neuseeland – Christchurch: FAZ (Till Fähnders), taz (Anke Richter), LTO und spiegel.de berichten über den Beginn der Hauptverhandlung gegen den rechtsextremistischen Attentäter Brenton T. Am ersten Prozesstag konnten mehrere Angehörige der Opfer Erklärungen verlesen, die T. zumeist regungslos hinnahm. Da der Angeklagte die Tat bereits umfänglich gestanden hat, sollen die vier angesetzten Verhandlungstage nun dazu genutzt werden, Opfern und Hinterbliebenen eine Bühne zu bieten.

Israel – Gruppenvergewaltigung: Die taz (Marina Klimchuk) nimmt die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung einer 16-Jährigen zum Anlass, um darauf hinzuweisen, dass Sexualstraftäter in Israel nur sehr selten angemessen bestraft und sexuelle Straftaten oft unter den Teppich gekehrt und legitimiert werden. 

Südafrika – Urheberrecht: Justus Dreyling, Vertreter der Wikimedia-Bewegung, berichtet auf netzpolitik.org davon, wie und warum die US-amerikanische und europäische Urheberrechtslobby die Einführung einer Fair-Use-Klausel in Südafrika verhindern will, da diese Auswirkungen auf die weltweite Entwicklung des Urheberrechts haben könnte. 

USA – Trump-Konzern: Die Staatsanwaltschaft New York geht laut spiegel.de dem Verdacht nach, dass der Konzern des US-Präsidenten Donald Trump falsche Angaben zum Wert des Firmeneigentums gemacht haben könnte. Sie will in dem Verfahren sowohl eine Aussage von Trumps Sohn sowie die Herausgabe von firmeninternen Dokumenten erzwingen.

Sonstiges

Kanzleien im Homeoffice: Auf LTO (Maren Otter) ist zu lesen, wie sich das der Coronapandemie geschuldete Arbeiten im Homeoffice auf Anwaltskanzleien ausgewirkt hat. Die zitierten Anwälte sehen die Situation zwar als Herausforderung, aber auch als Chance für Teams, enger zusammenzuwachsen und Kommunikationsstrukturen zu verbessern. 

Coaching für Juristen: LTO (Markus Sehl) interviewt Daniela Dihsmaier, die Profisportler sowie Juristen coacht und dabei Parallelen zwischen diesen beiden Gruppen zieht. In beiden Fällen seien die Betroffenen extremem Leistungsdruck ausgesetzt und zugleich selbst oft sehr ehrgeizig. Sie glaubt, ein neuer Markt für das mentale Jura-Coaching sei entstanden und hält dabei Honorare von 150 bis 170 Euro pro Einzelstunde für nicht überhöht. 

 

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lto/ls

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 25. August 2020: Abtreibungsgegner wegen NS-Vergleichs verurteilt / BayVGH zur Pressearbeit der StA / Betriebsratssitzung trotz Corona . In: Legal Tribune Online, 25.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42583/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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