Die juristische Presseschau vom 14. bis 18. April 2017: Zwei­fel­haftes Türkei-Refe­rendum / BVerfG zu Vor­rats­da­ten­spei­che­rung / EGMR zu Sturm auf rus­si­sche Schule

18.04.2017

Recht in der Welt

EGMR – Russland/Beslan: Ehemalige Geiseln und Angehörige Verstorbener sollen von Russland insgesamt knapp drei Millionen Euro Entschädigung wegen der Befreiungsaktion in der Stadt Beslan erhalten. Das entschied nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, wie die Samstags-taz (Christian Rath) und die Samstags-FAZ (Reinhard Veser) darstellen. Das Gericht monierte die mangelnde Vorbeugung gegen Geiselnahme, die unzureichende Planung des Einsatzes sowie die Verwendung militärischer Waffen. Im Jahr 2004 hatten tschetschenische Terroristen eine Schule besetzt und über 1.000 Geiseln festgehalten. Beim Befreiungseinsatz starben 330 Menschen unter zum Teil noch ungeklärten Umständen. 

Wolfgang Janisch (Samstag-SZ) findet das Urteil mutig in einer Zeit, in der Russland auf Distanz zum Gericht gehe.

EGMR – Frankreich/Trans-Rechte: Die Lehrbeauftragte an der City University of London Flora Renz bespricht auf verfassungsblog.de das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall A.P., Garçon and Nicot v. France von Anfang April. Darin hat das Gericht eine französische Regelung für menschenrechtswidrig erklärt, die die Durchführung einer Sterilisation zur Voraussetzung der Änderung von Namen und Geschlecht machte. Die Autorin ist jedoch skeptisch, ob das Urteil die Rechte von Transpersonen stärkt, da lediglich ein Mindeststandard an Menschenwürde garantiert werde.

Türkei – Selahattin Demirtaş: Die Samstags-taz (Murat Bay) spricht mit der Anwältin Ayse Acinikli, die den inhaftierten Co-Vorsitzenden der Oppositionspartei HDP Selahattin Demirtaş vertritt. Die ihm vorgeworfenen Beleidigungs- und Propagandadelikte entbehrten der rechtlichen Grundlage, so die Anwältin. Zudem verstießen die Haftungsbedingungen gegen Menschenrechte.

Südkorea – Park Geun-hye: Die Staatsanwaltschaft Seoul hat die abgesetzte südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye wegen Bestechung, Machtmissbrauch, Nötigung und der Weitergabe von Staatsgeheimnissen angeklagt, berichtet die Montags-SZ (Christoph Neidhardt). Geschildert werden auch prozessstrategische Fehler der Politikerin.

USA – Todesstrafe: Im US-Bundesstaat Arkansas haben mehrere Gerichte die Hinrichtung von sieben Todeskandidaten gestoppt. Der konservative Gouverneur habe die Hinrichtungen persönlich angeordnet, weil demnächst das Haltbarkeitsdatum des für den Einsatz eingeplanten Mittels verfalle, berichtet spiegel.de (Marc Pitzke).

Gibraltar – Brexit: Der Völkerrechtsprofessor Alejandro del Valle Gálvez beschäftigt sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit den Brexit-Folgen für Gibraltar. Er schlägt vor, dass Großbritannien und Spanien eine Interims-Vereinbarung über die grenzüberschreitende Co-Existenz abschließen und so einen Modus Vivendi zu bestimmten Fragen regeln.

England – Bigamie: lto.de (Martin Rath) schildert im Feuilleton, wie Bigamie in den letzten Jahrhunderten in England bestraft wurde und dass erstaunlicherweise erst die Säkularisierung zu übermäßigen Strafen führte.

Sonstiges

Berliner Neutralitätsgesetz: Einer Lehrerin aus Berlin ist per Dienstanweisung untersagt worden, ein Kreuz um den Hals zu tragen. Für Jost Müller-Neuhof (Tsp) stellt dies eine konsequente Anwendung des Berliner Neutralitätsgesetzes dar. Der Fall zeige jedoch, dass das Gesetz in seiner Starrheit verfassungswidrig sei.

Volksbegriff: Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Philipp Overkamp widmet sich auf juwiss.de dem Begriff des Volkes. Er erläutert den grundgesetzlichen Begriff des Staatsvolkes, kritisiert das Verständnis des kulturellen Volksbegriffs als ein potenziell exkludierendes Konstrukt und zeigt die Absurditäten des völkischen Verständnisses der NS-Zeit auf. Die Forderung nach kultureller Homogenität des Volkes sollte mit Vorsicht behandelt werden: "Das Volk des Grundgesetzes ist das Staatsvolk."

Giftgas und Völkerrecht: Die Samstags-SZ (Ronen Steinke) erläutert, warum der Einsatz von Giftgas als Kriegswaffe völkerrechtlich geächtet ist. Giftgas ist besonders grausam und durch seine Ausbreitung unkontrollierbar. Die Verletzung von Zivilisten ist hierbei unausweichlich.

LegalTech: legal-tech-blog.de (Nico Kuhlmann) stellt (in englischer Sprache) Einsatzmöglichkeiten von juristischen Chat-Bots vor.

SS-Richter: Der Spiegel (Martin Doerry) bespricht eine Biografie des SS-Richters Konrad Morgen, der im Dritten Reich gegen SS-Funktionäre und KZ-Kommandanten wegen Korruption und Amtsmissbrauch ermittelte. Die Biografie-Autoren Herlinde Pauer-Studer und J. David Velleman betonten, dass der Richter, der sich aus idealistischen Gründen für die SS und den NS-Staat einsetzte, später einen Sinneswandel vollzog. Allerdings spreche mehr dafür, dass er seine Abkehr vom NS-Regime und die Ablehnung der Judenvernichtung erst nach Kriegsende erfand.

Das Letzte zum Schluss

Waffenattrappe in Dortmund: Ausgerechnet einen Tag nach dem Anschlag auf den Bus von Borussia Dortmund fuhr ein Rapper mit einer Waffenattrappe durch Dortmund, um ein Musikvideo zu drehen. Laut spiegel.de versetzte er Bürger in Angst und erhielt von der Polizei einen Platzverweis.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ms/chr

(Hinweis für Journalisten)  

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. bis 18. April 2017: Zweifelhaftes Türkei-Referendum / BVerfG zu Vorratsdatenspeicherung / EGMR zu Sturm auf russische Schule . In: Legal Tribune Online, 18.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22667/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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