Die juristische Presseschau vom 4. bis 5. Juni 2015: EGMR entschei­det zu Sterbe­hilfe­fall – Lebens­mittel­ver­packungen – Hartz-IV für Unions­bürger

05.06.2015

Justiz

EuGH zu Hartz-IV-Leistungen für EU-Ausländer: Die FAZ (Joachim Jahn) nimmt ein Votum des Generalanwalts Melchior Wathelet am Europäischen Gerichtshof über einen Streit um Sozialleistungen zum Anlass eines Berichts. In seinem Votum habe der Generalanwalt appelliert, es Deutschland zu erlauben, zugezogene Unionsbürger in den ersten drei Monaten von Hartz-IV-Leistungen auszuschließen – andernfalls könne dies eine "Massenzuwanderung" auslösen. Anlass des Verfahrens ist der Rechtsstreit einer Familie, die aus Spanien nach Deutschland gezogen war und der das Jobcenter Hartz-IV-Leistungen in der Anfangszeit verweigert hatte.

Joachim Jahn (FAZ) zeigt sich in einem gesonderten Kommentar erstaunt: Solch deutliche Worte habe man vom EuGH bisher selten gehört. Man könne nur hoffen, "dass dieser Hinweis auf die Probleme vieler Kommunen mit Armutsmigranten aus Osteuropa auf fruchtbaren Boden fällt". Wathelet habe sich auf besonders eindeutige Fälle beschränkt.

EuGH zur Anpreisung auf Verpackungen: Was auf Verpackungen geschrieben steht oder abgebildet ist, muss grundsätzlich auch drin sein: Auf Vorlage des Bundesgerichtshofs entschied der Europäische Gerichtshof, dass Verpackungen die Verbraucher nicht über den Inhalt des Produkts täuschen dürfen. Im konkreten Fall hatte ein Hersteller eine Teeverpackung mit Himbeere und Vanille betitelt und bebildert, obwohl der Tee tatsächlich weder Vanille noch Himbeere enthielt. Dies war in der Zutatenliste auch korrekt so angegeben. Die SZ, die Freitags-Welt und die Freitags-taz (Christian Rath) berichten.

Die Anwälte Linda Kulczynski und Markus Ruttig zeigen auf lto.de, welche weitreichende Konsequenzen das Urteil für die Lebensmittelindustrie haben könnte.

"ZDF beendet NSU-Prozess": Holger Schmidt (SWR-Terrorismus Blog) kritisiert eine Dokumentation des ZDF zum NSU. Der Film erwecke den Eindruck, alles sei bereits aufgeklärt und der Prozess beendet; er verletze die Unschuldsvermutung. Gerade weil die Taten so menschenverachtend waren, müsse der Rechtsstaat Zeit und Mühe in ein Urteil investieren. Nicht anders dürfe es  bei journalistischer Berichterstattung sein – "sonst wird der Rechtsstaat zur Farce".

EuGH zur Integrationsprüfung: EU-Mitgliedstaaten dürfen auch langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige zu sogenannten Integrationstests verpflichten. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Dabei dürfen jedoch nicht die Ziele der EU-Richtlinie gefährden, nach der Drittstaatsangehörige unter bestimmten Voraussetzungen langfristig Aufenthaltsberechtigte werden können. Das Urteil geht auf eine Vorlagefrage aus Holland zurück. lto.de berichtet.

EuGH zur Kernbrennstoffsteuer: Die deutsche Atomsteuer ist mit EU-Recht vereinbar. Das hat der EuGH entschieden; unter anderem lto.de, die Freitags-taz (Christian Rath), das Handelsblatt (Dana Heide), die FAZ (Joachim Jahn) und die SZ (Markus Balser) berichten. Energiekonzerne müssen nach dem seit 2010 geltenden Kernbrennsteuergesetz milliardenschwere Abgaben auf Brennstoffe in Reaktoren zahlen; sie hatten argumentiert, Kernbrennstoff müsse nach EU-Recht steuerbefreit sein und eine Steuer sei eine verbotene staatliche Beihilfe für Energieerzeugung, die keinen Brennstoff einsetzt. Die Konzerne können aber noch auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hoffen.

OVG Münster zur Bushido/Shindy-Indizierung: Das Oberverwaltungsgericht Münster gab einem Eilantrag gegen die Indizierung des Albums "NWA" und den Track "Stress ohne Grund" statt. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien habe den Kunstgehalt des Tonträgers nicht hinreichend ermittelt und den maßgeblich Beteiligten Rapper Shindy nicht zur Sache gehört, berichtet lto.de.

