Die juristische Presseschau vom 9. Januar 2020: Erstes Urteil zu Con­ne­witz / Debatte zu Straf­mün­dig­keit / LG Braun­schweig zu Myright

09.01.2020

Das Amtsgericht Leipzig hat ein erstes Urteil zu den Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz gefällt. Außerdem in der Presseschau: Pro und Contra zur Absenkung des Strafmündigkeitsalters und ein Beschluss zum Geschäftsmodell von Myright.

Thema des Tages

AG Leipzig zu Angriffen in Leipzig-Connewitz: Das Amtsgericht Leipzig hat in einem beschleunigten Verfahren eine erste Verurteilung gegen einen Teilnehmer der Silvester-Ausschreitungen verkündet. Ein wohnsitzloser Jongleur, der einem vorbeilaufenden Polizisten ein Bein gestellt hat, erhielt eine sechsmonatige Bewährungsstrafe, wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, berichten die SZ (Ulrike Nimz), die taz (Konrad Litschko), die Welt (Philipp Woldin) und spiegel.de (Wiebke Ramm).

Rechtspolitik

Unternehmen und Menschenrechte: Die Bundesregierung will während ihrer EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 Pläne zu einem Lieferkettengesetz auf die EU-Agenda setzen, berichtet die SZ (Caspar Dohmen). So soll ein Flickenteppich in der Gesetzgebung verhindert werden. Ein Lieferkettengesetz regelt, welche Verantwortung Unternehmen für die Einhaltung von Menschen-, Arbeits- und Umweltrechten bei ihren Zulieferern in aller Welt haben.

Passfotos und Biometrie: Die Bundesregierung will vorschreiben, dass Passfotos für biometrische Ausweispapier nur noch von Behörden erstellt werden können, berichtet die SZ. So soll verhindert werden, dass Bürger "gemorphte" Photos vorlegen. Beim Morphing werden Photos von verschiedenen Personen zu einem echt wirkenden Photo verschmolzen, das der vorlegenden Person ähnliche sieht, aber für biometrische Identifizierung nicht mehr brauchbar ist.

Hasskriminalität/NetzDG: Georg Mascolo (SZ) unterstützt im Leitartikel den Plan der Bundesregierung, den sozialen Netzwerken im NetzDG eine Anzeigepflicht für Morddrohungen und ähnliches aufzuerlegen. Die Zeit der straflosen Morddrohungen müsse enden. Er warnt aber: "Mit der Verabschiedung des Gesetzes werden die Zahlen der Strafverfahren geradezu explodieren, mit zehntausenden Ermittlungen rechnen erfahrene Staatsanwälte", die Länder müssten jetzt mit Vorbereitungen beginnen.

Richterwahlausschuss Brandenburg: Brandenburg hat einen neuen Richterwahlausschuss. Gewählt wurden unter anderem die beiden AfD-Abgeordneten Lena Duggen und Andreas Galau, die im ersten Anlauf im Dezember noch gescheitert waren. Möglich gemacht wurde die Wahl unter anderem dadurch, dass ein Teil der SPD-Fraktion vor der Abstimmung den Saal verließ. Richterwahlausschüsse wirken in einigen Bundesländern an der Einstellung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten mit. Die Wahl von AfD-Abgeordneten führt immer wieder zu Auseinandersetzungen, so lto.de (Annelie Kaufmann).

Kennzeichenerfassung Brandenburg: Die Datenschutzbeauftragte Brandenburgs hat die Kennzeichenerfassung durch die brandenburgische Polizei beanstandet. Seit 2017 würden auf Autobahnen Kfz-Kennzeichen erfasst, um sie gegebenenfalls später zur Strafverfolgung zu verwenden. Darin sieht die Datenschutzbeauftragte eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Von der Beanstandung nicht erfasst ist der punktuelle Einsatz von Kennzeichenscannern etwa bei Fahndungen, wie netzpolitik.org (Marie Bröckling) berichtet.

Organspende: Die Ex-Bundestagsabgeordnete von Grünen und Linken, Monika Knoche, kritisiert in der taz die von Gesundheitsminister Spahn vorgeschlagene Widerspruchslösung für die Organspende: "Fremdnützliche Zwecke erhielten einen höheren Stellenwert als die unantastbare Menschenwürde." Es sei zu fragen: "ob der Staat das Recht hat, das Lebensende Nützlichkeitserwägungen zu unterwerfen und daraus Rechtsnormen abzuleiten. Was ist Sache des Staates und was verbleibt unverrückbar das Eigene, Unveräußerliche eines jeden Menschen?"

Strafmündigkeit: In der Zeit plädiert CDU-Politiker Volker Ullrich für eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters von 14 auf 12 Jahre. Bei schweren Gewaltverbrechen und der entsprechenden Einsichtsfähigkeit müsse auch das Strafrecht zur Anwendung kommen, wobei der Erziehungs- und Präventionsgedanke auch weiterhin das Jugendstrafrecht prägen solle. Dem tritt der psychiatrischen Gutachter Hans-Ludwig Kröber, ebenfalls in der Zeit, entgegen: Das bereits bestehenden System erzieherischer Maßnahmen würde in der Regel gut funktionieren. Anwendung von Jugendarrest und Jugendstrafe würden lediglich den "Beginn seiner Haftkarriere vorziehen".

