Die juristische Presseschau vom 23. Dezember 2011: Selbstgespräche unverwertbar – Änderung des Waffenrechts – Prozess gegen rechtes Radio

23.12.2011

Mitgehörte Selbstgespräche unterliegen einem Beweisverwertungsverbot. Der BGH befand gestern: Die Gedanken sind frei. Unzuverlässige Nazis sollten keine Waffen bekommen, meint man in Hamburg, das BAG äußert sich zur Sozialauswahl im Kündigungsrecht und der Verfassungsschutz könnte überflüssig sein. Außerdem in der heutigen Presseschau: Wenn ein Gericht das andere anraunzt.

Selbstgespräch unverwertbar: Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) hat gestern im Falle des "Mordes ohne Leiche" entschieden, ein aufgezeichnetes Selbstgespräch unterfalle dem Beweisverwertungsverbot. Wie die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet, habe sich das Landgericht Köln bei den drei Verurteilungen wegen Mordes unrechtmäßig auf ein abgehörtes Selbstgespräch eines Angeklagten in dessen PKW gestützt. Hier sei der "absolut geschützte Bereich der Privatsphäre" betroffen. Zur Frage, "was genau ein Selbstgespräch ist", wird der Senatsvorsitzenden Thomas Fischer zitiert: Ein Gebet etwa sei kein Selbstgespräch, sonder Kommunikation.

Für den Kölner Stadtanzeiger kommentiert Christian Rath das Urteil. Obschon der BGH "mutiger" als das Verfassungsgericht beim großen Lauschangriff gewesen sei, indem er Selbstgespräche über Straftaten nicht "generell vom Schutz des Kernbereichs" ausgenommen habe, fehle es an "Rechtsklarheit" und einer "verläßlichen Garantie" für den Bürger: Was ein nicht verwertbares "Selbstgespräch" sei, müsse nun laut BGH einzelfallabhängig abgewogen werden. Hierfür habe das Urteil fünf Kriterien aufgestellt, über die sicher durch alle Instanzen gestritten werde, so Rath.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Trauergeld für Hinterbliebene: Kein "Angehörigen-Schmerzensgeld" kenne das deutsche Zivilrecht, erläutert für lto.de Dieter Müller. Einzige gesetzliche Ausnahme bei ansonsten "Geschädigten ohne zivilrechtliche Schadenersatzansprüche" sei der Fall des so genannten "Schockschadens". Müller fordert daher, den Opferschutz zu stärken und die Gesetzeslage anzupassen, wobei er etwa auf "Trauergeld"-Ansprüche in einigen europäischen Staaten verweist.

Waffenrecht: Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen plane, so informiert focus.de, im Rahmen eines "Programms gegen Rechtsextremismus" u.a. eine Änderung des bundesweit geltenden Waffengesetzes; diese wolle er über den Bundesrat erreichen. Ähnliche Forderungen habe es bereits aus dem niedersächsischen Innenministerium gegeben. Vorgesehen sei, beim Ankauf einer Waffe den Verfassungsschutz zu benachrichtigten, um festzustellen, ob der Käufer wegen "Bestrebungen gegen die öffentliche Ordnung" bekannt sei. Weiter berichtet focus.de, Hamburg habe am Donnerstag "unzuverlässigen" Neonazis Waffenscheine entzogen.

Sozialauswahl bei Kündigung: Wie die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) aussehen solle, erläutert auf dem Handelsblatt-Rechtsboard RA Klaus Heeke. Das KSchG gebe auch die Möglichkeit, die Sozialauswahl einzuschränken, um eine "ausgewogene Personalstruktur" im Betrieb zu sichern, etwa durch die Bildung von Altersgruppen. In verschiedenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sei bestimmt worden, dass diese Praxis nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoße, so Heeke. Jüngst habe das BAG auch einen Verstoß gegen das europarechtliche Verbot der Altersdiskriminierung verneint.

Weitere Themen – Justiz

Wortberichterstattung: Über eine gestern veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Persönlichkeitsrecht informiert Thomas Stadler auf internet-law.de. Das Gericht stellte abermals fest, der Schutz des "Allgemeinen Persönlichkeitsrechts" bei einer Wortberichterstattung unterliege anderen Kriterien als denen bei einer Bildberichterstattung. Eine "wesentliche verfassungsrechtliche Vorgabe für das Verhältnis Berichterstattung und Datenschutz" erblickt Stadler darin, dass das Gericht auch darauf hinweise, "dass die personenbezogene Wortberichterstattung privater Presseorgane nicht ohne weiteres das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt".

