Am heutigen Freitag entscheidet der EGMR in einem Sterbehilfefall, der große Auswirkungen haben könnte. Außerdem in der Presseschau: der EuGH-Generalanwalt zu Hartz-IV-Leistungen für EU-Ausländer und ein Rüffel für eine NSU-Doku des ZDF.
Thema des Tages
EGMR entscheidet im Sterbehilfefall Vincent Lambert: Am heutigen Freitag entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall des 2008 verunfallten Komapatienten Vincent Lambert, ob dessen künstliche Ernährung eingestellt werden darf. Für Fälle wie diesen, in dem sich der Wille des Patienten nicht eindeutig ermitteln lässt, könnte das Straßburger Urteil "auch über Frankreich hinaus Konsequenzen haben", schreibt die SZ (Wolfgang Janisch).
Rechtspolitik
Tarifeinheit: In einem zusammenfassenden Bericht über das Gesetz zur Tarifeinheit zieht Andreas Kerkemeyer (juwiss.de) das Fazit, dass zwar ein Eilantrag des Bundesverfassungsgerichts gegen das Inkrafttreten des Gesetzes eher nicht erfolgreich wäre. Eine erfolgreiche Klage gegen das Gesetz sei aber nicht unwahrscheinlich: "Die Einschränkung eines Grundrechts" – hier das der Tarifautonomie –, "um es funktionsfähig zu halten, erscheint widersprüchlich".
Justiz
EuGH zu Hartz-IV-Leistungen für EU-Ausländer: Die FAZ (Joachim Jahn) nimmt ein Votum des Generalanwalts Melchior Wathelet am Europäischen Gerichtshof über einen Streit um Sozialleistungen zum Anlass eines Berichts. In seinem Votum habe der Generalanwalt appelliert, es Deutschland zu erlauben, zugezogene Unionsbürger in den ersten drei Monaten von Hartz-IV-Leistungen auszuschließen – andernfalls könne dies eine "Massenzuwanderung" auslösen. Anlass des Verfahrens ist der Rechtsstreit einer Familie, die aus Spanien nach Deutschland gezogen war und der das Jobcenter Hartz-IV-Leistungen in der Anfangszeit verweigert hatte.
Joachim Jahn (FAZ) zeigt sich in einem gesonderten Kommentar erstaunt: Solch deutliche Worte habe man vom EuGH bisher selten gehört. Man könne nur hoffen, "dass dieser Hinweis auf die Probleme vieler Kommunen mit Armutsmigranten aus Osteuropa auf fruchtbaren Boden fällt". Wathelet habe sich auf besonders eindeutige Fälle beschränkt.
EuGH zur Anpreisung auf Verpackungen: Was auf Verpackungen geschrieben steht oder abgebildet ist, muss grundsätzlich auch drin sein: Auf Vorlage des Bundesgerichtshofs entschied der Europäische Gerichtshof, dass Verpackungen die Verbraucher nicht über den Inhalt des Produkts täuschen dürfen. Im konkreten Fall hatte ein Hersteller eine Teeverpackung mit Himbeere und Vanille betitelt und bebildert, obwohl der Tee tatsächlich weder Vanille noch Himbeere enthielt. Dies war in der Zutatenliste auch korrekt so angegeben. Die SZ, die Freitags-Welt und die Freitags-taz (Christian Rath) berichten.
Die Anwälte Linda Kulczynski und Markus Ruttig zeigen auf lto.de, welche weitreichende Konsequenzen das Urteil für die Lebensmittelindustrie haben könnte.
"ZDF beendet NSU-Prozess": Holger Schmidt (SWR-Terrorismus Blog) kritisiert eine Dokumentation des ZDF zum NSU. Der Film erwecke den Eindruck, alles sei bereits aufgeklärt und der Prozess beendet; er verletze die Unschuldsvermutung. Gerade weil die Taten so menschenverachtend waren, müsse der Rechtsstaat Zeit und Mühe in ein Urteil investieren. Nicht anders dürfe es bei journalistischer Berichterstattung sein – "sonst wird der Rechtsstaat zur Farce".
