Die juristische Presseschau vom 6. August 2020: Das dritte Geständnis von Ste­phan E. /  Me­di­en­pro­b­leme im Gericht / BVerfG zu Streik­mo­bi­li­sie­rung bei Amazon

06.08.2020

Im Lübcke-Prozess hat der Hauptangeklagte gestanden, dass er selbst geschossen hat. Journalisten können nur schwer über den Prozess berichten. Das Bundesverfassungsgericht billigt Sreik-Agitation von Verdi auf einem Firmen-Parkplatz. 

Thema des Tages

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Der mutmaßliche Täter Stephan E. hat sein drittes Geständnis abgelegt. In einer Erkläung, die sein Anwalt verlas, gab E. zu, dass doch er selbst Lübcke erschossen hat. Allerdings sei der Mitangeklagte Markus H. mit dabei gewesen. Sie hätten auch einen gemeinsamen Tatplan gehabt, zu dem ein möglicher Schuss auf Lübcke gehörte. H. sei für ihn wie ein Mentor gewesen. Damit dürfte H. nun nicht mehr nur als Gehilfe, sondern auch als Mittäter in Frage kommen. E. schilderte ausführlich seine harte Kindheit mit einem gewaltätigen Vater, der ihm den Ausländerhass vorgelebt habe. E. beschuldigte seine vorigen Anwälte, ihn zu Falschaussagen angestiftet zu haben. Es berichten SZ (Annette Ramelsberger), FAZ (Marlene Grunert), Welt (Hannelore Crolly), spiegel.de (Julia Jüttner), zeit.de (Martin Steinhagen), tagesschau.de (Frank Bräutigam) und LTO.

Reinhard Müller (FAZ) kommentiert, das dritte Gestänndnis "dürfte der fürchterlichen Wahrheit im Mordfall Lübcke recht nahekommen". Er hofft, dass es auf ähnlich denkende Rechtsextremisten positive Wirkung hat.

Medienöffentlichkeit im Gericht: LTO (Markus Sehl/Annelie Kaufmann) beschreibt ausführlich die Probleme von Journalisten, die über den Prozess berichten wollen. Es gebe im Saal coronabedingt viel zu wenig Sitzplätze, zudem habe der Vorsitzende Richter Laptops verboten. Es gebe zwar eine Tonübertragung in einen zusätzliche Medienarbeitsraum, der aber in einem anderen Gebäudeteil liege, sodass kaum Kontakt zu Prozessbeteiligten möglich sei. 

Rechtspolitik

Kriminalpolitik: An diesem Donnerstag wird die NRW-Regierungskommission "Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen" ihren rund 150-seitigen Abschlussbericht vorlegen. Die Kommission wurde vom CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach geleitet. Unter anderem sollen Kinder bei Salafismusverdacht durch den Verfassungsschutz beobachtet werden können, berichtet LTO.

Arbeitsschutz in der Fleischindustrie: Das Bundesarbeitsministerium geht davon aus, dass der Fleischindustrielle Clemens Tönnies das geplante Gesetz zum Arbeitsschutz in der Fleischindustrie nicht durch die angekündigte Gründung von Tochterfirmen unterlaufen kann. Kleinere Firmen seine von dem Gesetz nur ausgenommen, wenn sie handwerklich arbeiten. Auch werde die Leiharbeit in der Fleischindustrie verboten, damit sie nicht die bald untersagten Werkverträge ersetzen könne, berichtet die Zeit (Kolja Rudzio)

Datenverkehrsfreiheit: Friederike Welter, die Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung, schlägt in einem FAZ-Gastbeitrag vor, die EU-Verträge um eine fünfte Grundfreiheit zu ergänzen, die Datenverkehrsfreiheit. Dies wäre "für die Handelspartner außerhalb der EU ein klares Zeichen, dass die Europäische Gemeinschaft dem digitalen Protektionismus nun aktiv entgegenwirkt".

StVO-Novelle und Bußgeldkatalog: Vor einer Videokonferenz der Verkehrsminister am Mittwoch hat NRW-Verkehrsminister Marcel Wüst (CDU) einen Kompromiss im Streit um die Neufassung des Bußgeldkatalogs vorgeschlagen. Nur in besonderen Fällen (beim Rasen vor Schulen und Kindergärtzen bzw. an Autobahnbaustellen) solle bereits beim ersten schweren Verstoß ein Fahrverbot drohen, berichten FAZ (Kerstin Schwenn) und spiegel.de.