Nazi-Radio: Über den Prozessauftakt gegen die führenden Köpfe des rechtsextremen "Widerstand Radios" berichtet ausführlich spiegel.de (Jörg Diehl). Als "Folge eines der umfangreichsten Ermittlungsverfahren gegen Rechtsextremisten" seien elf Personen wegen der Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung sowie Volksverhetzung vor dem Landgericht Koblenz angeklagt. Die Hetzpropaganda des Senders habe etwa Musikstücke mit Titel wie "Holocaust2000" enthalten.

Deutsche Bank verklagt: Wegen Vertragsbruches haben zwei Hedgefonds die New Yorker Investmentbanksparte der Deutschen Bank verklagt. Laut FAZ (Roland Linder) gehe es um einen zwischen den Parteien vereinbarten Kauf von sog. "Madoff-Ansprüchen" für 1,1 Milliarden Dollar, den die Bank nun "nicht vollziehen" wolle. Geschädigte des "größten Anlagebetrugs in der amerikanischen Geschichte" hätten ihre Ansprüche verkauft, mit denen nun "reger Handel" betrieben werde.

Verfassungsschutz: In seinem pointierten Leitartikel für die FR "Verfassungsschutz: Der Verdacht der Kumpanei" bilanziert Christian Bommarius die Leistung des Verfassungsschutzes als "chronique scandaleuse". Bommarius fragt sich, ob der im "Zwischenreich von Recht und Verbrechen" agierende Verfassungsschutz "überflüssig" –weil blind und taub- oder eine Gefahr für die Verfassung –weil absichtsvoll blind und taub- sei.

Weitere Themen – Recht im Ausland

Völkermord-Leugnung: Gestern habe die französische Nationalversammlung das umstrittene Gesetz zur Strafbarkeit der Völkermord-Leugnung angenommen, weiß die SZ (Stefan Ulrich). Die Leugnung der durch Frankreich anerkannten Völkermorde werde nun mit Geld- oder Haftstrafen belegt; bereits 2001 habe Frankreich den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich gesetzlich "anerkannt". In einem separaten Kommentar befindet Stefan Ulrich (SZ), es sei ein "Exzess", die Bezweifelung des Genozids mit Gefängnis zu bedrohen.

Die FTD (Markus Bernath) weist darauf hin, dass das Gesetz, bis es rechtskräftig werden könne, noch den Senat "passieren" müsse. Abgeordnete der Regierungspartei hätten darauf hingewiesen, dass ein –angekündigter- Handelsboykott wegen der türkischen WTO-Mitgliedschaft ausgeschlossen sei, so die FTD.

Zum Schluss: Zur rechten Zeit

OLG raunzt: Die Untätigkeitsbeschwerde an das Oberlandesgericht (OLG) Saarbücken eines Vaters im Rahmen eines Umgangsrecht-Prozesses vor dem Amtsgericht hatte Erfolg, wie Hans-Otto Burschel auf blog.beck.de informiert: Das OLG habe das untätige Gericht "kräftig angeraunzt" und zitiert aus dem Beschluss: "Das Amtsgericht  (…) wird angewiesen, das Verfahren (..) mit äußerster Beschleunigung weiterzuführen.".

Zimt-Risiko: Dieses Weihnachten gelte nun erstmals eine Obergrenze für das "potentiell leberschädigende" Kumarin in Lebensmittel, berichtet die FTD (Maike Rademaker). Eine EU-Aromenverordnung sehe vor, dass "saisonale" Zimt-Backwaren "nicht mehr als 50 Milligramm Kumarin pro Kilo enthalten dürfe". Die Obergrenzen variierten wiederum bei Müsli und Desserts. Kumarin sei im sog. "Cassia-Zimt" enthalten.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Dienstag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dc

Hinweis für Journalisten

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. Dezember 2011: Selbstgespräche unverwertbar – Änderung des Waffenrechts – Prozess gegen rechtes Radio . In: Legal Tribune Online, 23.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5167/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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