Die juristische Presseschau vom 25. Oktober 2023: Eil­an­trag zu Alters­g­renze von Notar abge­lehnt / Nigeria obsiegt gegen Schieds­spruch / NRW-Minister Lim­bach weiter bedrängt

25.10.2023

BVerfG verweigert einstweilige Anordnung gegen die Altersgrenze 70 für Notare. Britischer High Court hilft Nigeria gegen milliardenschwere Schadensersatzforderung. NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) steht weiterhin in der Kritik.

Thema des Tages

BVerfG zur Altersgrenze für Notar:innen: Ein kurz vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze von 70 Jahren stehender Anwaltsnotar aus NRW ist am Bundesverfassungsgericht mit dem Antrag auf eine einstweilige Anordnung gescheitert, die ihm die Fortsetzung seiner Notarstätigkeit bis zur Entscheidung über seine Verfassungsbeschwerde ermöglichen sollte. Der Notar hat bereits erfolglos vor dem Oberlandesgericht Köln und dem Bundesgerichtshof gegen die Altersgrenze geklagt. Vor dem Bundesverfassungsgericht berief er sich vor allem auf das Verbot der Altersdiskriminierung in der EU-Grundrechte-Charta. Die Altersgrenze sei inzwischen nicht mehr erforderlich, um jungen Jurist:innen den Zugang zum Notarberuf zu sichern, weil heute Bewerbermangel herrsche. Das BVerfG lehnte den Eilantrag jedoch ab, weil dem Notar kein besonders schwerer Nachteil drohe. Sollte er letztlich mit seiner Verfassungsbeschwerde Erfolg haben, könne er wieder als Notar arbeiten. Bis dahin könne er als Notarvertreter oder als Rechtsanwalt Geld verdienen und seine Infrastuktur auslasten, weil hier keine Altersgrenzen gelten. taz (Christian Rath)LTO (Marie Winzek) und beck-aktuell berichten.

Rechtspolitik

Leugnung des Existenzrechts Israels: LTO (Max Kolter/Hasso Suliak) analysiert den hessischen Vorschlag, die Leugnung des Existenzrechts Israels unter Strafe zu stellen. Der hessische Justizminister Roman Poseck (CDU) will damit Parolen wie "From the River to the Sea, Palestine shall be free" oder "Free Palestine" erfassen. Die Autoren gehen jedoch davon aus, dass mit diesen Parolen nicht zwingend das Existenzrecht Israels geleugnet wird. Erwähnt wird im Text auch die Forderung der CDU/CSU, die 2002 gestrichene Strafbarkeit der Werbung für terrorististische Organisationen wiedereinzuführen. Der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner will bei der Volksverhetzung auf die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens verzichten. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hält solche strafrechtlichen Verfschäfungen für überflüssig.

Dem Vorschlag Posecks widmet sich auch die Welt (Kaja Klapsa/Jan Alexander Casper). Nachfragen bei Rechtswissenschaftler:innen und Rechtspolitiiker:innen zeigen ebenfalls überwiegend Skepsis.

Abschiebungen: Vor dem für den heutigen Mittwoch geplanten Kabinettsbeschluss für ein Rückführungsförderungsgesetz kritisiert Rechtsanwältin Gisela Seidler im Interview mit der taz (Dinah Riese) die geplanten Maßnahmen. Es handele sich um den Versuch, "auf die Schnelle Handlungsfähigkeit" zu demonstrieren. Teilweise sei dies sogar verfassungswidrig, etwa die geplante Strafbarkeit von Falschangaben im Asylverfahren. Dies verstoße gegen die Garantie, dass sich niemand selbst belasten muss. Es genüge, dass falsche Angaben zur Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet führen.

Constanze von Bullion (SZ) hält die geplanten Änderungen bei der Abschiebung Ausreisepflichtiger für "nicht schön, aber nötig". Sie würden allerdings nichts dazu beitragen, "die Zahl der Geflüchteten im Land" spürbar zu verringern. Es räche sich nun, dass politisch Verantwortliche es über Jahrzehnte verpasst hätten, "eine konsistente und überzeugende Einwanderungspolitik zu entwickeln".

