Die juristische Presseschau vom 9. Mai 2018: EuGH zu Fami­li­en­nachzug / Schutz von IT-Know-how / Kri­mi­nal­sta­tistik

09.05.2018

Der EuGH stärkt Recht auf Familiennachzug. Außerdem in der Presseschau: Neues Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, was wirklich hinter der "Asylindustrie" steckt und die Verantwortlichkeit der Justiz im Anti-Terror-Kampf

Thema des Tages

EuGH zu Familiennachzug: Drittstaatsangehörige können auch dann ein Aufenthaltsrecht von ihrem Kind mit EU-Bürgerschaft ableiten, wenn gegen sie zuvor ein Einreiseverbot verhängt worden ist. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden, meldet lto.de. Die Vorabentscheidung betraf mehrere Fälle aus Belgien, in denen die Betroffenen ausgewiesen worden waren und gegen die ein Einreiseverbot verhängt wurde. Belgien weigerte sich, ihre Anträge auf Familienzusammenführung zu bearbeiten, weil sie nach belgischem Recht erst hätten ausreisen müssen. Der EuGH legte nun fest, dass die Anträge in jedem Einzelfall geprüft werden müssen. Ein Aufenthaltsrecht könne bestehen, wenn das Abhängigkeitsverhältnis des Kindes vom Elternteil derart ausgeprägt ist, dass eine Trennung nicht zumutbar wäre. Eine bloße familiäre Bindung soll nicht ausreichen.

Rechtspolitik

Musterfeststellungsklage: Die geplante Einführung einer Musterfestellungsklage führt zu keiner nennenswerten Verbesserung der Rechtsposition Geschädigter. Dies behaupten die Rechtsanwälte Alex Petrasincu und Christopher Unseld in einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch. Selbst wenn in einem Musterbescheid das grundsätzliche Bestehen eines Anspruchs festgestellt werde, sei der notwendige Folgeprozess "kein Selbstläufer" und für die Geschädigten auch immer noch mit einem Kostenrisiko verbunden. Somit bleibe "der gleiche ungleiche Kampf gegen Großkonzerne" bestehen. Im Recht und Steuern-Teil der FAZ stellt Rechtsanwalt Ludger Giesberts die Pläne der EU-Kommission, über eine Richtlinie eine Verbandsklage einzurichten, vor.

Unternehmensstrafrecht: In einem Gastbeitrag für den Staat-und-Recht-Teil der FAZ sprechen sich Rechtsprofessor Matthias Jahn, Habilitandin Charlotte Schmitt-Leonardy und Rechtsanwalt Christian Schoop dafür aus, "eine echte Reform" im Bereich des Unternehmensstrafrechts zu wagen. Bisherige Lösungsvorschläge orientierten sich an bloßen Erhöhungen von Bußgeldern im Ordnungswidrigkeitenrecht oder methodisch fragwürdigen Versuchen, über eine Nutznießerschaft die gängigen Zurechnungen für eine Täterschaft außer Kraft zu setzen. Die Autoren schlagen dagegen ein "parastrafrechtliches Konzept der Unternehmensverantwortung", das eine Verantwortlichkeit neben dem Strafrecht begründet, vor. Der Rechtsanwalt Wolfgang Spoerr hält dagegen in einem Gastbeitrag für den Recht-und-Steuern-Teil der FAZ den im Koalitionsvertrag enthaltenen Kompromiss für eine tragfähige Basis ausgewogener Lösungen. 

Geschäftsgeheimnisse: Rechtsanwältin Anna Glinke stellt auf lto.de das neue Geschäftsgeheimnisgesetz vor, das die EU-Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen umsetzen und in diesem Jahr in Kraft treten soll. Es soll den Schutz von Whistleblowern regeln sowie Maßstäbe für angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen festlegen.

Investitionsgerichtsbarkeit: In einem ausführlichen Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch machen die Rechtsprofessoren Marc Bungenberg und August Reinisch Vorschläge für die Ausgestaltung eines Investitionsgerichtshofs. Eine derart feste Institution sei sowohl von der EU-Kommission als auch der UN-Kommission für das Internationale Handelsrecht geplant, die Autoren haben im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ein Gutachten zur "Machbarkeit eines multilateralen Investitionsgerichtshofs" erstellt. Der zu errichtende Gerichtshof sollte sich nach Ansicht der Verfasser durch strenge rechtsstaatliche Ausgestaltung, Kosteneffizienz sowie Transparenz und Einheitlichkeit der Spruchpraxis auszeichnen. Die FAZ (Helene Bubrowski) fasst die Vorschläge zusammen.

§ 219a StGB: Gegenüber der FAZ (Daniel Deckers) hat sich Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, gegen eine Reform des § 219a Strafgesetzbuch ausgesprochen. Hierdurch würde ein Kompromiss aufgeschnürt, der vor mehr als 20 Jahren einen fast unlösbar erscheinenden Konflikt befriedet habe.

