Die juristische Presseschau vom 26. bis 29. Mai 2012: NSU-Verdächtiger frei – Papst-Vertrauter festgenommen – Whistleblowerin erhält 90.000 Euro

29.05.2012

Der Bundesgerichtshof hebt den Haftbefehl gegen den mutmaßlichen NSU-Unterstützer Holger G. auf. Außerdem bietet die Presseschau: Abschöpfung von Funkdaten rechtens, nichtige Zeitarbeitsverträge, neue Strafvollzugsgesetze, die Unsitte verbummelter EU-Gesetze, ein Quantum Urheberrechtsdebatte und einen bibliophilen Bock als Gärtner.

NSU-Verdächtiger frei: Der Bundesgerichtshof hat den Haftbefehl gegen Holger G. aufgehoben berichtet die taz-Samstag (Christian Rath). Der mutmaßliche Unterstützer der NSU habe zum Zeitpunkt etwaiger Hilfe von einer Mordserie nichts gewusst. Die mögliche Übergabe einer Pistole habe die Taten der NSU in keiner Weise gefördert, so die FAZ-Samstag (Peter Carstens).

Hans Leyendecker (SZ-Samstag) kommentiert, die Entscheidung des BGH sei nicht in allen Punkten leicht nachzuvollziehen. Bisher habe das Gericht Beihilfe bei Übergabe einer Waffe bejaht, auch wenn diese nicht zum Einsatz gekommen sei. Die leichte Korrektur der bisherigen Rechtsprechung habe auch mit der Aussagefreudigkeit von Holger G. zu tun, der "eine Art Kronzeuge" sei.

Weitere Themen – Rechtspolitik

BGH Stellenstreit: Die FAZ-Samstag (Reinhard Müller) fasst den aktuellen Stand zum Richterstreit beim Bundesgerichtshof zusammen. Hinsichtlich der kürzlich von Strafverteidigerverbänden aus Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen erhobenen Rücktrittsforderung gegen den Präsidenten des BGH, Klaus Tolksdorf, zitiert sie der Sprecher des Bundesjustizministeriums, demzufolge keine ausreichende Hinweise bezüglich einer Verletzung der Unabhängigkeit von Richtern vorlägen, um disziplinarische Schritte gegen Tolksdorf einzuleiten.

Urheberrechtsdebatte: In einem gemeinsamen Beitrag sehen Michael und Winfried Hassemer (FAZ-Dienstag) im Feuilleton das Urheberrecht in der Tradition der europäischen Menschenrechte. Auch wenn vieles aus diesem alten Rechtsdenken bewahrenswert sei, so der Zivilrechtsprofessor (Sohn) und der Strafrechtsprofessor (Vater), habe der Schwung der  Piraten "alle aufgeregt, gepackt und zum Nachdenken gebracht". Jetzt sei ein pragmatischer Kompromiss erforderlich.

Der Wissenschaftsphilosoph Ulrich Kühne (taz-Samstag) schlägt vor, Verwerter geistiger Produkte sollten ähnlich wie Makler lediglich sechs Prozent vom Endpreis eines Produkts für sich behalten dürfen, 94 Prozent seien für den Urheber. Heribert Prantl (SZ-Samstag) differenziert in seinem Leitartikel zwischen dem Recht auf freien Zugang zu Informationen und der kostenpflichtigen Nutzung von Werken, die auf diesen basierten. Eine Kapitulation des Rechts vor einer neuen Technologie sei eine Katastrophe für die Gesellschaft.

zeit.de (Thomas Fischermann) interviewt Daniel Neumann. Der Webdesigner und Hobbymusiker, der die Position der Piraten zum Urheberrecht mit ausgearbeitet hat, will keine Abschaffung des Urheberrechts, sondern des technischen Kopierschutzes: "Man soll Musik, Filme und überhaupt alle Produkte dieser Art beliebig nutzen, remixen oder zusammenstellen können, wie man will."

EU-Gutachten zu Vorratsdatenspeicherung: Der Abgeordnete der Piraten im schleswig-holsteinische Landtag, Patrick Breyer (netzpolitik.org), analysiert in einem Gastbeitrag das längere Zeit unter Verschluss gehaltene EU-Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung, dessen Text dort auch verlinkt ist. Das umstrittene Dokument stelle fest, es sei nicht möglich, den EU-Mitgliedsstaaten freizustellen, ob sie die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung anwendeten oder nicht. Zu dem Konflikt zwischen EU-Kommission und Zivilgesellschaft, bei der letztere ein EU-weites Verbot von Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung treffe, gehe das Gutachten gar nicht ein.

Grundrecht auf Informationszugangsfreiheit: Rechtsanwalt Thomas Stadler (internet-law.de) setzt sich mit der Kritik des CDU-Bundestagsabgeordneten Patrick Sensburg an der Forderung der Grünen nach einem Grundrecht auf Informationszugangsfreiheit auseinander. Freier Informationszugang sei mehr als eine bloße Verwaltungsverfahrensvorschrift.

Strafvollzugsgesetze der Länder: Christine Graebsch und Sven Burkhardt (lto.de) analysieren den gemeinsamen Entwurf von zehn Bundesländern für ein neues Strafvollzugsgesetz. Die Hochschullehrerin, die an der FH Dortmund auch das Strafvollzugsarchivs leitet und der Rechtsanwalt loben die vorsichtigen Verbesserungen im Bereich der Resozialisierung, fordern aber einklagbare Rechte für Strafgefangene: "Wer rechtstreu werden soll, muss Recht positiv erfahren."