Migration: In einem Gastkommentar für die Welt spricht sich Rechtsprofessor Kay Hailbronner dafür aus, den "in Schönwetterzeiten der EU etablierten Rechtsrahmen" von Zuwanderung zu ändern. Aktuell schütze das Unionsrecht die Zuwanderung in einer Weise, die über den Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehe und ermögliche so auch den Zuzug von Menschen, die unter "schwerer Krankheit, extrem schlechten Lebens- und Umweltbedingungen und Joblosigkeit" litten.

Prostitution: In Fortführung eines Online-Symposiums zur "Regulierung der Sexarbeit in Deutschland" konstatiert Verwaltungsgerichtspräsidentin Stefanie Killinger im Verfassungsblog, dass das seit 2017 geltende Prostituiertenschutzgesetz trotz "Vollzugsdefiziten" einen gangbaren Versuch der Vermittlung widerstreitender Positionen darstelle und damit seinem Schutzauftrag entspreche. Demgegenüber sei etwa dem sogenannten Nordischen Modell vorzuwerfen, als "moral legislation" zuvörderst dazu zu dienen "den Regulierern ein moralisch gutes Gefühl" zu verschaffen, ohne dem Schutz von Prostituierten zu dienen.

KI: Die Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Parlament und Ministerrat über den sogenannten AI Act, mit dem eine einheitliche EU-Verordnung für den Einsatz künstlicher Intelligenz geschaffen werden soll, befinden sich auf der Zielgerade. Die SZ (Jannis Brühl) gibt einen Überblick über noch bestehende Streitpunkte. So kritisieren Bürgerrechtler:innen, dass Sicherheitsbehörden hochriskante KI ohne die geplanten Einschränkungen nutzen können sollen. US-Konzerne wollen verhindern, dass ihre KI-Basismodelle generell als hochriskant eingestuft werden. Der Einsatz von Live-Gesichtserkennung durch Kameras auf der Straße soll zwar verboten werden, mehrere Staaten wollen aber Ausnahmen bei Terrorverdacht und Kindesentführungen möglich machen.

Justiz

EuGH zu Ne bis in idem/Verwaltungssanktionen: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ schreiben nun auch die Rechtsanwälte Thomas Grützner und Marco Grotenrath über die vor einem Monat verkündete Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, nach der das Doppelbestrafungsverbot auch gegenüber Verwaltungssanktionen gelte, wenn diese repressiven Charakter haben. Die Feststellung sollte international tätige Unternehmen veranlassen, ihre Verteidigungsstrategien anzupassen, so die Autoren.

BVerfG – Nachtragshaushalt/Schuldenbremse: Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidungsverkündung im Normenkontrollverfahren der CDU/CSU-Fraktion zum 2. Nachtragshaushalt 2021 auf den 15. November terminiert. Dies teilt die FAZ (Manfred Schäfers) mit. Die vorsorgliche Befüllung des Klimafonds zur Konjunkturförderung habe die grundgesetzliche Schuldenbremse verletzt.

BVerfG zu Forschungsfreiheit und Beschlagnahme: Nun bespricht auch Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz im Geisteswissenschaften-Teil der FAZ den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von voriger Woche, der in einem obiter dictum ausführlich den grundgesetzlich geschützten Vertrauensrahmen sozialwissenschaftlicher Forschung betont. Dass die Pflege der Kriminologie "zum Verfassungsauftrag durch den rechtsstaatlichen Lieferanteneingang" werde, dürfte die kriminologische Forschung freuen. Die Karlsruher Ausführungen ließen sich aber ebenso "auch für andere Felder der Rechtstatsachenforschung formulieren". So offenbare der Beschluss vor allem die Notwendigkeit einer Reform des bisherigen Systems des Berufsgeheimnisträgerschutzes.

BGH zu Vaterschaftsanerkennung: Der Bundesgerichtshof hat Ende August eine jahrelange Streitfrage im Abstammungsrecht dahingehend geklärt, dass die Anerkennung einer Vaterschaft auch dann ohne gerichtliche Prüfung erfolgen kann, wenn die Mutter bereits verstorben ist. Einzige Voraussetzung bleibt die Zustimmung des Kindes. Gemäß § 1595 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch bedarf die Anerkennung der mütterlichen Zustimmung. Diese Regelung bezwecke aber nicht vorrangig die Gewährleistung der Abstammungswahrheit, so nun der BGH, sondern die Stärkung der Rechtsstellung der Mutter. Über die Entscheidung und den zugrundeliegenden Fall berichtet LTO (Marie Winzek).

