Die juristische Presseschau vom 8. - 10. August 2015: Wei­sungs­recht oder un­ab­hän­gi­ge Justiz – Win­nen­den-Va­ter muss zahlen – Qua­li­fi­zier­te Lei­

10.08.2015

Justiz

BVerfG zu Grunderwerbsteuer: Am 23. Juni hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht wegen Ungleichbehandlung gegenüber der Regelbemessungsgrundlage verfassungswidrig ist und den Erlass einer rückwirkenden Neuregelung angeordnet, mit Erledigungsfrist. Dies kritisiert Rechtsanwalt Wilhelm Haarmann in der Samstags-FAZ scharf. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz könne nicht mit einem Verstoß gegen Freiheitsrechte, Rechtsstaatsprinzip und Gewaltenteilung wieder eingefangen werden.

OVG NRW zu Kuttenverbot: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat mit einer Eilentscheidung das Kuttenverbot für Mitglieder von Motorradclubs auf der Cranger Kirmes bestätigt. Die Clubmitglieder provozierten sich durch das Tragen der Kutten gegenseitig, was die Gefahr gewalttätiger Eskalation und damit ein Verbot begründe, unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz der Kutten. Das meldet lto.de.

LAG Niedersachsen zu Betriebsratstätigkeit: Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat im April dieses Jahres entschieden, dass Betriebsratstätigkeit keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes ist, denn der Arbeitgeber könne den Betriebsrat bezüglich dieser Tätigkeit oder ihrer Unterlassung nicht anweisen. Überschreite aber die Arbeitszeit zusammen mit der Betriebsratstätigkeit die zulässigen Stunden, gelte die Wertungen des Arbeitszeitgesetzes dennoch und die überschießende Arbeit sei nicht erlaubt. Dazu schreibt Rechtsanwalt Bernd Weller auf dem Handelsblatt-Rechtsboard.

LG Stuttgart zu Winnenden: Das Landgericht Stuttgart hat entschieden, dass der Vater des Amokschützen aus Winnenden Schadensersatz zahlen muss, wegen nicht ordnungsgemäßer Aufbewahrung seiner Schusswaffen. Wie hoch der Schadensersatz ausfällt, ist noch nicht entschieden. Der Mutter konnte nicht nachgewiesen werden, dass sie von der mangelhaften Aufbewahrung wusste, daher bestehe gegen sie kein Anspruch. Das melden unter anderen lto.de, spiegel.de und Samstags-SZ.

LG Ulm zu "Scala"-Sparern: Nachdem das Landgericht Ulm der Sparkasse Ulm bereits untersagt hatte, die "Scala"-Sparverträge zu kündigen, erging nun ein weiteres Urteil. Die vereinbarten, gegenüber dem Referenzzins deutlich erhöhten Zinsen sind danach in relativem und nicht absolutem Verhältnis zu berechnen und damit gegebenenfalls Nachzahlungen zu leisten. Außerdem muss den Kunden, wie ursprünglich vereinbart, die Erhöhung der monatlichen Raten auf bis zu 2.500 Euro weiterhin möglich sein. Die Sparkasse hat Rechtsmittel angekündigt. Es berichten Samstags-Welt (Karsten Seibel), Samstags-FAZ (Susanne Preuß), Handelsblatt (Elisabeth Atzler/Anke Rezmer) und spiegel.de.

LG Ravensburg – bekömmliches Bier? Im Streit zwischen der Brauerei Clemes Härle und dem Verband Sozialer Wettbewerb wird nun das Landgericht Ravensburg im Hauptverfahren entscheiden, ob die Brauerei ihr Bier als "bekömmlich" bezeichnen darf. Mit einstweiliger Verfügung war ihr dies bereits untersagt worden, wie die Samstags-Welt berichtet. Im Bezug auf Wein hat der Europäische Gerichtshof 2012 entschieden, dass Begriffe, die eine Verbesserung des Gesundheitszustandes suggerieren, bei Getränken mit über 1,2 Prozent Alkohol unzulässig sind.

LG Duisburg – Loveparade: Die juristische Aufarbeitung der Loveparade-Katastrophe reiht sich für die Montags-SZ (Wolfgang Janisch) allen Anzeichen nach in eine Reihe von Vorfällen für die letztlich wenige oder niemand zur Verantwortung gezogen werden konnte. Die juristische Aufarbeitung stoße mit dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung an ihre Grenzen, wenn sich die Fehler verschiedener Akteure aneinander reihten. Mit dem auf individuelle Schuld ausgerichteten Strafrecht sei das Versagen von Organisationen oder Behörden kaum zu fassen.