EuGH zur Integrationsprüfung: EU-Mitgliedstaaten dürfen auch langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige zu sogenannten Integrationstests verpflichten. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Dabei dürfen jedoch nicht die Ziele der EU-Richtlinie gefährden, nach der Drittstaatsangehörige unter bestimmten Voraussetzungen langfristig Aufenthaltsberechtigte werden können. Das Urteil geht auf eine Vorlagefrage aus Holland zurück. lto.de berichtet.
EuGH zur Kernbrennstoffsteuer: Die deutsche Atomsteuer ist mit EU-Recht vereinbar. Das hat der EuGH entschieden; unter anderem lto.de, die Freitags-taz (Christian Rath), das Handelsblatt (Dana Heide), die FAZ (Joachim Jahn) und die SZ (Markus Balser) berichten. Energiekonzerne müssen nach dem seit 2010 geltenden Kernbrennsteuergesetz milliardenschwere Abgaben auf Brennstoffe in Reaktoren zahlen; sie hatten argumentiert, Kernbrennstoff müsse nach EU-Recht steuerbefreit sein und eine Steuer sei eine verbotene staatliche Beihilfe für Energieerzeugung, die keinen Brennstoff einsetzt. Die Konzerne können aber noch auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hoffen.
OVG Münster zur Bushido/Shindy-Indizierung: Das Oberverwaltungsgericht Münster gab einem Eilantrag gegen die Indizierung des Albums "NWA" und den Track "Stress ohne Grund" statt. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien habe den Kunstgehalt des Tonträgers nicht hinreichend ermittelt und den maßgeblich Beteiligten Rapper Shindy nicht zur Sache gehört, berichtet lto.de.
LG Darmstadt – Tugce-Prozess: Tugce A. ist nach Angaben eines Rechtsmediziners an einer Hirnblutung gestorben. In einem Bericht stellt spiegel.de (Julia Jüttner) den Angeklagten Sanel M. näher vor. Ein Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe habe eine "düstere Zukunft" gemalt; er konnte dem Gericht gegenüber keine Einschätzung zur Frage abgeben, ob Sanel M. nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden solle. Auch die FAZ (Timo Frasch) hat ein Stück zum Thema.
LG Wiesbaden zu öffentlicher Vorverurteilung durch StA: Der ehemalige Präsident der Elitehochschule "European Business School" erhält nach einem Urteil des Landgerichts Wiesbaden 15.000 Euro Schmerzensgeld von der Staatsanwaltschaft Wiesbaden. Von der StA gingen im Rahmen der Ermittlungen um Veruntreuungen von Geldern der Schule "vorverurteilende und bloßstellende" und damit persönlichkeitsrechtsverletzende Aussagen aus, urteilte das LG laut lto.de.
Anzeige gegen Kramp-Karrenbauer: Eine Berliner Rechtsanwältin hat Strafanzeige gegen die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wegen Volksverhetzung gestellt. Sie soll in einem Interview die Forderung nach einer Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in eine Reihe mit Inzucht und Vielehe gestellt und damit "Hass auf diese Gruppe aus der Gesellschaft und die dazugehörigen Personen ausgedrückt" haben, so die Rechtsanwältin. Die Freitags-taz (Malte Göbel) berichtet.
LG Frankfurt (Oder) – Maskenmann: spiegel.de und die SZ (Verena Mayer) schreiben über den Strafprozess gegen den sogenannten Maskenmann, der eine Reihe von Überfällen und eine Entführung begangen haben soll – an dessen Schuld aber Zweifel bestehen. Die Verteidigung habe auf Freispruch plädiert.
AG Frankfurt zu Bloccupy-Aktivisten: Das Amtsgericht Frankfurt hat einen Bloccupy-Aktivisten wegen Landfriedensbruchs und versuchter schwerer Körperverletzung zu 14 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Dass er aus einer aufgeladenen Situation heraus auf der Frankfurter-Bloccupy-Demo zwei Steine geschmissen hatte, gab er zu, berichten die SZ und die Donnerstags-taz (Alina Leimbach).