BayObLG zu "Hängt die Grünen": Die Verturteilung des früheren Vorsitzenden der rechtsextremen Kleinstpartei "Der III. Weg" wegen Volksverhetzung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten ist nach einem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts rechtskräftig. Der Angeklagte hatte Wahlplakate mit dem Slogan "Hängt die Grünen" verantwortet. Das Urteil wurde nun ohne Auswirkungen auf die Strafzumessung lediglich hinsichtlich des Schuldspruchs korrigiert. LTO berichtet.

AG Starnberg – Jens Lehmann: Ab dem 8. Dezember muss sich der frühere Fußball-Nationaltorhüter Jens Lehmann wegen Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und Tankbetrugs vor dem Amtsgericht Starnberg verantworten. Im Zentrum des öffentlichen Interesses steht ein Vorfall aus dem vergangenen Jahr, bei dem der Torwart mit einer Kettensäge den Garagenbalken eines Nachbarn beschädigt haben soll. Das vermutete Motiv – Ärger über den gestörten Blick auf den angrenzenden See – hat Lehmann immer bestritten. Es berichten LTO und bild.de (Oliver Grothmann)

Recht in der Welt

Großbritannien/Nigeria – Schiedsspruch: Der Londoner High Court gab dem Rechtsmittel Nigerias gegen den milliardenschweren Schiedsspruch eines Londoner Schiedsgerichts statt. Das Schiedsgericht hatte 2017 einer Firma mit Sitz auf den Virgin Islands einen inzwischen auf 11 Milliarden Pfund angewachsenen Schadensersatz-Anspruch zugestanden, weil die vereinbarte Erschließung eines Gasfelds in Nigeria nicht zustande gekommen war. Nigeria konnte den High Court nun aber davon überzeugen, dass der Erschließungsvertrag nur durch Bestechung maßgeblicher Entscheidungsträger im Ölministeriums Nigerias zustande gekommen war. Die FAZ (Philip Plickert/Claudia Bröll) berichtet. 

EGMR/Russland – Ermordung von Umar Israilow: Russland hat durch unzureichende Kooperation mit österreichischen Strafverfolgungsbehörden nach der Ermordung des tschetschenischen Dissidenten Umar Israilow seine aus der Europäischen Menschenrechtskonvention folgenden Pflichten verletzt. Dies stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf Klage des Vaters des 2007 in Wien getöteten Israilow fest. Nach dem Bericht von tagesschau.de (Max Bauer) dürfte die Entscheidung keine unmittelbaren Folgen für die russische Föderation haben: unmittelbar nach dem Überfall auf die Ukraine habe das Parlament erklärt, nicht mehr an EGMR-Entscheidungen gebunden zu sein. Dieser Schritt wurde durch den Austritt aus dem Europarat bekräftigt.

Türkei – Verfassungsgericht: Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf eine jüngst erschienene Studie zur Organisation und Arbeitsweise des Verfassungsgerichts der Türkei schreibt die frühere Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff im Geisteswissenschaften-Teil der FAZ. Die ambivalente Rolle des türkischen Verfassungsgerichts im Institutionengefüge der Türkei spiegele sich auch in seinen Entscheidungen wieder, die mitnichten lediglich Regierungsvorgaben erfüllten. Dem Gericht sei es ebenso wenig gelungen, sich als "Hüter der Verfassung" gegenüber autokratischen Anwandlungen zu etablieren, hierfür sei die Rechtsprechung auch viel zu inkonsistent.

USA – Trump/Wahlbeeinflussung in Georgia: Die FAZ (Majid Sattar) befasst sich näher mit den Tätigkeiten von Sidney Powell, die als frühere Anwältin von Ex-US-Präsident Donald Trump dessen Erzählung eines Wahlbetrugs unterstützt hatte. Powell hatte in der vergangenen Woche im nun laufenden Strafverfahren im Bundesstaat Georgia ein Schuldanerkenntnis abgegeben und ihre Kooperationsbereitschaft erklärt. Diesen Schritt habe nun auch die Anwältin Jenna Ellis unternommen. Dies berichtet auch spiegel.de.

