Die juristische Presseschau vom 20. Juli 2023: Gesetz­ent­wurf zu V-Leuten / Letzte Gene­ra­tion in Berlin nicht kri­mi­nell / Putin bleibt zu Hause

20.07.2023

Das Bundesjustizministerium legt Gesetzentwurf zu V-Leuten bei der Polizei vor. Die Berliner Justizverwaltung sieht in der Letzten Generation keine kriminelle Vereinigung. Wladimir Putin reist nicht nach Südafrika, um eine Verhaftung zu verhindern. 

Thema des Tages

V-Leute: Im Koalitionsvertrag wurde es bereits angekündigt, jetzt hat Bundejustizminister Marco Buschmann (FDP) einen Referentenentwurf zur gesetzlichen Regelung des Einsatzes von V-Leuten bei der Polizei vorgelegt. Ausführlich stellen SZ (Ronen Steinke) und spiegel.de (Jörg Diehl/Roman Lehberger u.a.) die Pläne vor. Während es für Informanten des Verfassungsschutzes bereits strenge gesetzliche Regeln gibt, fehlt bisher eine gesetzliche Basis für V-Leute der Polizei, die nun in der Strafprozessordnung geschaffen werden soll. Nach den Vorstellungen des Justizministers sollen polizeiliche V-Leute nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn andere Aufklärungsversuche aussichtslos sind. Über den Einsatz einer V-Person soll künftig ein Gericht entscheiden. Wer bereits zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, soll in der Regel nicht mehr V-Person werden können. V-Personen sollen nicht von den Spitzel-Löhnen abhängig sein. Der Einsatz als V-Person soll maximal fünf Jahre dauern. V-Personen dürfen Straftäter zu Taten verleiten, dabei aber nicht erheblich auf sie einwirken. V-Leute sollen selbst vor Gericht aussagen, allerdings per audiovisueller Vernehmung unter Verfremdung von Bild und Ton. Buschmanns Entwurf ist noch nicht mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) abgestimmt. 

Rechtspolitik

Asyl: Der CDU-Politiker Thorsten Frei hatte vor wenigen Tagen den Ersatz des Individualanspruches auf Asyl in der EU durch Kontingentlösungen gefordert. Die FAZ (Michael Haneke) prüft den Vorschlag juristisch. So lasse sich das Verbot der Genfer Flüchtlingsvention, Flüchtlinge nicht in den Verfolgerstaat zurückzuschicken, kaum ohne aufwendige Konventionsänderung aushebeln. Auch der Ausschluss jeglicher Sozialleistung für illegal eingereiste Flüchtlinge sei wegen der Menschenwürde-Garantie rechtlich kaum machbar. 

tagesspiegel.de (Maria Fiedler/Lea Schulze) fasst Reaktionen auf den Vorstoß zusammen. Der Migrationsrechtler Constantin Hruschka meint, dass eine Umsetzung der Pläne nicht ohne Weiteres möglich wäre: Der Bezug zur Genfer Flüchtlingskonvention sei so tief in unserer Rechtsordnung verankert, dass man ihn quasi nicht kappen könne. Für die Verfassungsrechtlerin Nora Markard ist der Vorstoß von Frei sogar "eine Veräppelung der Bürger". Sie sieht genauso wie der Migrationsrechtler Daniel Thym das Problem beim Refoulement-Verbot. "Was soll dann also mit den Menschen passieren, die nach der Asylrechtsabschaffung in Deutschland und Europa ankommen?“, fragt der. "Dann hätte man hier Leute ohne gesicherten Rechtsstatus, die nicht arbeiten können und kaum Sozialleistungen bekommen."

Die Idee des CDU-Politikers beruhe auf zwei Denkfehlern, kommentiert auch Christian Rath (LTO): So würde eine Kontingentlösung erstens nicht verhindern, dass Flüchtlinge sich auf den Weg nach Europa machen. Anders als Frei behauptet, beende sie also nicht die illegale Migration. Zweitens sei die von Frei genannte Zahl von 300-400.000 Kontingent-Flüchtlinge pro Jahr angesichts der geringen Aufnahmebereitschaft der EU-Staaten völlig illusorisch. Der versprochene humanitäre Fortschritt wäre also auch nicht zu erreichen. Der Vorschlag delegitimiere nur die real hier lebenden und ankommenden Flüchtlinge. Jasper von Altenbockum (FAZ) wirft Freis Kriitikern vor, dass sie auch keine Antworten auf die entscheidenden Fragen haben: "Wie wollen sie sicherstellen, dass Flüchtlinge in der EU gleichmäßig aufgenommen werden? Sie können es nicht. Wie wollen sie sicherstellen, dass Pull-Faktoren reduziert werden, die Deutschland immer wieder überlasten, Menschenhändler animieren und den Tod im Mittelmeer heraufbeschwören? Sie können es nicht."

