Die juristische Presseschau vom 21. April 2020: Corona-Apps wohl unsi­cher / Mas­kenpf­licht / Ver­fas­sungs­be­schwerde gegen Syn­di­kus­ge­setz

21.04.2020

Gegen die Corona-Apps bestehen massive datenschutzrechtliche Bedenken. Auch in Bayern kommt jetzt die Maskenpflicht.  Gegen das Syndikusgesetz von 2016 wurde jetzt erstmals Verfassungsbeschwerde eingelegt. 

Thema des Tages - Corona und Recht

Corona-Apps: FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) berichtet über ein Gutachten des Chaos-Computer-Clubs, das laut eigener Angabe "erhebliche Schwachstellen" der Datenspende-App des Robert-Koch-Instituts (RKI) aufzeigt. Die App verstoße zudem gegen ihre Datenschutzerklärung. So würden die Gesundheitsdaten direkt vom Server des jeweiligen Fitnessarmbandherstellers an das RKI übertragen. Dieses erhalte Zugriff auf den Nutzeraccount auf dem Server des jeweiligen Armbandherstellers. Von dort könne es theoretisch sämtliche Nutzerdaten abrufen, etwa Gesundheitsdaten aus dem Zeitraum vor der Corona-Krise oder den vollständigen Namen des Nutzers. Zudem könnten die Daten manipulierbar sein.

SZ (Simon Hurtz) und Hbl (Ina Karabasz u.a.) berichten über die Kritik von etwa 300 internationalen Wissenschaftlern an der geplanten Plattform Pepp-PT, die Grundlage für nationale Apps zur Kontaktnachverfolgung werden soll. Diese verfolgt ebenfalls einen zentralen Ansatz zur Speicherung von Daten. Die Wissenschaftler befürworten das Konkurrenzprojekt DP-3T.

Corona – Maskenpflicht: Vom kommenden Montag an führt auch Bayern eine Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften ein. Mit Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen ist es das vierte Bundesland, das eine solche Maßnahme ergreift. Dies meldet u.a. die SZ (Katja Auer/Boris Herrmann)

Corona-Bonds: In einem (englischsprachigen) Beitrag befasst sich der wissenschaftliche Mitarbeiter Andreas Kerkemeyer auf juwiss.de mit der europarechtlichen Zulässigkeit von Corona-Bonds. Diese könnten insbesondere gegen die No-bail-out-Klausel des Art. 125 AEUV verstoßen. Die schwierigste Rechtsfrage sei in diesem Zusammenhang, ob die Auszahlung von mithilfe von Corona-Bonds beschafften Geldern an strikte Bedingungen zu knüpfen sei, wie es der Europäische Gerichtshof für Art. 125 AEUV im Pringle-Urteil gefordert habe. 

Corona – Betriebsratssitzungen: Nun berichtet auch spiegel.de (Severin Weiland) über den Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums, wonach Betriebsräte während der COVID-19-Pandemie vorübergehend auch per Video- und Telefonkonferenzen Beschlüsse fassen können sollen.

Corona – Virtuelle Hauptversammlungen: In der SZ (Elisabeth Dostert) beantwortet Rechtsprofessor Ulrich Noack Fragen zu virtuellen Hauptversammlungen von Unternehmen. Diese waren durch das COVID-19-Gesetz vorerst befristet für das Jahr 2020 ermöglicht worden. 

Corona – ausgefallene Veranstaltung: tagesschau.de (Anna Klär) bringt Fragen und Antworten zur von der Bundesregierung verabschiedeten Gutscheinregelung für bereits erworbene Veranstaltungstickets. Der Gesetzentwurf muss noch vom Bundestag beschlossen und vom Bundesrat gebilligt werden.

Corona – Anwälte systemrelevant: Einer Meldung von lto.de zufolge stufen nun auch Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern Rechtsanwälte und Notare als systemrelevant ein. Dies ist insbesondere bedeutsam für die Inanspruchnahme von Notbetreuung für Kinder in Kitas und Schulen.

Corona – Urlaub und Arbeitsrecht: Das Hbl (Frank Specht) schreibt über die widerstreitenden Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in der Frage des Urlaubs nach der Pandemie. Wenn Urlaub beantragt und genehmigt ist, müsse der Arbeitnehmer ihn auch im beantragten Zeitraum nehmen. Umgekehrt könne der Arbeitgeber keinen Arbeitnehmer zwingen, Urlaub zu nehmen, solange die Corona-Krise anhält. In Bezug auf Kurzarbeit habe der Europäische Gerichtshof entschieden, dass für die Zeit der Kurzarbeit der Urlaub gekürzt werden kann. 