Corona – Nutzung von Gästelisten: Das Bundesjustizministerium will den Zugriff auf Daten sogenannter Corona-Gästelisten durch die Polizei nicht gesetzlich regeln, berichtet zeit.de. Der Zugriff sei bereits durch die Strafprozessordnung geregelt und benötige die Zustimmung eines Richters. Dabei müsse der Zugriff auch in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat stehen. Die FDP fordert eine spezielle gesetzliche Regelung. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) fordert sogar ein gesetztliches Verbot der polizeilichen Nutzung.

Justiz

BVerfG zu Streikmobilisierung auf Firmenparkplatz: Die Gewerkschaft Verdi durfte Mitarbeiter des Online-Händlers Amazon auf dem Amazon-Firmenparkplatz zum Streik aufrufen, wenn dort die einzige Möglichkeit zu persönlichen Kontakten besteht. Dies entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht und bestätigte damit eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Es berichteten die SZ (Sibylle Haas), die FAZ (Marcus Jung) die taz (Christian Rath) und LTO.

BVerfG zu EZB-Anleihekauf: Bis auf weiteres kann sich die Bundesbank am EZB-Anleihekaufprogramm PSPP beteiligen. Obwohl am Mittwoch die vom Bundesverfassunggericht aufgestellte drei-Monats-Frist ablief, innerhalb der die EZB eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen und dokumentieren sollte, haben die Kläger noch keinen Vollstreckungsantrag auf Rückzug der Bundesbank gestellt. Nach Kläger Peter Gauweiler hat allerdings eine weitere Klägergruppe beim BVerfG das Recht auf Einsicht in die von der EZB vorgelegten Dokumente beantragt, berichtet die FAZ (Christian Siedenbiedel, faz.net-Kurzfassung). Das Bundesverfassungsgericht werde wohl erst im Herbst entscheiden, ob die EZB-Dokumente den Anforderungen genügen, und dabei vor allem auf die Einschätzung von Bundestag und Bundesregierung abstellen, so die SZ (Wolfgang Janisch). Auch tagesschau.de (Klaus Hempel) gibt einen Überblick.

BVerfG – Solidaritätsbeitrag: Nach der parlamentarischen Sommerpause wollen Mitglieder der FDP-Bundestagsraktion Verfassungsbeschwerden gegen den Solidaritätsbeitrag einlegen, berichten FAZ (Corinna Budras) und LTO. Für eine abstrakte Normenkontrolle wären 25 Prozent der Bundestags-Abgeordneten erforderlich gewesen.

BGH zur Vermögensabschöpfung: Die Justiz kann bei Hintermännern den Gegenwert der Beute einer Straftat einziehen, wenn diese zeitweise die tatsächliche Herrschaft über die Beute (hier: acht gestohlene PKW) hatten. Der Bundesgerichtshof billigte laut LTO ein entsprechendes Urteil des Landgerichts Osnabrück. 

VG Regensburg zu Corona und Erntehelfern: Auf einem Gurkenhof in Mamming bleiben alle 474 Ernethelfer in Quarantäne, nachdem zunächst 174 und später weitere 52 Helfer positiv auf Corona getestet wurden. Der Hofinhaber wollte die negativ getesteten Erntehelfer bei der Gurkenernte einsetzen. Einen entsprechenden Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg laut LTO jedoch mit Verweis auf die Infektionsgefahr ab. 

OVG Greifswald – Nord Stream 2: Die Deutsche Umwelthilfe klagt vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald gegen die Erteilung der (bereits zu 94 Prozent fertiggestellten) Erdgaspipeline Nord Stream 2, so spiegel.de. Es gebe neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu unkontrolliertem Methanaustritt, die einen "massiven Einfluss" der Pipeline auf das Klima belegten.

GenStA Berlin – rechtsextremistische Anschläge in Neukölln: Generalstaatsanwältin Margarete Koppers hat die Ermittlungen zu einer Serie mutmaßlich rechtsextremistischer Anschläge in Berlin-Neuköln an sich gezogen. Zuvor hatte eine Opferanwältin in den Ermittlungsakten ein Abhörprotokoll des tatverdächtigen früheren AfD-Lokalpolitikers Tilo P. gefunden, in dem P. von einer Vernehmung durch den Leiter der Staatsschutzabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft berichtet. P. solle sich keine Sorgen machen, habe der Staatsanwalt dabei gesagt, er sei selbst AfD-Wähler. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Staatsanwaltschaft nicht neutral ermittele, begründete Koppers laut Tsp (Alexander Fröhlich) die Übernahme der Ermittlungen.