Sonstiges

NRW-Justizminister Limbach: In einer erneuten Sondersitzung des Rechtsausschusses des nordrhein-westfälischen Landtags musste sich Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) erneut harte Worte über seine Amtsführung sagen lassen. Dabei befasste sich der Ausschuss mit der nun schon von zwei Verwaltungsgerichten gerügten Art und Weise, wie das Ministerium die Bewerbungen für den Präsidentenposten des Oberverwaltungsgerichts NRW gemanagt hat, schreibt die FAZ (Reiner Burger). Daneben sei aber auch die Erinnerung um die angedachte und letztlich abgeblasene Neuorganisation der von Anne Brorhilker geleiteten Cum-Ex-Hauptabteilung bei der Staatsanwaltschaft Köln noch nicht verblasst. In beiden Fällen bleibe der von der NRW-Opposition gegen Limbach erhobene "Vorwurf politischer Einflussnahme" diffus.

Vereinsverbote: Die Welt (Nikolaus Doll) berichtet über den zunehmenden Unmut wegen der vermeintlichen Untätigkeit des Bundesinnenministeriums bei Verboten von Vereinen, die als Unterstützer der Hamas gelten. Trotz entsprechender Ankündigung sei bislang nichts unternommen werden. Das Ministerium verweist dagegen auf die erforderlichen juristischen Vorarbeiten. In der aktuellen Situation könne nicht jeder Schritt öffentlich gemacht werden.

Ausweisung von Hamas-Sympathisant:innen: Rechtsprofessorin Andrea Kießling diskutiert auf dem Verfassungsblog
aufenhaltsrechtliche Reaktionen auf Sympathiebekundungen für den Hamas-Überfall auf Israel. "Ausbürgerungen" Deutscher kämen grundsätzlich nicht in Betracht, allenfalls wäre – für Doppelstaatler – der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit denkbar, wenn sie sich an konkreten Kampfhandlungen der Hamas-Gruppe beteiligten. Weiter reichten aufenthaltsrechtliche Maßnahmen gegen Nicht-Deutsche. Aber auch wenn eine von diesen ausgehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliege, müssten Behörden vor einer Ausweisung deren Bleibeinteressen abwägen und schließlich ein aufnahmebereites Land finden.

Bündnis Sahra Wagenknecht: Die absehbaren Folgen der angekündigten Parteigründung "Bündnis Sahra Wagenknecht" für die aktuelle Linksfraktion im Bundestag beschreibt nun auch spiegel.de (Sophie Garbe/Timo Lehmann) in einer Übersicht. Da in einer Fraktion keine Mitglieder konkurrierender Parteien sitzen dürfen, ist die gemeinsame Fraktion mit Vollzug der Gründung der BSW-Partei passé. Der Rest der Linksfraktion muss dann – ebenso wie die abtrünnigen Bündnis-Mitglieder – eine eigene "Gruppe" im Bundestag bilden.

Sanktionsverstöße: Die Rechtsanwälte Michael Albrecht vom Kolke und Philipp Mueller beschreiben im Recht und Steuern-Teil der FAZ sanktionsrechtliche Herausforderungen für exportorientierte Unternehmen. Diese müssten nicht nur das mittlerweile 11. Sanktionspaket der EU infolge des russischen Überfalls befolgen, sondern darüber hinaus auch dazugehörige EU-Auslegungshinweise der Kommission. So sei im vergangenen Monat erklärt worden, wie sogenannte Umgehungsgeschäfte identifiziert werden können. Es bleibe zu hoffen, dass gegenüber Sanktionsbrüchen "das notorische Verfolgungsdefizit in Deutschland und der EU insgesamt" abgebaut werde.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi/chr

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 25. Oktober 2023: Eilantrag zu Altersgrenze von Notar abgelehnt / Nigeria obsiegt gegen Schiedsspruch / NRW-Minister Limbach weiter bedrängt . In: Legal Tribune Online, 25.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52988/ (abgerufen am: 02.05.2024 )

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