Corona – Obrigkeitshörigkeit: Rechtsprofessor Mattias Kumm warnt auf verfassungsblog.de vor "obrigkeitsstaatlichen Tendenzen" in der Corona-Krise. Es bestehe eine grundrechtliche Pflicht des Staates, die von ihm ausgeführten Grundrechtseingriffe möglichst schnell aufzuheben oder zu lockern. In der öffentlichen Diskussion fehle diese Dimension von Verantwortung der Regierenden. Die Regierung solle Rechenschaft darüber ablegen, was sie während der Zeit des Lockdowns getan hat, um Voraussetzungen für schnellere und weitere Lockerungen zu schaffen. Wenn die Regierung ihre Bürger wie unmündige Kinder behandelte, werde sie ihrer freiheitlichen Schutzverantwortung nicht gerecht.

Fischer zu Kindern und Corona: In seiner Kolumne auf spiegel.de widmet sich Ex-BGH-Richter Thomas Fischer der Phrase vom "Gespaltenwerden der Gesellschaft" durch die Lockerung der Corona-Maßnahmen und dem neu entdeckten "Kindesrecht auf täglichen Spaß in Gesellschaft". Die Sorge um das Kindeswohl habe "schon immer in engster Verbindung zum Wohl derjenigen gestanden, die sich diese Sorge machten oder auch nicht". Die Entdeckung der Einzigartigkeit und Schutzbedürftigkeit der kindlichen Seele folge der Individualisierung und Fragilisierung der Erwachsenen nach.

USA – Trump in der Corona-Krise: In einem (englischsprachigen) Beitrag für verfassungsblog.de konstatiert der Politologe William Scheuerman, bei US-Präsident Trump offenbare sich in der Corona-Krise ein Konflikt seines "Schmittianischen Instinkts" mit seinem neoliberalen Regierungsverständnis. 

Österreich – Corona-Maßnahmen: In Österreich mehren sich laut SZ (Peter Münch) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der drastischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus. Beim Verfassungsgerichtshof seien bisher rund 20 Anträge zu den Maßnahmen eingegangen. Kanzler Sebastian Kurz hatte Debatten um die Verfassungsmäßigkeit von Anfang an als "juristische Spitzfindigkeiten" eingestuft. 

Israel – Corona-App: Die FAZ (Jochen Stahnke) berichtet über massive datenschutzrechtliche Bedenken an der in Israel genutzten Corona-App. Zudem würden die nahezu totalen Überwachungsmöglichkeiten des Inlandsgeheimdienstes auch in der Corona-Krise angewandt. Dagegen wenden sich Petitionen vor dem Obersten Gerichtshof. Sie argumentieren, die digitale Verfolgung israelischer Bürger verstoße gegen das Grundgesetz.

Rechtspolitik

Whistleblowing: community.beck.de (Christian Rolfs) berichtet über Streit zwischen Justizministerium (BMJV) und Wirtschaftsministerium (BMWi) über die richtige Umsetzung der 2019 verabschiedeten EU-Whistleblowing-Richtlinie. Während das BMJV – wie von der EU wohl stillschweigend erwartet – überschießend umsetzen möchte, plädiert das BMWi für eine 1:1-Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben, die sich auf Verstöße gegen EU-Recht beschränken. 

IS-Straftribunal: In einem Gastbeitrag in der FAZ plädieren die Journalistin Düzen Tekkal und der Völkerrechtler Alexander Schwarz anlässlich des Prozesses gegen den IS-Anhänger Taha al-J. vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. für die Schaffung eines IS-Straftribunals. Die Zahl der begangenen Verbrechen des IS könne langfristig nicht allein von dezentral ermittelnden Staaten bewältigt werden. Die Straflosigkeit der begangenen Verbrechen, darunter möglicherweise auch Völkermord, müsse durchbrochen werden, da ansonsten eine dauerhafte Befriedung und Versöhnung der unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen nicht zu erreichen sei. 

Cannabis: Im Gespräch mit lto.de (Hasso Suliak) lehnt die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) eine mögliche Entkriminalisierung von Cannabiskonsum ab. Stattdessen plädiert sie für mehr Prävention, um insbesondere Kinder und Jugendliche besser über die gesundheitlichen Risiken von Cannabis aufzuklären. Eine staatlich erlaubte Cannabisabgabe führe nicht dazu, dass Cannabis nur über staatliche Stellen von Konsumenten bezogen würde. Es brauche Sanktionen bei Verstößen und erst Recht bei organisierter Drogenkriminalität. 