StA Berlin ­– Datenschutz  und fingierte Stellenangebote: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat die Ermittlungen gegen einen Unternehmer nach § 170 II Strafprozessordnung eingestellt, der über Scheinfirmen zehntausende offene Stellen inserierte, um die Daten von Bewerbern zu erhalten und dann weiterzuverkaufen. Die Staatsanwaltschaft berief sich darauf, dass ihr Journalisten, die über das Vorgehen des Unternehmers berichteten, keinen einzigen konkreten Fall zugänglich gemacht hätten, so die SZ (Uwe Ritzer).

StA München II – Audi-Dieselskandal: Die Staatsanwaltschaft München II hat wegen des Dieselskandals Anklage gegen vier weitere Ex-Manager von Audi erhoben. Die Anklage wegen Betrugs, mittelbarer Falschbeurkundung und strafbarer Werbung richtet sich gegen drei Ex-Vorstände und den langjährigen Dieselmotorenchef, so Handelsblatt Online. Damit seien jetzt acht ehemalige Audi-Manager angeklagt.

GenStA Naumburg – Prepper: Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hat gegen Mitglieder der Prepper-Gruppe "Zuflucht" Ermittlungen wegen Verstößen gegen das Waffengesetz und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aufgenommen, berichtet die taz (Sebastian Erb/Christina Schmidt). Die Beschuldigten sollen sich für einen Tag X illegal bewaffnet haben. 

Recht in der Welt

Italien – Seenotrettung: Der deutsche Seenotrettungsverein SeaEye, der das Schiff Alan Kurdi betreibt, hat beim Verwaltungsgericht Palermo Klage gegen das Verkehrsministerium in Rom und das Hafenamt Palermo wegen Festsetzung des Schiffes eingereicht, berichten die SZ (Andrea Bachstein) und zeit.de.

Kolumbien – Ex-Präsident Uribe: Das Oberste Gericht Kolumbiens ordnete gegen den Ex-Präsidenten Alvaro Uribe Untersuchungshaft an, die dieser als Hausarrest absitzen darf, berichten die FAZ (Tjerk Brühwiller) und die taz (Katharina Wojczenko)Uribe wird verdächtigt, Zeugen bestochen zu haben, die gegen einen linken Senator aussagen sollten. 

Niederlande/Polen – Auslieferung: Nun berichtet auch LTO über die Vorlage eines Amsterdamer Gerichts an den Europäischen Gerichtshof. Die niederländischen Richter wollen wissen, ob nach den polnischen Justizreformen, die die Unabhängigkeit der polnischen Justiz beeinträchtigten, noch Auslieferungen nach Polen möglich sind. 

Sonstiges

Suizidhilfe: Die Zeit (Mariam Lau/Marc Widmann) schildert, wie Suizidhilfe-Vereine nach dem BVerfG-Urteil zu § 217 Strafgesetzbuch wieder aktiv werden. Sterbehilfe Deutschland e.V. von Roger Kusch habe nach eigenen Angaben seitdem 33 Menschen zum Tod verholfen. Bei Dignitas Deutschland seien es fünf bis zehn Personen gewesen. In eine mögliche Neufassung des Gesetzes seien die Vereine nicht eingebunden. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) weigere sich außerden immer noch, ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017 umzusetzen, wonach in extemen Einzelfällen Anspruch auf Erhalt des Suizidmedikaments Natriumpentobarbital besteht. 

Wirecard und BaFin: Rechtsprofessor Alexander Thiele stellt auf LTO die zentralen Fragen an die Bankenaufsicht BaFin zusamen, die sich aus dem Wirecard-Skandal ergeben. Warum stand nur ein so kleiner Teil der Wirecard AG unter der Aufsicht der BaFin? Warum vertraute die BaFin so sehr auf externe Berater? Warum hat die BaFin erst so spät und zurückhaltend agiert?

Kündigung von Basketballer: Der Verein Telekom Baskets Bonn hatte den Spieler Joshiko Saibou fristlos gekündigt, weil er bei der Corona-skeptischen Demonstration in Berlin am letzten Wochenende ohne Mundschutz mitdemonstriert hat. Es bestehe die Gefahr, dass sich Baibou nicht an Corona-Schutzkonzepte halte. Der Sportrechler Christof Wieschemann hält auf spiegel.de die Kündigung für rechtswidrig, weil das Schutzkonzept noch gar nicht fertiggestellt sei. 

 

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lto/chr

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. August 2020: Das dritte Geständnis von Stephan E. /  Medienprobleme im Gericht / BVerfG zu Streikmobilisierung bei Amazon . In: Legal Tribune Online, 06.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42420/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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