LAG Schleswig-Holstein zu Kündigung wegen Sitzstreiks: Wer das Zimmer eines Vorgesetzten für mehrere Stunden mit einem Sitzstreik blockiert, um eine außertarifliche Gehaltserhöhung durchzusetzen, muss mit einer Kündigung rechnen dürfen. Das Landesarbeitsgericht entschied entsprechend im Mai, wie jetzt bekannt wurde. Es gab der Kündigungsschutzklage aber insoweit statt, als die Arbeitgeberin nur eine ordentliche statt einer außerordentlichen hätte aussprechen dürfen. lto.de berichtet.
LG Lüneburg – Auschwitz-Prozess: Im Mordprozess gegen den mutmaßlichen ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning lässt das Landgericht Lüneburg die Verhandlungsfähigkeit des 93-jährigen Angeklagten erneut von einem Sachverständigen überprüfen, meldet spiegel.de.
StA Neubrandenburg – Nordkurier-Streit: Eine "neubrandenburgische Justizposse" spielt sich gerade nach einem Urteil des Amtsgerichts Pasewalk ab: Ein Jäger hatte ein totes Reh "rabiat abtransportiert", der Nordkurier schrieb über den "Rabauken-Jäger", das AG verurteilte den Journalisten wegen Beleidigung. Dass die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg überhaupt angeklagt hatte, beleuchtete der Nordkurier-Chefredakteur nun kritisch mit einem Bezug zu den "zwei Diktaturen und einer entsprechend fürchterlichen Justizgeschichte". Jetzt hat wiederum der Staatsanwalt Strafantrag wegen Beleidigung gestellt, fasst lto.de zusammen.
Recht in der Welt
Schweiz – Korruption/Lex Fifa: Der Schweizer Ständerat hat einen Gesetzentwurf gebilligt, nach dem Korruption härter bestraft und auch von Amts wegen verfolgt werden können; bezeichnet als "Lex Fifa", weil "eigens auf die Bedürfnisse des Weltfußballverbands zugeschnitten". Das Parlament habe die Vorlage aber hinsichtlich der Privatbestechung deutlich abgeschwächt, so das Handelsblatt (Stefan Kreitewolf).
USA – Waffen an Unis: Ein neues texanisches Gesetz erlaubt es Studierenden und Beschäftigten ab Sommer 2016, Schusswaffen an staatlichen Unis zu tragen – vorausgesetzt, sie besitzen einen Waffenschein und tragen die Waffe verdeckt. Das Recht auf Tragen von Waffen soll der Selbstverteidigung dienen. Die Freitags-taz (Dorothea Hahn) schreibt darüber.
Schweiz – HSBC: Gegen die Zahlung von 40 Millionen Franken hat die Genfer Oberstaatsanwaltschaft die Ermittlungen wegen Geldwäsche gegen die Großbank HSBC eingestellt, berichtet die SZ (Charlotte Theile). Eine solche Einigung "werde es nur einmal geben", soll der Oberstaatsanwalt gesagt haben.
Sonstiges
Zeitpunkt von Fahrverboten: Carsten Krumm (blog.beck.de) weist auf die strenge Rechtslage bei Fahrverboten hin: Wer ein Fahrverbot bekommt, müsse sich ab diesem Zeitpunkt darauf gefasst machen, dass es abzubüßen sein wird. Wer gute Gelegenheiten verstreichen lasse (etwa Urlaub, Kur, Krankheit), dürfe sich nicht beschweren. Krumm zitiert exemplarisch aus einem Urteil zum Thema.
Das Letzte zum Schluss
37 Millionen für geplatzten Geschäftstermin: Die Geschichte eines vielleicht richtig teuren Hotelgastes erzählt bz-berlin.de: Ein Berliner verklagt das Maritim-Hotel auf 37 Millionen Euro Schadensersatz. Er war in der Glätte gestürzt – und verpasste deshalb einen Geschäftstermin in Asien. Nächster Verhandlungstermin ist der 7. Juli.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. bis 5. Juni 2015: EGMR entscheidet zu Sterbehilfefall – Lebensmittelverpackungen – Hartz-IV für Unionsbürger . In: Legal Tribune Online, 05.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15760/ (abgerufen am: 14.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag