Die juristische Presseschau vom 8. Mai 2020: Vor­schlag für ein Epi­de­mie­ge­richts­ge­setz / Bun­destag ver­bietet Kon­ver­si­ons­the­ra­pien / Face­book mit Beschwer­de­g­re­mium

08.05.2020

AUs Schleswig-Holstein kommt ein Entwurf eines Epidemie-Sonderverfahrensrechts*. Der Bundestag stellt die Umpolung der sexuellen Orientierung unter Strafe. Facebook schafft ein Gremium, das Löschungen und Kontosperrungen überprüft. 

Thema des Tages  Corona und Recht

Corona – Epidemiegerichtsgesetz: lto.de (Markus Sehl/Tanja Podolski) berichtet über einen der Redaktion vorliegenden Gesetzentwurf für ein Epidemie-Sonderverfahrensrecht aus Schleswig-Holstein. Dieses soll als Bundesgesetz in Fällen, in denen der Bundestag eine epidemische Lage nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes feststellt, für alle Gerichtsbarkeiten gelten. Gerichte sollen dann nach eigenem Ermessen eine Videoverhandlung anordnen können, auch ohne Zustimmung der Beteiligten. Die Autoren beschreiben darüber hinaus die derzeitige Nutzung von Bild-und Tonübertragung in Gerichtssälen des Landes.

VG Köln zu Teilnehmerlisten: Die Veranstalter der Versammlung "Künstlerischer kreativer Akt für Demokratie und das deutsche Grundgesetz" haben sich im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln erfolgreich gegen eine versammlungsrechtliche Auflage gewehrt, die vorsah, dass sich alle Demonstrationsteilnehmer mit Namen, Anschrift und Telefonnummern in eine Liste eintragen mussten. Die Liste sollte im Bedarfsfall vom Versammlungsleiter dem Gesundheitsamt vorgelegt werden. Das Gericht sah diese Auflage angesichts des Rechts auf anonyme Versammlungsteilnahme als unverhältnismäßig an. FAZ-Einspruch (Constanin van Lijnden) berichtet. 

BayVGH zu Maskenpflicht: Wie lto.de meldet, musste sich nun auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit der Maskenpflicht befassen und lehnte per Beschluss den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Grund einer Folgenabwägung ab. Wegen einer fehlenden Befreiungsmöglichkeit von der Maskenpflicht seien die Erfolgsaussichten in der Hauptsache allerdings offen, so die Richter.

VG Berlin zu Schulen: Das Verwaltungsgericht Berlin hat sowohl den Eilantrag einer Schülerin der vierten Klasse auf Schulbesuch ab dem 4. Mai 2020 als auch den Antrag eines Vaters dreier schulpflichtiger Kinder gegen die Wiedereröffnung der Schulen abgelehnt. Die Diffenzierungen zwischen verschiedenen Schülern seien in beiden Fällen aus sachlichen Gründen gerechtfertigt, urteilten die Richter. lto.de und spiegel.de (Armin Himmelrath) berichten. 

Corona – Diskurs über Beschränkungen: Der Rechtsanwalt Patrick Heinemann kritisiert im FAZ-Einspruch den, wie er meint, schrillen Ton vieler Staatsrechtslehrer in Reaktion auf die Corona-Maßnahmen. Hierdurch dienten sie den Verschwörungstheoretikern als prominente vermeintliche Gewährsleute und gefährdeten das Vertrauen der Gesellschaft in die demokratisch legitimierten Entscheidungsträger.  

Corona – Bafög: Wer neben dem Studium oder der Ausbildung einen Job im Gesundheits- oder Sozialwesen oder in der Landwirtschaft übernimmt oder aufstockt, dessen Einkünfte werden wegen eines Beschlusses des Bundestags nicht auf das Bafög angerechnet. Durch den Beschluss wurden auch die Regeln zur Befristung von Verträgen in der Wissenschaft gelockert, um einen flexiblen Umgang mit corona-bedingten Verzögerungen zu ermöglichen. Als "Scheinlösung" kritisierte laut lto.de die Opposition das Gesetz. 

Corona – Covid-Passport: Auf einem informellen Treffen der europäischen Tourismusminister wurde nach Informationen der FAZ (Heike Schmoll) über die Einführung eines Dokuments diskutiert, mit dem Reisende in der EU bei der Überquerung von mitgliedstaatlichen Grenzen ihre Reisefähigkeit nachweisen sollen. Rechtsprofessor Stephan Rixen hält diese Form subtilen Zwangs für grundrechtlich problematisch, sein Kollege Steffen Augsberg verweist auf die datenschutzrechtlichen Bedenken, meint aber auch, man dürfe den Datenschutz in Ausnahmesituationen nicht verabsolutieren.

Schweden – Verfassungsrecht und Corona: Auf verfassungsblog.de erläutern die an schwedischen Unversitäten lehrenden Rechtsprofessoren Iian Cameron und Anna Jonsson-Cornell den verfassungsrechtlichen Rahmen für Corona-Maßnahmen in Schweden. 