Justiz

Klagen gegen Abschiebungen: Die BadZ (Christian Rath) klärt auf, worin die Tätigkeit von Anwälten besteht, die Mandate auf dem Gebiet des Asylrechts betreuen. Zunächst seien Rechtsmittel gegen belastende Verwaltungsakte selbstverständlich Teil des Rechtsstaatsprinzips. Entgegen Alexander Dobrindts Vorstellung einer "Industrie" könnten Anwälte aufgrund des geringen Streitwerts zudem kaum kostendeckend arbeiten. Abschiebungen scheiterten eher an praktischen Hürden wie fehlenden Papieren.

BGH zu Sven Lau: Die Verurteilung des Salafistenpredigers Sven Lau wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung ist rechtskräftig. Den nun bekanntgewordenen Beschluss des Bundesgerichtshofs von Anfang April meldet die SZ.

OLG München – NSU: Am 423. Verhandlungstag des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht München hat die Verteidigung des Mitangeklagten André E. für dessen Freispruch plädiert. Der Angeklagte sei zwar überzeugter Nationalsozialist, so die SZ (Annette Ramelsberger/Wiebke Ramm) und spiegel.de (Julia Jüttner) über das Plädoyer. Dies reiche indes für den Nachweis einer Beteiligung an den angeklagten Taten nicht aus. Auch die FAZ (Karin Truscheit) berichtet zum Plädoyer.

LG Wiesbaden – Cum-Ex: Nach Bericht der SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) hat es das Landgericht Wiesbaden abgelehnt, gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. einen Haftbefehl gegen den Steuerberater Hanno Berger zu erlassen. Die mutmaßlich zentrale Figur bei der Weiterentwicklung der sogenannten Cum-Ex-Steuertricksereien lebt seit mehreren Jahren in der Schweiz. Ihm und fünf weiteren Angeschuldigten wirft die Anklagebehörde Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall vor. Ein Prozessbeginn sei noch nicht absehbar.

AG Hamburg – G-20: Ein junger Mann aus Russland ist wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte im Rahmen der G-20-Krawalle zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Gleichzeitig sprach ihm das Amtsgericht Hamburg eine Entschädigung für seine viermonatige Untersuchungshaft zu, berichtet die  taz-Nord (Katharina Schipkowski).

VG Düsseldorf zu Polizisten-Tattoo: Ein Kommissarsanwärter darf trotz großflächiger Tätowierung auf dem Unterarm nicht vom Polizeidienst ausgeschlossen werden. Dies entschied wie schon im Eilverfahren das Verwaltungsgericht Düsseldorf. Laut Bericht der FAZ verwies das Urteil auch auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der ein Eingriff in derart wesentliche Lebensbereiche nur durch Gesetz und nicht durch einen "Körperschmuck-Erlass" geregelt werden dürfe.

Anwaltschaft: Der FAZ-Einspruch (Marcus Jung) berichtet von den Themen des jüngsten Anwaltskongresses der Bundesrechtsanwaltskammer. Reformbedarf sei festgestellt worden bei der Umsetzung digitaler Lösungsansätze, dem zu geringen Anteil von Frauen und der zu geringen Anzahl von Anwälten außerhalb von Ballungszentren.

Klimaschutzrecht: Anhand von Beispielen wie der Klage eines peruanischen Bauers gegen RWE wegen klimawandelbedingter Schäden macht Birgit Spießhofer (FAZ-Einspruch) eine "Zeitenwende" im Bereich des Klimaschutzrechts aus. Auch international sei eine "climate litigation", bei der ein wesentlicher Zweck darin bestehe, "auf breiter Front Aufmerksamkeit und öffentlichen Druck zu erzeugen", zu beobachten.

Kohl-Dokumente: Wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) schreibt, hat Kohls Witwe Maike Kohl-Richter eine Erklärung abgegeben, dass sie nicht im Besitz amtlicher Unterlagen des Bundes sei. Die Auskunft sei erst im Zusammenhang mit der durch den Tsp selbst angestrengten Auskunftsklage gegen das Kanzleramt erteilt worden. Damit sollte geklärt werden, ob Kohl amtliche Unterlagen privat aufbewahrte.

Recht in der Welt

Syrien – völkerrechtswidriger Krieg? Christian Richter erklärt auf juwiss.de, dass die Angriffe auf syrische Ziele durch die Luftstreitkräfte des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der USA gegen das Friedenssicherungsrecht verstießen und den völkerrechtlichen Grundsatz der Dichotomie von ius in bello und ius ad bellum verletzten.

Gerichte und Terrorismusbekämpfung: In der Schwerpunktreihe zur Verantwortlichkeit von Instanz- und Verfassungsgerichten bei Antiterror-Maßnahmen auf verfassungsblog.de stellt die Rechtsprofessorin Arianna Vedaschi den Abu-Omar-Fall vor. Einige seiner Kidnapper vom italienischen Geheimdienst SISMI konnten nicht belangt werden, weil das Verfassungsgericht die Unverwertbarkeit von Beweisen wegen des Staatsgeheimnis-Privilegs bejahte. Rechtsprofessor Martin Scheinin befasst ebenfalls auf verfassungsblog.de mit finnischer Antiterror-Gesetzgebung und einem Gerichtsverfahren gegen drei Finnen, die sich an den Kampfhandlungen in Syrien beteiligen wollten. 

