Die juristische Presseschau vom 5. März 2020: Asyl­recht an der EU-Außen­gren­ze / "Raser-Para­graf" vor BVerfG / Som­mer­mär­chen vor Schweizer Ge­richt

05.03.2020

Rechtliche Einschätzungen zu Entwicklungen an der griechisch-türkischen Grenze. Der "Raser-Paragraf" soll vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. Am Schweizer Bundesstrafgericht beginnt der Prozess um Geldflüsse vor der WM 2006.

Thema des Tages

Asylrecht in Griechenland: Rechtsanwalt Matthias Lehnert nimmt auf verfassungsblog.de die Situation an der griechisch-türkischen EU-Außengrenze in den Blick und kritisiert sowohl die Reaktionen der griechischen Behörden als auch die der Europäischen Union scharf. Eine Rechtfertigung der einmonatigen Aussetzung des Asylrechts mit "besonderen und unvorhergesehenen Ereignissen" sei laut Lehnert "schon rein zahlenmäßig eine Dramatisierung" und verweist dabei auf die zahlreichen Konkretisierungen des sogenannten refoulement-Verbotes im Völker- und Europarecht. Eine Zurückschiebung ohne jegliches Verfahren sei demnach ein Rechtsbruch. Ausnahmen hiervon seien rechtlich nicht vorgesehen. Einen Vergleich zu dem kürzlich erschienen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Zurückschiebungen in der spanischen Exklave in Marokko lehnt er ab. Schließlich mahnt er, trotz des aufgeladenen Diskurses, Fragen nach "Recht und Ordnung" primär entlang geltender (Menschen-)Rechte zu führen.

Die taz (Christian Rath) erläutert im Frage- und Antwort-Format wichtige rechtliche Fragen zu den Geschehnissen an der griechisch-türkischen Grenze. Griechenland müsse Asylanträge "an der Grenze" annehmen. Selbst wenn Flüchtlinge bereits jahrelang in der Türkei lebten, haben sie in der EU Anspruch auf Prüfung, ob die Türkei ein "erster Asylstaat" bzw. ein "sicherer Drittstaat" war. Ob Griechenland sich bei der zeitweisen Aussetzung des Asylrechts auf die sogenannte Notstandsklausel der EU-Verträge berufen könne, sei mangels Rechtsprechung noch unklar.

Rechtspolitik

EU-Klimaverordnung: Die EU-Kommission hat ihre Pläne für eine Klimaverordnung der EU vorgestellt, berichten u.a. spiegel.de (Susanne Götze), FAZ (Hendrick Kafsack), SZ (Karoline Meta Beisel und Björn Finke) und taz (Eric Bonse). Die EU bekennt sich in der geplanten Verordnung, die noch vom Europaparlament und den Mitgliedstaaten angenommen werden muss, verbindlich zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050. 

Justiz 

BVerfG – Raser: Auf lto.de berichtet Strafverteidiger Christoph Marotzke über ein aktuelles Verfahren vor dem Amtsgericht Villingen-Schwenningen, das den 2017 eingeführten Straftatbestand des "Verbotenen Kraftfahrzeugrennens" (§ 315d Strafgesetzbuch) für zu unbestimmt und damit verfassungswidrig hält. Das Verfahren wurde deshalb ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle vorgelegt. Im konkreten Fall soll sich ein Mann, um einer drohenden Kontrolle zu entfliehen, mit den Polizeibeamten eine Verfolgungsfahrt mit überhöhter Geschwindigkeit geliefert haben. Gerade solche Konstellationen seien derzeit von dem – nach Ansicht des Autors – faktischen Auffangtatbestands erfasst, der wegen "Unbestimmtheit für den gewöhnlichen Autofahrer nicht mehr erkennen lässt, wann die Grenze der Strafbarkeit überschritten ist, und somit einen zu weit gefassten Anwendungsbereich begründet."  