LG Darmstadt – Tugce-Prozess: Tugce A. ist nach Angaben eines Rechtsmediziners an einer Hirnblutung gestorben. In einem Bericht stellt spiegel.de (Julia Jüttner) den Angeklagten Sanel M. näher vor. Ein Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe habe eine "düstere Zukunft" gemalt; er konnte dem Gericht gegenüber keine Einschätzung zur Frage abgeben, ob Sanel M. nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden solle. Auch die FAZ (Timo Frasch) hat ein Stück zum Thema.

LG Wiesbaden zu öffentlicher Vorverurteilung durch StA: Der ehemalige Präsident der Elitehochschule "European Business School" erhält nach einem Urteil des Landgerichts Wiesbaden 15.000 Euro Schmerzensgeld von der Staatsanwaltschaft Wiesbaden. Von der StA gingen im Rahmen der Ermittlungen um Veruntreuungen von Geldern der Schule "vorverurteilende und bloßstellende" und damit persönlichkeitsrechtsverletzende Aussagen aus, urteilte das LG laut lto.de.

Anzeige gegen Kramp-Karrenbauer: Eine Berliner Rechtsanwältin hat Strafanzeige gegen die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wegen Volksverhetzung gestellt. Sie soll in einem Interview die Forderung nach einer Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in eine Reihe mit Inzucht und Vielehe gestellt und damit "Hass auf diese Gruppe aus der Gesellschaft und die dazugehörigen Personen ausgedrückt" haben, so die Rechtsanwältin. Die Freitags-taz (Malte Göbel) berichtet.

LG Frankfurt (Oder) – Maskenmann: spiegel.de und die SZ (Verena Mayer) schreiben über den Strafprozess gegen den sogenannten Maskenmann, der eine Reihe von Überfällen und eine Entführung begangen haben soll – an dessen Schuld aber Zweifel bestehen. Die Verteidigung habe auf Freispruch plädiert.

AG Frankfurt zu Bloccupy-Aktivisten: Das Amtsgericht Frankfurt hat einen Bloccupy-Aktivisten wegen Landfriedensbruchs und versuchter schwerer Körperverletzung zu 14 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Dass er aus einer aufgeladenen Situation heraus auf der Frankfurter-Bloccupy-Demo zwei Steine geschmissen hatte, gab er zu, berichten die SZ und die Donnerstags-taz (Alina Leimbach).

LAG Schleswig-Holstein zu Kündigung wegen Sitzstreiks: Wer das Zimmer eines Vorgesetzten für mehrere Stunden mit einem Sitzstreik blockiert, um eine außertarifliche Gehaltserhöhung durchzusetzen, muss mit einer Kündigung rechnen dürfen. Das Landesarbeitsgericht entschied entsprechend im Mai, wie jetzt bekannt wurde. Es gab der Kündigungsschutzklage aber insoweit statt, als die Arbeitgeberin nur eine ordentliche statt einer außerordentlichen hätte aussprechen dürfen. lto.de berichtet.

LG Lüneburg – Auschwitz-Prozess: Im Mordprozess gegen den mutmaßlichen ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning lässt das Landgericht Lüneburg die Verhandlungsfähigkeit des 93-jährigen Angeklagten erneut von einem Sachverständigen überprüfen, meldet spiegel.de.

StA Neubrandenburg – Nordkurier-Streit: Eine "neubrandenburgische Justizposse" spielt sich gerade nach einem Urteil des Amtsgerichts Pasewalk ab: Ein Jäger hatte ein totes Reh "rabiat abtransportiert", der Nordkurier schrieb über den "Rabauken-Jäger", das AG verurteilte den Journalisten wegen Beleidigung. Dass die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg überhaupt angeklagt hatte, beleuchtete der Nordkurier-Chefredakteur nun kritisch mit einem Bezug zu den "zwei Diktaturen und einer entsprechend fürchterlichen Justizgeschichte". Jetzt hat wiederum der Staatsanwalt Strafantrag wegen Beleidigung gestellt, fasst lto.de zusammen.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. bis 5. Juni 2015: EGMR entscheidet zu Sterbehilfefall – Lebensmittelverpackungen – Hartz-IV für Unionsbürger . In: Legal Tribune Online, 05.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15760/ (abgerufen am: 14.05.2024 )

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