Rechtspolitik

Konversionstherapien: Wie tagesspiegel.de berichtet, hat der Bundestag ein Gesetz zum Verbot sogenannter Konversionsbehandlungen verabschiedet. Als Konversionsbehandlungen werden Gespräche bezeichnet, die darauf gerichtet sind, die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identität umzupolen. Mit Strafe belegt ist zukünftig das Führen derartiger Gespräche mit Minderjährigen sowie mit Erwachsenen, bei denen ein Willensmangel wie Täuschung, Drohung, Irrtum oder Zwang vorliegt. Kritik an Details der Regelung äußert unter anderem der Lesben- und Schwulenverband (LSVD), der junge Menschen bis zu 26 Jahren geschützt sehen möchte, sowie härtere Strafen für Sorgeberechtigte fordert, die sich an der "Umerziehung" beteiligen. Als wichtiges Zeichen gegen ein Klima des Hasses gegenüber der queeren Community wertet der Journalist Markus Kowalski das Gesetz im Interview mit deutschlandfunkkultur.de (Stephan Karkowsky).

Polizeigesetz Saarland: Marie Bröckling nimmt auf netzpolitk.org zum Entwurf für ein neues Polizeigesetz für das Saarland Stellung. Bröckling ist als Sachverständige im Innenausschuss an den geplanten Änderungen beteiligt. Sie kritisiert die geplante Speicherung personenbezogener Daten über Jahrzehnte hinweg zur Abbildung "krimineller Karrieren" als zu pauschal und deshalb unverhältnismäßig. Ferner bemängelt sie unter anderem, dass in den Regelungen kein Zugriffsrecht der von Polizeigewalt Betroffenen auf Bodycam-Aufnahmen vorgesehen sei. 

Hasskriminalität: Nun berichtet auch lto.de (Manuel Göken) über die Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses zum geplanten Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität am Mittwoch. Es ging um die Einführung einer Anzeigepflicht im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und um Verschärfungen des Strafgesetzbuchs. 

Justiz

BVerfG zu EZB-Anleihenkauf: Der Rechtsprofessor Franz C. Mayer kritisiert in einem ausführlichen Artikel auf verfassungsblog.de das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum sog. PSPP-Programm der Europäischen Zentralbank deutlich – das Gericht biete mit der "äußerst kühnen" Ultra-Vires-Konstruktion immer wieder denselben antieuropäischen Klägern ein Forum, liefere denjenigen "Textbausteine", die sich den Verpflichtungen des Unionsrechts entziehen wollten und sei der Sache nach eine Kriegserklärung an den EuGH, so Mayer. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Alexander Brade und Markus Gentzsch werfen, ebenfalls auf verfassungsblog.de, die Frage auf, ob das BVerfG mit seinem Urteil nicht selbst die Grenzen seiner Zuständigkeit überschritten habe. Die SZ (Cerstin Gammelin) beschreibt die Unsicherheit im Bundestag bei der Umsetzung des Urteils. Die FAZ (Manfred Schäfers u.a.) meldet Forderungen aus Italien, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten. 

BVerwG zu Art. 17 GG: In einer noch nicht veröffentlichten Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht das Verhalten des Landratsamts Rottweil in Baden-Württemberg als nicht mit Art. 17 GG vereinbar beanstandet. Der Kläger hatte sich mehrfach mit Briefen an die Kreisräte und an den Landrat gewandt. Das Landratsamt hatte diese Briefe jedoch meist mit dem Hinweis zurück gesendet, grundsätzlich keine Briefe von Einzelpersonen an die Kreisräte weiterzuleiten. Hierin sahen die Richter laut lawblog.de (Udo Vetter) einen Verstoß gegen das Petitionsrecht aus Art. 17 GG. Durch das nur vereinzelte Weitersenden sei ferner Art. 3 GG verletzt worden, so die Bundesrichter.

OLG München zu "gesundem" Leitungswasser: Kommunen dürfen ihr Leitungswasser als "gesund" anpreisen, ohne dabei gegen Wettbewerbsrecht oder gegen europäisches Recht zu verstoßen. Das befanden die Richter des Oberlandesgerichts München und wiesen eine Klage des Verbands Deutscher Mineralbrunnen ab. Die Richter begründeten ihre Entscheidung u.a. damit, dass die Trinkwasserversorgung Teil der Daseinsvorsorge und nicht kommerzieller Zielrichtung sei, so dass das Wettbewerbsrecht schon nicht anwendbar sei. Einen Überblick über das Verfahren geben lto.de und spiegel.de.

AG Köln zu Wohnungssanierung: Wie spiegel.de schreibt, hat das Amtsgericht Köln im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens einer Vermieterin auferlegt, Sanierungsmaßnahmen rückgängig zu machen und hierfür insbesondere die Decke, die Außenwände einschließlich der Fenster sowie der Innenwände wiederherzustellen. Das Gericht gab damit den Mietern Recht, die zum Zeitpunkt der Maßnahmen die streitgegenständliche Wohnung noch bewohnten und von den Maßnahmen der Vermieterin, ihrerseits Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht, überrascht worden waren.  