BVerfG zu Sozialhilfe für EU-Ausländer: Laut lto.de wies das Bundesverfassungsgericht eine Vorlage des Sozialgerichts Darmstadt zurück. Es ging um die Frage, ob ein Ausschluss von EU-Ausländern von Sozialhilfeleistungen mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Sozialgericht war der Ansicht, dass der nahezu vollständige Ausschluss von gegen den Verlust ihres Aufenthaltsrechts in Deutschland klagenden EU-Ausländern von existenzsichernden Leistungen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße. Nach Angaben des BVerfG übergeht die Vorlage des Sozialgerichts aber mehrere Fragen zur Verfassungswidrigkeit, die für die Prüfung unverzichtbar seien und wies die Vorlage daher als unzulässig ab. faz.net berichtet ebenso.

BVerfG – Impfpflicht: faz.net (Hildegard Kaulen) greift die gegen die seit dem 1. März 2020 bestehende Impfpflicht eingelegten Eilanträge und Verfassungsbeschwerden auf und erläutert den medizinischen Hintergrund des Gesetzes. Es sei vor allem angesichts der zahlreichen schlimmen Folgen einer Infektion mit der Krankheit geboten, mit dem Gesetz eine endgültige Ausrottung des Erregers zum Wohle aller zu erreichen. 

BGH zu Parteivernehmung: zpoblog.de (Benedikt Windau) befasst sich mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs zur zivilprozessualen Parteivernehmung aus dem letzten Dezember. Nach einer Darstellung des Urteils folgt eine Anmerkung des Autors, der vor allem auf die aus seiner Sicht unterschwelligen Wertungen im Hinblick auf die zivilprozessuale Anordnung des persönlichen Erscheinens hinweist. 

OVG Koblenz zu Glaubenswechsel und Asyl: Das Oberverwaltungsgericht Koblenz befand, dass auch die Konversion zum Christentum für ein Abschiebeverbot eines jungen Afghanen nicht ausreiche, wie lto.de meldet. Insbesondere habe der abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan kein Verhalten gezeigt, welches nahelege, "dass für ihn die christlich-religiöse Betätigung unverzichtbar wäre".

OLG Braunschweig zu Versicherungsbescheinigung: lto.de berichtet über einen am Mittwoch veröffentlichten Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig, das einem Beamten der Bundespolizei einen Staatshaftungsanspruch in Höhe von 34.000 Euro wegen eines fehlerhaften polizeiärztlichen Vermerks zusprach. Der Beamte brach sich beide Arme, in der Versicherungsbescheinigung wurde jedoch nur einer der Brüche vermerkt.

VG Berlin zu Karsten Giffey: Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom letzten Dezember, dass dem Tsp (Alexander Fröhlich/Jost Müller-Neuhof) vorliegt, geht hervor, dass Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) Karsten Giffey trotz schwerer Dienstvergehen und festgestellter Straftaten offenbar geschützt hat und seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis verhindern wollte. Wegen der Schwere der Dienstverstöße wurde der Mann von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) dann doch aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Der Beitrag arbeitet die einzelnen Vergehen aus dem Urteil heraus.

VG Berlin zu Transparenz bei der Amtsausstattung: Das Verwaltungsgericht Berlin hat am Dienstag entschieden, dass der Bundesrat öffentlich Auskunft darüber geben muss, welche Ländervertreter ihre kostenlosen Bahn-Netzkarten wirklich für Fahrten nach Berlin nutzen, so der Tsp (Jost Müller-Neuhof). So könne vermieden werden, dass ein beim Bundesrechnungshof angemeldeter Bedarf an Netzkarten nur für private Zwecke verwendet würden.   

LG Saarbrücken zu untreuem Wirtschaftsdetektiv: Das Landgericht Saarbrücken erkannte den Wirtschaftsdetektiv Medard Fuchsgruber in 195 Fällen wegen gewerbsmäßiger Untreue für schuldig. Als privater Wirtschaftsdetektiv half er laut Hbl (Lars-Marten Nagel) mehr als 140 Opfern eines Schneeballsystems, große Teile des investierten Geldes zu retten. Er wurde anschließend von einer Zeitung als "Robin Hood des Kleinanlegers" getauft. Anstatt jedoch das gerettete Geld vollständig auszuschütten, veruntreute er rund die Hälfte und war zudem noch u.a. in ein illegales Umsatzsteuerkarussell mit CO2-Zertifikaten verstrickt. Ihm steht nun eine Haftstrafe von vier Jahren bevor. 