Justiz

LG Braunschweig zu Myright: Das Landgericht Braunschweig hat das Geschäftsmodell des Legal-Tech-Unternehmens Myright gebilligt. Unter Hinweis auf das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zu wenigermiete.de teilte die 3. Zivilkammer in einem Hinweisbeschluss mit, dass die Abtretung der Ansprüche von über 30.000 anderen VW-Kunden voraussichtlich nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstoße. lto.de (Pia Lorenz) beleuchtet die Hintergründe.

AG Leipzig zu Frauke Petry: Das Amtsgericht Leipzig hat die frühere AfD-Politikerin Frauke Petry vom Vorwurf des Subventionsbetrugs freigesprochen. Das melden zeit.de und lto.de. Petry war vorgeworfen worden, die Förderung für eine sogenannte Turn-Around-Beratung nicht für ihre Firma, sondern zur Vorbereitung und Begleitung ihrer persönlichen Insolvenz genutzt zu haben.

BGH – Bundeswehr-Berichte: Der Bundesgerichtshof entscheidet heute über den urheberrechtlichen Schutz von Bundeswehr-Berichten. Die Bundesregierung hatte gegen die Veröffentlichung der als Verschlusssache eingestuften sogenannten "Afghanistan-Papiere" geklagt. Der Europäische Gerichtshof hat bereits entschieden, dass sie sich nur auf das Urheberrecht berufen könne, wenn in den Papieren "schöpferischer Geist in origineller Weise zum Ausdruck" komme. Für Jost-Müller Neuhof (Tsp) wird hier ein Irrtum sichtbar: Die Regierung habe sich eine Rolle angemaßt, die ihr nicht zustehe. "Urheberrechte sind letztlich Verfassungsrechte. Sie wirken für die Bürger und gegen den Staat. Nicht andersherum."

BGH – Lübcke-Mord: Vor dem BGH-Ermittlungsrichter hat der bisherige Hauptverdächtige Stephan E. eine neue Darstellung zum Tod des vormaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gegeben. Nicht E. habe Lübcke erschossen, sondern sein mutmaßlicher Mittäter Markus H., allerdings habe sich der Schuss aus Versehen gelöst, man habe Lübcke nur eine Abreibung verpassen wollen. Ein früheres Geständnis hatte E. zwischenzeitlich widerrufen. Es berichten die SZ (Georg Mascolo, Katja Riedel), die FAZ (isk/tist) und spiegel.de (Sven Röbel u.a.).

LG Hamburg – G20/Geplante Brandanschläge: Vor dem Landgericht Hamburg hat der Prozess gegen drei autonome Linksextremisten begonnen, denen die Planung von vier Brandanschlägen zum zweiten Jahrestag des Hamburger G20-Gipfels vorgeworfen wird. Nach dem Ort der Verhaftung werden die Angeklagten in der autonomen Szene als "die drei von der Parkbank" benannt. Es berichten SZ (Peter Burghardt) und FAZ (Matthias Wyssuwa).

LG Frankfurt/M. – CumEx/Maples Bank: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hat sechs Manager der inzwischen insolventen Maples Bank und den Anwalt Ulf Johannemann wegen schwerer Steuerhinterziehung angeklagt. Die Bank soll in CumEx-Manipulationen mit einem Schaden von 388 Millionen Euro eingebunden gewesen sein. Die Manager erhielten 29 Millionen Euro als Boni, berichtet die SZ (Klaus Ott/Jan Willmroth).

OVG Berlin/Brandenburg – JusProg: Im Streit um die Jugendschutz-Software JusProg, hat es im Eilverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin/Brandenburg einen Vergleich gegeben, meldet die FAZ. Die Kommission für Jugendschutz nimmt die Aufhebung der Zulassung von Jusprog zurück, während sich JusProg verpflichtet, in den nächsten zwei Monaten Anträge auf Eignungsbeurteilung für noch fehlende Betriebssysteme zu stellen. JusProg soll sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche auf Telemedien nicht mit "entwicklungsbeeinträchtigenden" Angeboten konfrontiert werden.

VG Berlin – Parteispende: Das Verwaltungsgericht Berlin verhandelt heute zu der Frage, ob eine Werbeaktion der Schweizer Goal AG im Landtagswahlkampf Baden-Württemberg eine unzulässige Parteispende darstellt. Die Bundestagsverwaltung hatte eine Strafzahlung in Höhe von 269.400 Euro verhängt. Laut spiegel.de (Severin Weiland) will AfD-Co-Chef Jörg Meuthen persönlich aussagen.

OVG Münster – US-Drohnenangriffe: Anlässlich der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani befasst sich die Jurastudentin Yolanda Scheytt auf verfassungsblog.de mit der Verantwortung Deutschlands für den US-amerikanischen Drohnenkrieg. Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster von März 2019 sei die Bundesregierung verpflichtet, sicherzustellen, dass die US-Militärbasis im rheinland-pfälzischen Ramstein nicht für völkerrechtswidrige Angriffe genutzt werde. Die Bundesregierung solle trotz der Revision zum Bundesverwaltungsgericht "die längst überfällige Frage klären, ob und inwiefern eine völkerrechtskonforme Nutzung der Militärbasis Ramsteins möglich ist".