Österreich – Rechtsbereinigung: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Spitra kritisiert auf verfassungsblog.de das österreichische Rechtsbereinigungsgesetz, mit dem auf einen Schlag 5.000 Gesetze außer Kraft treten sollen. Kritisch an dem Vorhaben sei nicht nur die ästhetisierende und organologische Vorstellung von der Rechtsordnung, sondern insbesondere die Exklusion des Parlaments aus dem Diskurs darüber, welche Gesetze weiterhin von gesellschaftlicher Relevanz sein sollen.

EGMR – Italien: Überlebende eines Schiffsunglücks im Mittelmeer haben beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage gegen Italien eingereicht. Die Kläger machen geltend, dass die Kooperation mit der libyschen Küstenwache das Unglück im vergangenen November mit über 20 Toten provoziert habe, so die taz (Christian Jakob).

USA – Martin Winterkorn: Uwe Jean Heuer (Zeit) verteidigt die FBI-Ermittlungen gegen den früheren VW-Chef Martin Winterkorn. Deren Methoden und Inszenierung müssten die Deutschen zwar nicht gut finden, offensichtlich brauche es zur Aufklärung unternehmerischen Unrechts aber immer noch "die Cowboys aus Amerika", die nun wohl auch das von der Staatsanwaltschaft Braunschweig betriebene Ermittlungsverfahren voranbringe.

USA – Generalstaatsanwalt: Der wegen zahlreicher spektakulärer Ermittlungsverfahren bekanntgewordene Generalstaatsanwalt des US-Bundesstaates New York, Eric Schneidermann, ist zurückgetreten. Grund seien Berichte, er habe mehrere frühere Partnerinnen misshandelt, schreibt die SZ (Claus Hulverscheidt).

USA – Justizsystem: Der FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) befragt Linda Greenhouse, jahrzehntelange Gerichtsreporterin der New York Times, zu den Auswirkungen der Präsidentschaft Donald Trumps auf das Justizsystem der USA. Durch den unsystematischen Stil des Präsidenten sei die Justiz des Landes vor neue Herausforderungen gestellt worden, seine Ernennungspraxis für das Oberste Gericht des Landes, aber auch nachgeordneter Bundesgerichte dürfte die USA noch wesentlich prägen.

Sonstiges

 
BAMF-Skandal: In einem internen Bericht für das Bundesinnenministerium hat die derzeitige Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Asyl und Flüchtlinge den Verdacht geäußert, dass die Bundeszentrale des BAMF eine Mitverantwortung für die festgestellten Unregelmäßigkeiten bei der Bremer Behörde trage. Entsprechenden Verdachtsmomenten sei in der Nürnberger Zentrale über mehrere Jahre hinweg nicht nachgegangen worden, schreibt die SZ (Bernd Kastner) über den Bericht. In einem separaten Kommentar erinnert Bernd Kastner (SZ) daran, dass dieser Bericht keine Beweise enthalte. Sollten die Vorwürfe stimmen, wäre dies "der asylpolitische Gau, der enorm viel Vertrauen zerstören würde".

Kriminalstatistik: Heribert Prantl (SZ) hält die nun vorgelegte neue Kriminalstatistik für einen Anlass legislativer Mäßigung. Eingehalten habe Thomas de Maizière eine Ankündigung zur Mäßigung ebenso wenig wie die Länder, die neue Paragrafen produzierten, "als würden sie nichts kosten". Dabei sei der Staat stark, der "für inneren Frieden auch dadurch sorgt, dass er das Recht in Frieden lässt". Reinhard Müller (FAZ) erkennt regionale Unterschiede bei der Durchsetzung geltenden Rechts, wobei Länder Akzente etwa bei der Zahl von Polizisten, Richtern und Staatsanwälten und "deren Arbeitsbedingungen und Wertschätzung" setzen könnten. Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) kritisiert die verzerrende Darstellung seitens Medien und konservativer Politiker, die das Vertrauen in den Rechtsstaat beschädigten.

Wetzlar: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch kritisiert Rechtsprofessor Steffen Augsberg das Verhalten der Stadt Wetzlar gegenüber dem Bundesverfassungsgericht als nicht hinnehmbar. Der "rechtsstaatliche Skandal" sei umso bemerkenswerter, als er "in seiner Grundtendenz keinen Ausnahmecharakter" aufweise. Bereits seit etlichen Jahren ließen sich Kommunen erst durch gerichtliche  Entscheidungen dazu anhalten, ihre "rechtsstaatswidrige administrative Praxis" einer Verweigerung öffentlicher Einrichtungen für "rechte" oder "rechtsextreme" Organisationen aufzuheben. Die administrative Blockadehaltung könne nicht mit Rechtsblindheit erklärt werden, sie sei vielmehr der wohlfeile Versuch einer staatlichen Gewalt, sich auf die Kosten einer anderen, der Justiz, zu profilieren.


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lto/mpi/ms

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. Mai 2018: EuGH zu Familiennachzug / Schutz von IT-Know-how / Kriminalstatistik . In: Legal Tribune Online, 09.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28421/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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