LSG Hessen zu Elterngeld: Das hessische Landessozialgericht hat dem Bundesland Hessen Recht gegeben, dass einem beurlaubten Beamten im Ausland mangels Wohnsitz in Deutschland kein Elterngeld zusteht, wie lto.de und die Welt melden. 

Recht in der Welt

Großbritannien – Julian Assange: In einem Beitrag für den FAZ-Einspruch greift der Rechtsprofessor und Richter Tonio Walter zunächst den Schlagabtausch zwischen der Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle und dem UN-Folterbeauftragten Nils Melzer auf. Hörnle hatte die Vermutung Melzers, dass das schwedische Sexualstrafverfahren gegen den Wikileaks-Gründer rein politisch motiviert gewesen sein könnte, um eine Auslieferung in die USA zu erleichtern, als wenig überzeugende Verschwörungstheorie kritisiert. Es gäbe dafür keine durchgreifenden Beweise. In einer Antwort verteidigte Melzer seine Darstellungen dann. Walter sieht nun Parallelen zum "Fall Kachelmann", in dem ebenfalls ein "[ü]bergroßer Verfolgungseifer bei 'dicken Fischen'" eine Rolle gespielt habe. Eine aus seiner Sicht "schlichtere Erklärung" für das Strafverfolgungsinteresse sei "die Unfähigkeit der Staatsanwälte, vor die Welt zu treten und zu sagen, dass man mit den ersten Schlagzeilen zu Assange voreilig eine Show versprochen habe, die nun leider abgesagt werden müsse".

Polen – Rechtsstaatlichkeit: Anhand von drei Einzelfällen veranschaulicht die Zeit (Olivia Kortas), wie unabhängige Richter und Ankläger durch willkürlich anmutende Disziplinarverfahren, Zwangsversetzungen und Vorwürfe des Machtmissbrauchs schikaniert werden.

In einem Interview mit der FAZ (Thomas Gutschker) verweist EU-Justizkommissar Didier Reynders auf den Rechtsstaatsdialog mit Polen sowie das Artikel-7-Verfahren. Bei gravierenden Verstößen sei es auch möglich, wie im Fall Polens bereits mehrfach geschehen, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen. In wenigen Wochen werde der Kommission eine Empfehlung vorgelegt, ob auch das neue Gesetz zu Disziplinarmaßnahmen für Richter ein Fall für den EuGH sei. Zudem hofft Reynders, dass in Zukunft die Auszahlung von Haushaltsmitteln an Rechtsstaatlichkeitskriterien geknüpft werden könne.

Schweiz – Sommermärchen-Prozess: Die SZ (Thomas Kistner) und die Zeit (Cathrin Gilbert) blicken angesichts der für den 9. März angesetzten Verhandlung vor dem Schweizer Bundesstrafgericht noch einmal zurück auf die Geschehnisse rund um die Millionensumme, die vor der WM 2006 von einem Konto Franz Beckenbauers nach Katar floss. Das Schweizer Gericht erhofft sich eine Kooperation mit dem Oberlandesgericht Frankfurt, das wegen Steuerhinterziehung ebenfalls gegen Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger und Horst Schmidt Anklage erhoben hat. Während die Zeit sich ausführlich mit den verschiedenen Theorien zum genauen Hergang beschäftigt, wird in der SZ noch einmal das Verbot der Doppelbestrafung mitsamt der Folgen für die Prozesse betont.

Indien – Ausgrenzung von Muslimen: Auf verfassungsblog.de nimmt der wissenschaftliche Mitarbeiter Kanad Bagchi (in englischer Sprache) die aktuell andauernden Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen in Indien zum Anlass, das aus seiner Sicht staatlich getriebene System der Ausgrenzung zu erklären. Zum einen habe die jetzige Regierung in beiden vorangegangen Wahlkämpfen offen Ressentiments gegenüber Muslimen geschürt. Gleichzeitig wurden Gesetze wie der Citizenship Amendment Act (CAA) erlassen, der Muslime faktisch von der Erlangung der Staatsangehörigkeit im Schnellverfahren ausschließe. Andererseits hebt er aber ebenso hervor, dass es eine große zivilgesellschaftliche Bewegung gebe, die sich für Rechtstaatlichkeit und Minderheitenschutz einsetze.