LG Wiesbaden – Ex-Hochschulpräsident Jahns: Das Landgericht Wiesbaden hat spiegel.de (Armin Himmelrath) zufolge das Strafverfahren gegen den Ex-Hochschulpräsidenten der European Business School (EBS) wegen des Vorwurfs der Untreue gegen Zahlung einer Auflage von 30.000 Euro eingestellt. Einer Neuauflage des Verfahrens stand zuletzt die Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten entgegen.

LG Berlin – Drohmails: spiegel.de (Wiebke Ramm) schildert ausführlich die Zeugenaussage der Vertrauenspolizistin von André M., der sich derzeit vor dem Landgericht Berlin wegen unzähliger rassistischer Drohmails u.a. an Gerichte, Polizeidienststellen, Rathäuser und Politiker, versendet unter dem Namen "Nationalsozialistische Offensive", verantworten muss. 

Die FAZ (Johanna Christner) beschreibt, wie während des Prozesses weiter ähnliche Drohmails verschickt werden, in denen u.a. die Freilassung von André M. gefordert wird. Thematisiert wird auch die Nutzung von Telegram-Kanälen durch Rechtsextremisten. Es sei unverständlich, dass das NetzDG auf Telegram nicht anwendbar sei.

OLG München – Krebsbehandlung durch Heilpraktikerin: Das Oberlandesgericht München verhandelt in zweiter Instanz über die Klage eines durch seinen Vater vertretenen, fünfjährigen Kindes gegen eine Heilpraktikerin. Diese hatte die Mutter des Kindes erfolglos bei einem Krebsleiden behandelt. Das Gericht legte einen Vergleich nahe. Laut spiegel.de will die Bundesregierung die Regelungen zur heilpraktischen Behandlung überprüfen. 

LG Braunschweig zu Financialright: Auf lto.de analysiert Rechtsanwalt Volker Römermann ein Urteil des Landgerichts Braunschweig, mit dem dieses die Klage des Rechtsdienstleisters Financialright gegen VW abgewiesen hatte. Der Autor setzt sich mit dem Geschäftsmodell von Financialright als Inkassounternehmen auseinander, das von vornherein nur auf die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen ausgelegt ist und auf Erfolgshonorar-Basis arbeitet. 

Recht in der Welt

Polen – Präsidentschaftswahl: Wie u.a. spiegel.de und lto.de melden, hat das polnische Parlament einer Änderung des Wahlrechts zugestimmt, durch die die Präsidentschaftswahl als reine Briefwahl abgehalten werden wird. Darüber hinaus habe man sich geeinigt, die ursprünglich für Sonntag angesetzte Wahl schlicht nicht durchzuführen und sie dann im Anschluss daran vom Polnischen Verfassungsgericht für unwirksam erklären zu lassen. Sodann könne die Parlamentspräsidentin einen neuen Termin bestimmen. zeit.de (Ulrich Krökel) und SZ (Florian Hassel) benennen verschiedene Verstöße gegen polnisches Recht. 

Juristische Ausbildung

Corona – Freischuss: Anfragen von lto.de (Marcel Schneider) haben ergeben, dass mehrere Bundesländer, darunter Hessen, Bayern, Thüringen und das Saarland, das laufende Sommersemester nicht auf die maximale Semesteranzahl für einen Freischuss im ersten Staatsexamen anrechnen werden. Die Antworten einiger weiterer Prüfungsämter stehen noch aus.

Sonstiges

Facebook – Oversight Board: Als Alternative zu staatlichen Eingriffen hat Facebook mit dem Oversight Board ein Gremium geschaffen, das künftig Beschwerden der Nutzer gegen Löschungen oder Kontosperrungen bearbeitet. Viele der Mitglieder des hochkarätig besetzten Gremiums seien Jura-Professorinnen und Juristen und alle Weltreligionen seien vertreten, so die Konzernleitung. Alexander Fanta (netzpolitik.org) findet, das Oversight-Board werfe neben Fragen der technischen Umsetzbarkeit auch grundsätzliche Fragen auf. Dem Gremium fehle es an der demokratischen Legitimation und an den Gewährleistungen eines rechtsstaatlichen Prozesses, auch wenn noch so schlaue Juristen daran teilnähmen, so Fanta. Durch das neue Gremium werde Mark Zuckerberg die unangenehme Aufgabe los, für fragwürdige Inhalte geradestehen zu müssen, kritisiert Roland Lindner (FAZ).

*Anm. d. Red.: Formulierung korrigiert am Tag der Veröffentlichung, 9:50 Uhr. Den Entwurf hat Schleswig-Holstein noch nicht offiziell vorgelegt, er steht noch nicht auf der Tagesordnung der kommenden Sitzung des Bundesrats.

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lto/jb

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. Mai 2020: Vorschlag für ein Epidemiegerichtsgesetz / Bundestag verbietet Konversionstherapien / Facebook mit Beschwerdegremium . In: Legal Tribune Online, 08.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41555/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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