Reform der Strafvollzugsgesetze der Länder: Gefangene müssen ihre Rechte einklagen können

von Prof. Dr. Christine M. Graebsch, Dr. Sven-U. Burkhardt

25.05.2012

Eine früher gelockerte Haft für Lebenslängliche ist nur ein Punkt, mit dem zehn Bundesländer ihre Strafvollzugsgesetze gemeinsamen modernisieren wollen. Der befürchtete Wettbewerb der Schäbigkeiten bleibt dabei weitgehend aus. Für eine nachhaltige Resozialisierung aber fehlt es dem Mustergesetzentwurf an verbindlichen Vorgaben, kommentieren Christine Graebsch und Sven Burkhardt.

In den letzten Wochen wurde heftig darüber diskutiert, ob es gerechtfertigt sei, zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten schon nach einer Sperrfrist von fünf, statt wie bisher nach zehn Jahren auch Langzeitausgang zu ermöglichen. Dies sieht ein von zehn Bundesländern erarbeiteter Musterentwurf (ME) für ländereigene Strafvollzugsgesetze vor.

Dabei übersehen Kritiker des ME, dass ein solcher Ausgang ohnehin nur dann gewährt würde, wenn die Vollzugsbehörde prognostisch zu dem Ergebnis kommt, dass es im Hinblick auf die Gefahr weiterer Straftaten oder einer Flucht verantwortet werden kann, diesen zu erproben. Weil Lebenslängliche nicht allgemein stärker rückfallgefährdet sind als andere Gefangene, ergeben starre und von der Entwicklung des Einzelfalls abgekoppelte Begrenzungen ohnehin keinen Sinn.

Ähnlich sieht dies der Ziethener Kreis. Dieses Gremium, bestehend aus Experten aus Wissenschaft und Praxis, hat nun ausführlich zum ME Stellung genommen und die dortigen Regelungsvorschläge im Vergleich zum bestehenden Recht überwiegend begrüßt. Allerdings kritisieren die Experten den Entwurf an vielen Stellen als nicht weitgehend genug, um damit die Ziele des Strafvollzugs effektiv erreichen zu können. Eine realistische Aussicht bestünde dafür nur bei angemessener finanzieller Ausstattung. Außerdem müssten die neuen Gesetze keine bloßen Absichtsbekundungen, sondern verbindliche Vorgaben enthalten. Gemeint sind damit tatsächlich einklagbare Rechte für Gefangene.

Der Kreis begrüßt außerdem die vorgesehene Planung des Vollzugsverlaufs, die im Einzelfall einer wissenschaftlichen Standards entsprechenden Diagnostik folgen soll. Gerade bei einer solchen Ausrichtung geht den Experten die Absenkung der Lockerungsbeschränkung auf fünf Jahre bei Lebenslänglichen aber nicht weit genug: Sie fordern außerdem, so konkrete Vorgaben einzuführen wie einen Wohngruppenvollzug mit maximal 15 Gefangenen und für neue Anstalten Belegungszahlen von höchstens 300 Gefangenen.

Vorsichtige Verbesserungen für Resozialisierungschancen

Dabei muss man sich Sinn und Zweck des Strafvollzugs vergegenwärtigen: Im Gefängnis soll der Inhaftierte dazu befähigt werden, ein Leben ohne Straftaten zu führen. Dieser Resozialisierungsgedanke ist das Leitprinzip der Strafvollzugsreform, die sich 1977 im Strafvollzugsgesetz des Bundes (StVollzG) niedergeschlagen hat. Eine Rückführung in die Gesellschaft durch Strafvollzug kann es nicht geben, weil mit der Inhaftierung im Gegenteil eventuell zuvor noch vorhandene soziale und berufliche, Bindungen und wirtschaftliche Grundlagen zerstört werden und der Vollzug jegliche Selbständigkeit untergräbt. Unbestritten braucht es Resozialisierungsanstrengungen, aber für Gefangene, um sie nach der de-sozialisierenden Haftzeit wieder in die Gesellschaft zu integrieren - ein höchst ambitioniertes Vorhaben, zumal angesichts des teilweise aktiven Widerstandes aus der Gesellschaft.