EU-Asylsystem: Die Welt (Marcel Leubecher) berichtet über eine Einigung von Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien auf Grundlinien einer Reform des EU-Asylsystems. Demnach sollen "Prozeduren" wie ein "verpflichtendes Pre-Screening" (das aber keine Vorprüfung wäre) an den EU-Außengrenzen vorgenommen werden. Neuankömmlinge sollen (in der Regel) gerecht auf die Mitgliedstaaten verteilt werden. Schließlich sollen (unklare) Maßnahmen gegen unerlaubte Weiterwanderung ergriffen werden. 

Justiz

BVerfG – Syndikusgesetz: lto.de (Pia Lorenz) berichtet ausführlich über die nun beim Bundesverfassungsgericht anhängige, erste Verfassungsbeschwerde gegen das sogenannte Syndikusgesetz aus dem Jahr 2016. Zuvor hatte der Bundesgerichtshof dem Beschwerdeführer die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt versagt. Damit habe der BGH den Begriff der "Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers" (§ 46 Abs. 5 S. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung), dessen Interpretation den Rechtsstreit entschied, zu eng ausgelegt und damit die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers verletzt, argumentiert dieser nun vor dem BVerfG.

OLG Koblenz – Folter in Syrien: Nun berichtet auch lto.de über den bevorstehenden Prozess gegen mutmaßliche Angehörige des syrischen Geheimdiensts vor dem Oberlandesgericht Koblenz. Ihnen wird vorgeworfen, in Syrien Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. 

LG Detmold – Mord an Halbbruder: Seit dem gestrigen Montag steht eine 15-Jährige vor dem Landgericht Detmold, die ihren dreijährigen, schlafenden Halbbruder mit über zwei Dutzend Messerstichen erstochen haben soll. Nach ihrer Festnahme hatte sich das Mädchen auf Erinnerungslücken berufen. Im Prozess soll sich ein psychiatrischer Gutachter zum Entwicklungsstand und zur Schuldfähigkeit des Mädchens äußern. Es berichten spiegel.de und bild.de (Bastian Schlüter)

BAW – Tötung von Soleimani: Nun berichtet auch lto.de über die Entscheidung der Bundesanwaltschaft, kein Ermittlungsverfahren gegen die Bundeskanzlerin und weitere Mitglieder der Bundesregierung wegen der Tötung des iranischen Generals Quassem Soleimani einzuleiten.

OLG Naumburg – Angriff auf Synagoge Halle: Der Generalbundesanwalt hat beim Oberlandesgericht Naumburg Anklage gegen den mutmaßlichen Attentäter von Halle, Stephan B., erhoben. Das berichtet nun auch die taz (Konrad Litschko).

BVerfG-Richter Harbarth: Im Hbl zeigt sich Aled Wyn Griffiths, Chefredakteur beim Juve-Verlag, "ehrlich verblüfft" über die Skepsis, die Stephan Harbarth, dem aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge von Andreas Voßkuhle als Präsident des Bundesverfassungsgerichts, angesichts von dessen Vergangenheit als Wirtschaftsanwalt entgegenschlägt. Es zeuge von einem "bemerkenswerten kulturellen Solipsismus zu behaupten, der Rechtsstaat würde untergraben, wenn Ex-Anwälte auf der Richterbank sitzen". Dies zeige auch der Blick in die USA oder nach Großbritannien, wo nahezu alle Richter zuvor als Anwälte tätig gewesen seien. 

Recht in der Welt

Australien – Journalismus-Gebühr: Australien plant, die Konzerne Google und Facebook zur Zahlung von Nutzungsgebühren an australische Medienhäuser zu verpflichten. Angedacht ist offenbar eine pauschale Abgabe. Dies käme einer Kulturabgabe nahe, wie sie auch als Alternative zum EU-Leistungsschutzrecht diskutiert wurde. Es berichtet die taz (Peter Weissenburger) in ihrem Medienteil. 

Sonstiges

Legal Tech: lto.de (Laura Bingenheimer/Nico Kuhlmann) stellt Weiterbildungsangebote und Podcasts rund um das Thema Legal Tech vor. 

 

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lto/jng

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. April 2020: Corona-Apps wohl unsicher / Maskenpflicht / Verfassungsbeschwerde gegen Syndikusgesetz . In: Legal Tribune Online, 21.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41359/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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