LG Stuttgart – Porsche-Prozess: Der im Juli verschobene Prozess gegen Ex-Porsche-Chef Wiedeking und seinen Finanzchef Härter wegen mutmaßlicher Marktmanipulation soll nun am 22. Oktober beginnen. Eine weitere Anklage wegen Marktmanipulation hat das Gericht zur gemeinsamen Verhandlung hinzuverbunden, meldet das Handelsblatt (mwb).

StA Hannover – Bundespolizist: Gegen den Bundespolizisten, dem die Misshandlungen von Flüchtlingen vorgeworfen wird, ermittelt die Staatsanwaltschaft Hannover nun auch wegen mutmaßlichen Besitzes kinderpornografischen Materials. Das gefundene Material muss laut StA jedoch noch ausgewertet werden, melden unter anderem die Montags-taz und spiegel.de.

Öffentlichkeit beim EGMR: Die Samstags-taz (Bettina Gaus) kritisiert die Hürden, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gegenüber der Öffentlichkeit aufbaue. Der Hinweis auf der Website "Die Besuche sind reserviert für ein Fachpublikum (vor allem Juristen, Anwälte)" und ein mit Bauschutt versperrter Besuchereingang sprächen deutliche Worte.

GBA – "Netzpolitik.org": Die Stellungnahme des Bundesjustizministeriums kommt zu dem Ergebnis, dass keine Staatsgeheimnisse vorlagen, meldet unter anderen die taz. Das Verfahren des Generalbundesanwalts gegen die Blogger von "Netzpolitik.org" werde nun wohl eingestellt und auch gegen die Informanten nicht weiter ermittelt, vermutet die FAS (Markus Wehner) in einem Überblick über die Affäre mit Fokus auf Maaßen. Der Versuch, Journalisten und Durchstecher geheimer Daten abzuschrecken, sei gründlich nach hinten losgegangen, denn ähnliche Ermittlungen würden sich in Zukunft weit schwerer in Gang bringen lassen.

Maaßens Anzeigen: Auch die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) verweist auf die Unberechenbarkeit eines Strafverfahrens und fragt, was wohl das Ziel der Anzeigen war. Die Anzeigen waren zwar ausdrücklich gegen unbekannt gerichtet, was Maaßen laut FAS (Markus Wehner) weiter betont, aber sie nannten nicht nur die Blogger von "Netzpolitik.org", sondern auch ein Gremium von Parlamentariern, schreiben der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) in einem zusammenfassenden Artikel über die Affäre, und zeit.de. Der Spiegel (Maik Baumgärtner u.a.) setzt die Anzeigen in den Kontext des Umgangs mit dem NSA-Untersuchungsausschuss und sieht den entgleisten Versuch, zu viel geheim zu halten.

Staatsgeheimnisse: "Netzpolitik.org"-Redaktionsmitglied Constanze Kunz fragt in der Montags-FAZ, wer die Deutungshoheit über Staatsgeheimnisse haben sollte. Eine Einschränkung dieses Begriffs könne die Einschüchterungsmöglichkeiten gegenüber unliebsamen Journalisten verringern. Jedenfalls aber dürfe die Einschätzung einer "Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik" nicht den jeweils von der Veröffentlichung betroffenen Ressorts überlassen werden. Die WamS (Torsten Krauel) verweist auf "echte" Staatsgeheimnisse, die so bedeutsam waren, dass sie nur mündlich weitergegeben wurden.

StA Berlin – Strafverfahren gegen Maas: Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) meint, Bundesjustizminister Maas habe die Justiz verraten, sich aber nicht strafbar gemacht. Seine konkrete Weisung sei zwar rechtswidrig gewesen, die Hürden, die des Strafrecht bei der Strafvereitelung (im Amt) aufstelle seien aber so hoch, dass das Strafverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft gegen ihn bald eingestellt werde.

Peter Frank: lto.de bringt ein Kurzportrait des wohl zukünftigen Generalbundesanwalts Peter Frank. Nur lobende Worte höre man über den erstklassigen Juristen mit Verständnis für politische Abläufe, dem man zutraue, jede Aufgabe zu meistern, die ihm gegeben werde. Über seine Person sei kaum etwas bekannt, ein Foto schwer aufzutreiben.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. - 10. August 2015: Weisungsrecht oder unabhängige Justiz – Winnenden-Vater muss zahlen – Qualifizierte Lei . In: Legal Tribune Online, 10.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16550/ (abgerufen am: 19.05.2024 )

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