OLG Köln zum selbständigen Beweisverfahren bei verblassender Erinnerung: Nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Köln stellt das zu besorgende Verblassen der Erinnerung keinen Grund für ein selbständiges Beweisverfahren dar. Benedikt Windau (zpoblog.de) kritisiert die Entscheidung. Der "lapidare Hinweis" auf die "Natur jeder Zeugenvernehmung" greife deutlich zu kurz. Gerade bei Verkehrsunfällen könne das selbständige Beweisverfahren eine "richtigere Regulierungsgrundlage" ermöglichen und zugleich unnötige Prozesse vermeiden.

Recht in der Welt

Österreich – Sozialleistungen für Migranten: Rechtsprofessor Franz Merli erläutert auf verfassungsblog.de ein Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, der im Dezember wesentliche Teile des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes aufgehoben hat. Das Gesetz sah deutlich reduzierte Sozialleistungen für Ausländer vor. Das Gericht lehnte eine Schlechterstellung nicht grundsätzlich ab, beanstandete jedoch, dass kinderreiche Familien benachteiligt werden. Dabei berief es sich auf das Sachlichkeitsgebot, das verletzt werde, die Regelungen den Zweck verfehlten, dem betroffenen Personenkreis das Existenzminimum zu gewähren. Auch der "Arbeitsqualifizierungsbonus", der bestimmte Deutsch- und Englischkenntnisse voraussetzte, wurde aufgehoben.

USA – Harvey Weinstein: spiegel.de (Marc Pitzke) schildert Eindrücke von den ersten Verhandlungstagen des Prozesses gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein, dem verschiedene sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden. Die Zeit (Klaus Brinkbäumer) stellt die Frage, ob der Prozess überhaupt Gerechtigkeit bringen kann.

Japan – Ex-Nissan-Chef Ghosn: Nach seiner spektakulären Flucht aus Japan ist der ehemalige Nissan-Chef Carlos Ghosn im Libanon vor die Presse getreten. Er wirft der japanischen Justiz vor, sich gegen ihn verschworen zu haben, und prangert die Haftbedingungen an. In Japan werden ihm verschiedene Finanzvergehen vorgeworfen. Die Welt (Florian Gehm), die taz (Marin Fritz) und das Hbl (Thomas Hanke/Martin Kölling) berichten.

Sonstiges

Kindesmissbrauch: taz.de (Simone Schmollack) berichtet ausführlich über die enormen technischen und auch emotionalen Herausforderungen für Ermittlungsbeamte bei der Sicherstellung kinderpornographischen Materials im digitalen Zeitalter. Zu Wort kommt dabei der Dezernatsleiter der Zentralen Auswertungs- und Sammelstelle Kinderpornografie beim Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen, Schneider, der in diesem Zusammenhang die derzeit fehlende Möglichkeit der Vorratsdatenspeicherung beklagt, da es aufgrund der großen Datenmengen oft nicht möglich sei, die IP-Adressen in der zur Verfügung stehenden Zeit zu ermitteln.

Psychisch kranke Einzeltäter: In der FAZ (Reiner Burger) wird der Fall des vermutlich psychisch kranken 37-Jahre alten Mehmet B. zum Anlass genommen, um über die Problematik psychisch auffälliger Gewalttäter nachzudenken, deren Gefährlichkeit auch mit den zu Verfügung stehenden Analysesystemen häufig nicht adäquat erfasst werden kann. B. hatte am vergangenen Sonntag in Gelsenkirchen auf einer Polizeiwache Beamte mit einem Knüppel, einem Schlagwerkzeug und einem Messer angegriffen und rief währenddessen "Allah Akbar". Er wurde anschließend durch einen Polizeianwärter, der mehrfach auf den Angreifer schoss, tödlich verletzt. Es gab keine Hinweise auf eine Einbindung in die islamistische Szene, jedoch sei er der Polizei bereits als gewalttätig und psychisch auffällig bekannt gewesen.

Plagiatsüberprüfungen: In einem Gastbeitrag für die FAZ befasst sich Stephan Rixen, Rechtswissenschaftler und Sprecher des von der DFG eingesetzten Gremiums "Ombudsman für die Wissenschaft", mit der Problematik der Besorgnis der Befangenheit bei der Überprüfung von Plagiatsvorwürfen. Unter Bezugnahme auf die einschlägige Definition des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) stellt er die Frage, wie ein geeignetes Verfahren zur Überprüfung von Dissertationen sichergestellt werden kann. Hier dränge sich die Frage der Rechtsaufsicht auf, das bisherige "System der introvertierten Selbstkontrolle" müsse überdacht werden.

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lto/dw/chr/cc

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. Januar 2020: Erstes Urteil zu Connewitz / Debatte zu Strafmündigkeit / LG Braunschweig zu Myright . In: Legal Tribune Online, 09.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39583/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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