Türkei – Spionage-Prozess: Ein ausführlicher Beitrag auf lto.de (Markus Sehl/Marion Sendker) widmet sich dem kurz bevorstehenden Prozessauftakt gegen den türkischen Kooperationsanwalt der deutschen Botschaft Ankara, Yilmaz S. Nach Informationen von lto.de werden ihm militärische und politische Spionage vorgeworfen. In dem ausführlichen Beitrag werden sodann die Rolle von Kooperationsanwälten bei der Informationsbeschaffung in Asylverfahren beschrieben und die Frage erörtert, ob sich S. bewusst in einem legalen Graubereich bewegte.

Juristische Ausbildung

OLG Frankfurt zu Schwerpunkthausarbeit: Im Februar entschied das Oberlandesgericht Frankfurt, dass auch private Hochschulen im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz denselben Grundsätzen genügen müssen wie Verfahren an staatlichen Hochschulen. Ist dies der Fall, dürfen auch private Hochschulen universitäre Prüfungsleistungen des juristischen Staatsexamens abnehmen, so lto.de. Die Klage einer Studentin gegen die Bewertung ihrer Schwerpunkthausarbeit hatte auch in der Berufung keinen Erfolg und das Gericht sah insbesondere keinen Anlass, an der Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens zu zweifeln oder eine Überschreitung des grundsätzlich sehr weiten Beurteilungsspielraums bei der Notenvergabe festzustellen. Auch FAZ-Einspruch (Sascha Zoske) schreibt über den Fall.

Sonstiges

Politisches Engagement: Laut einer von spiegel.de (Maria Stöhr) vorgestellten neuen Ausgabe des "Atlas der Zivilgesellschaft" sähen sich politisch aktive Menschen weltweit vermehrt Repressalien ausgesetzt. Diese Entwicklung treffe vornehmlich Frauen sowie lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle Menschen. Die als ursächlich erkannte fehlende rechtliche Gleichstellung sowie staatliche Anfeindungen werden anschließend anhand ausgewählter Länder und deren Rechtsordnungen dargestellt.

Recht und Digitalisierung: Anlässlich der 60. Assistententagung Öffentliches Recht in Trier interviewt juwiss.de den Rechtsprofessor Dirk Heckmann zu der Verbindung von Recht und Digitalisierung und nimmt dabei insbesondere die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen in den Blick.

Datenschutz und Cybersecurity: community.beck.de (Dennis-Kenji Kipker) stellt in einer Übersicht alle rechtlichen und sonstigen Neuigkeiten in den Bereichen Datenschutz und Cybersecurity zusammen. Ein Themenschwerpunkt bildet dabei die Haltung der Unionsfraktion sowie anderer EU-Staaten zur Beteiligung des Huawei-Konzerns am 5G-Mobilfunknetzausbau.  

Coronavirus – Arbeitsrecht: In einem Kurzbeitrag auf community.beck.de (Markus Stoffels) werden nun ebenfalls die arbeitsrechtlichen Konsequenzen des Coronavirus in den Blick genommen. Freistellungen durch den Arbeitgeber wegen einer konkreten Infektionsgefahr (grippeähnliche Symptome und Rückkehr aus gefährdeter Region) würden den Vergütungsanspruch nicht entfallen lassen. Betriebsschließungen wegen konkreter Gefährdungslagen, auch aufgrund behördlicher Anordnung, seien Realisierung des Betriebsrisikos und befreiten nicht von der Fortzahlung von Gehältern. 

lto.de beschreibt die Reaktion der österreichischen Kanzlei Wolf Theis auf die Infektion eines Partners der Großkanzlei mit dem Coronavirus.

Coronavirus – Flugausfälle: faz.net und die Welt melden, dass bei Flugausfällen im Zusammenhang mit der Coronakrise unter Umständen Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden könnten. Entscheidend seien bestimmte Fristen sowie die Qualität angebotener Ersatzverbindungen. Storniere die Fluggesellschaft ein Ticket jedoch mindestens zwei Wochen im Voraus, entfalle eine Entschädigung.

 

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lto/jpw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. März 2020: Asylrecht an der EU-Außengrenze / "Raser-Paragraf" vor BVerfG / Sommermärchen vor Schweizer Gericht . In: Legal Tribune Online, 05.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40643/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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