Doppelbesteuerungsabkommen: Heide und Harald Schaumburg (Handelsblatt) setzen sich mit den Problemen auseinander, die für doppelansässige Kapitalgesellschaften aus neuen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) entstehen. Die Vizepräsidentin des Finanzgerichtshofs a. D. und der Rechtsanwalt fordern, die Entstrickungsbesteuerung für die unverändert im Inland steuerverhaftete Wirtschaftsgüter müsse unterbleiben. Das Ende des Jahres in Kraft tretende DBA mit Taiwan sei ein unmittelbar bevorstehender Anwendungsfall.

Fußfesseln für Hooligans: Generalbundesanwalt Harald Range plädiert für elektronische Fußfesseln bei Fußball-Hooligans zur Durchsetzung bereits bestehender Stadionverbote, berichtet die SZ-Samstag (Carsten Janke). Laut dem Sprecher der Koordinationsstelle der Fanprojekte, Volker Goll, gehöre dieser Vorschlag, für den es im Moment keine gesetzliche Grundlage gibt, zum "Wettbewerb der Stammtischparolen".

Weitere Themen – Justiz

BVerfG zu Bundeswahlgesetz: Der Spiegel (Thomas Darnstädt, Dietmar Hipp) hält es für möglich, dass das Bundesverfassungsgericht das reformierte Bundeswahlgesetz für verfassungswidrig erklärt.

BVerfG und Nichtraucher: Mit dem gewundenen Gesetzgebungsverfahren für das Hamburger Nichtraucherschutzgesetz setzt sich die FAZ-Dienstag (Frank Pergande) auseinander. Die Vorschrift sei vom Bundesverfassungsgericht bereits zweimal gekippt worden. Nach wie vor werde in Hamburg nach einem Text gesucht, der ein drittes Scheitern in Karlsruhe vermeiden helfen könne.

BVerfG und EU-Recht: Rechtsanwalt Wolfgang Spoerr (FTD) stellt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Preisansagepflicht vor. Die regelmäßige Praxis des nationalen Gesetzgebers, die Umsetzung von EU-Recht zunächst zu verschleppen und nach Inkrafttreten eine Anpassung "über Nacht" seitens der betroffenen Unternehmen zu verlangen, werde es nicht mehr geben. Insbesondere sei in diesen Fällen ein Rechtsbehelf gegen ein Gesetz vor dessen Inkrafttreten möglich.

Funkzellenabfrage in Dresden rechtens: Das Amtsgericht Dresden hat die Erfassung tausender Funkzellendaten anlässlich der Demonstration gegen Neonazis im Februar 2011 für rechtens erklärt. Udo Vetter (lawblog.de) kritisiert, dass das Gericht keine ernsthafte Verhältnismäßigkeitprüfung angesichts einer Maßnahme vorgenommen habe, von der 6000 Menschen und eine Million Daten betroffen gewesen seien.

BAG - Zeitarbeitsverträge nichtig: Das Bundesarbeitsgericht hat die Tarifverträge für Zeitarbeit aus den letzten neun Jahren für nichtig erklärt, berichtet die FAZ-Dienstag (Corinna Budras). In ihrer Entscheidung habe das Gericht festgestellt, die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) sei nie tariffähig gewesen. Auf die Arbeitgeber kämen jetzt Nachzahlungen bei Lohn und Sozialversicherungsabgaben in Milliardenhöhe zu.

Whistleblowerin erhält 90000 Euro: Die Whistleblowerin Brigitte Heinisch, die Missstände in einem Altenheim öffentlich gemacht hatte, hat sich vor dem Landesarbeitsgericht Berlin mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber, dem Klinikkonzern Vivantes, verglichen. Im Gegenzug für die Akzeptanz ihrer ordentlichen Kündigung erhält sie 90000 Euro als Abfindung, berichtet die FTD (Andreas Kurz, Daniel Schönwitz). Markus Stoffels (blog.beck.de), Professor in Heidelberg, stellt den Vergleich ebenfalls vor.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Papst-Vertrauter festgenommen: Die Festnahme von Paolo Gabriele, einem Kammerdiener und engem Vertrauten von Papst Benedikt XVI. schlägt hohe Wellen. Die SZ-Dienstag (zweimal Andrea Bachstein) erläutert das interne Strafverfolgungssystem des Vatikan und gibt einen Abriss wichtiger Vatikan-Skandale. Die FR (Kordula Doerfler) stellt ein Buch des Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi als Auslöser des Skandals dar, der als "Vatileaks" bezeichnet wird. bild.de spricht von "Hochverrat im Vatikan" und fragt sich, ob weitere Kardinäle in den Fall verwickelt sind.

Das Letzte zum Schluss

Bock als Gärtner: Der Direktor der Girolamini-Bibliothek in Neapel, der ältesten Stadtbibliothek, ist zusammen mit dem Konservator festgenommen worden. Sie werden verdächtigt, 257 Bücher und Manuskripte aus der im 16. Jahrhundert gegründeten Bibliothek entwendet zu haben, berichtet die FAZ-Samstag (Jörg Bremer).

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

(Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen epaper des jeweiligen Titels.)

lto/ro

(Hinweis für Journalisten)  

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. bis 29. Mai 2012: NSU-Verdächtiger frei – Papst-Vertrauter festgenommen – Whistleblowerin erhält 90.000 Euro . In: Legal Tribune Online, 29.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6280/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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