Wichtige Bausteine der mit dem StVollzG intendierten Vollzugsreform in Richtung Resozialisierung  wie die Einbeziehung von Gefangenen in die Kranken- und Rentenversicherung oder eine nennenswerte Entlohnung der Arbeit im Vollzug hatte bereits der Bundesgesetzgeber aus Kostengründen wieder aus dem Gesetz gestrichen. Weitere Kernstücke der Reform, wie etwa die Stellung des offenen Vollzugs als Regelvollzug, blieben zwar im Gesetz, wurden aber nicht und sogar mit abnehmender Tendenz realisiert.

Daran ändert auch der ME nichts, der sich überwiegend an der gegenwärtigen Vollzugspraxis orientiert. Immerhin ist es nicht dazu gekommen, dass sich die Länder bei den Vollzugsstandards aus populistischen und finanziellen Erwägungen gegenseitig unterbieten. Der 2006 mit der Föderalismusreform befürchtete "Wettbewerb der Schäbigkeiten" zwischen den Ländern ist damit weitgehend ausgeblieben. An einigen Punkten wird auch der Versuch erkennbar, Vollzugslockerungen wieder zu der Bedeutung zu verhelfen, die sie in einem Resozialisierungskonzept haben müssen.

Wer rechtstreu werden soll, muss Recht positiv erfahren

Eine Rückkehr in die Gesellschaft muss schrittweise erfolgen. So muss der Gefangene proben können, mit der ihn draußen erwartenden Situation klarzukommen. Er muss die Möglichkeit haben, unter Beweis zu stellen, dass ihm dies gelingt und so auch seine Prognose verbessern können. Dass es dabei auch Rückschläge gibt, liegt in der Natur der Sache. Hier stellt der ME erfreulicherweise klar, dass Lockerungen nicht erst an das Ende des Vollzuges gehören, damit sich der Gefangene vor der Entlassung Wohnung und Arbeit suchen kann, sondern dass sie essentieller Teil des Resozialisierungskonzepts (vom ersten Tag an) sind.

Der Entwurf enthält also sowohl fortschrittliche Elemente als auch einige Verschlechterungen gegenüber dem Status quo. Beispielsweise soll die nicht-monetäre Vergütung der Arbeit im Vollzug abgeschafft werden, die in Tagen der Freistellung von der Arbeitspflicht besteht, die auch den Entlassungszeitpunkt vorverlegen können. Das Bundesverfassungsgericht hatte aber die schlechte monetäre Entlohnung in Höhe von ca. 1 bis 2 Euro pro Stunde für gerade noch verfassungsgemäß erklärt, weil es auch noch solche nicht finanziellen Ausgleichsmöglichkeiten erkannte.

Über derartige Einzelaspekte hinaus kann man, wie auch der Ziethener Kreis hervorhebt, die Notwendigkeit verbindlicher, das heißt real einklagbarer Vorgaben in ihrer Bedeutung nicht hoch genug einschätzen. Um ebensolche wäre der Entwurf daher zu ergänzen.

Nach bisheriger Rechtslage nämlich können Gefangene vor Gericht oft höchstens eine neue Entscheidung der Anstalt erstreiten, die dann nach langer Zeit mit neuer Begründung wieder zu ihren Lasten ausfällt. Zu den weiteren Hindernissen eines funktionierenden Gefangenenrechtsschutzes gehört es, dass Anstalten auch die wenigen Gerichtsentscheidungen, mit denen Gefangene Erfolg haben, nicht immer umsetzen.

Dies muss sich schon deshalb ändern, weil Gefangene im Vollzug die Einhaltung von Gesetzen lernen sollen. Dazu würde  es entscheidend beitragen, wenn sie selbst die positive Wirkung von Rechten und deren Durchsetzbarkeit erfahren könnten.

Die Autorin Prof. Dr. Christine M. Graebsch ist Hochschullehrerin an der FH Dortmund und Leiterin des dortigen Strafvollzugsarchivs, der Autor Dr. Sven-U. Burkhardt ist Rechtsanwalt in Dortmund.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Christine M. Graebsch, Dr. Sven-U. Burkhardt, Reform der Strafvollzugsgesetze der Länder: Gefangene müssen ihre Rechte einklagen können . In: Legal Tribune Online, 25.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6274/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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