Völkerstrafrecht: Nun berichtet auch LTO (Franziska Kring) über den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zur Reform des Völkerstrafrechts. Unter anderem ist danach vorgesehen, dass sich Opfer von Völkerstraftaten künftig als Nebenkläger:innen an Prozessen in Deutschland beteiligen können. Bis zum 25 August haben nun Länder und Verbände Gelegenheit, Stellung zu nehmen.

Hate Aid: Das Bundesjustizministerium plant, die finanzielle Unterstützung für die Organisation Hate Aid im kommenden Jahr zu streichen. Laut einer Sprecherin des Justizministeriums sehe der Haushaltsentwurf des Hauses keine Mittel mehr für die Organisation vor. Die Beratungsstelle hilft Betroffenen, sich gegen digitale Gewalt und Hetze zu wehren, unter anderem führte Hate Aid gemeinsam mit der Grünen-Politikerin Renate Künast ein Verfahren gegen Facebook, in dessen Ergebnis die Plattform verpflichtet wurde, proaktiv Falschzitate zu suchen und zu löschen. Die SZ (Moritz Baumstieger) berichtet.

Justiz

LG München – Ex-Wirecard-Chef Braun/Marsalek: Über den Brief, den der flüchtige Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek beziehungsweise dessen Anwalt Frank Eckstein an das Gericht geschrieben hat, und seine Wirkung im Prozess gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden Marcus Braun berichten ausführlich die FAZ (Henning Peitsmeier/Corinna Budras), SZ (Johannes Bauer/Klaus Ott u.a.), Hbl (René Bender/Lars-Marten Nagel), Welt, spiegel.de und LTO. Brauns Anwalt Alfred Dierlamm sieht in dem Schreiben, einen maßgeblichen Beleg für die Unglaubwürdigkeit des Kronzeugen der Staatsanwaltschaft. Dierlamm forderte die Kammer daher am Mittwoch auf, den Brief in die Hauptverhandlung einzuführen. Eine Verlesung wurde zwar abgelehnt, nach lauten Wortgefechten zwischen Brauns Anwälten sowie Richter und Staatsanwaltschaft, wurde jedoch die Möglichkeit eingeräumt, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen, über den nun noch entschieden werden muss.

LG Itzehoe – Messerangriff im Zug: Im Prozess gegen den mutmaßlichen Messerangreifer in einem Regionalzug bei Brokstedt haben am Mittwoch mehrere Zeugen ausgesagt, berichtet die FAZ (Julian Staib). Danach soll Ibrahim A. gleichgültig und emotionslos gewirkt haben.

LG Gießen – Mord an Ayleen: Vom Prozess gegen Jan P., der vor einem Jahr die 14 Jahre alte Ayleen entführt und getötet haben soll, berichten die FAZ (Helmut Schwan) und die SZ (Gianna Niewel). Am Mittwoch sagte die Mutter des Opfers aus und berichtete über die letzten Wochen im Leben ihrer Tochter, die sich unter dem Eindruck der digitalen Nachstellungen P.s immer mehr zurückzog. Der Prozess ist bis zum 26. September terminiert.

AG München zu Impfpflicht für Soldaten: Weigert sich ein Bundeswehrsoldat, sich impfen zu lassen, obwohl ihn – wie zur Zeit der Corona-Pandemie – eine entsprechende Pflicht trifft, macht er sich wegen Gehorsamsverweigerung schuldig, hat laut LTO das Amtsgericht München entschieden und einen Soldaten zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt.

AG Berlin-Mitte zu rassistischer Fahrgast-Beleidigung: Nun berichtet auch LTO über eine Entscheidung des Amtsgerichts Berlin-Mitte, das einem dunkelhäutigen Mann Schmerzensgeld zugesprochen hat, weil er bei einer Fahrscheinkontrolle der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) rassistisch beleidigt worden war. 

Beschleunigte Verfahren: spiegel.de (Dietmar Hipp) erläutert, wie ein beschleunigtes Verfahren funktioniert. Hintergrund ist die Forderung des kommissarischen CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann, Übergriffe in Freibädern unverzüglich gerichtlich zu verhandeln und abzuurteilen. Voraussetzung sei, dass die Sache "auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet" sei. Allerdings, so gibt der Autor zu bedenken, seien typische Delikte in einem Freibad, etwa eine Gruppenschlägerei, zwar tatbestandlich eher einfach gelagert, die Beweislage könne aber dennoch schwierig sein, wenn etwa nicht ohne Weiteres klar ist, wer überhaupt was gemacht habe.

Recht in der Welt

IStGH – Wladimir Putin: Der russische Präsident wird wegen des gegen ihn geltenden Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs nicht am Brics-Gipfel in Südafrika teilnehmen. Südafrika wäre als Vertragsstaat des IStGH verpflichtet gewesen, Putin zu verhaften und hatte sich deshalb - scheinbar erfolglos - beim IStGH um eine Ausnahme von der Festnahme-Verpflichtung bemüht, wie LTO (Leonie Ott) schreibt.

Sonstiges

Letzte Generation als kriminelle Vereinigung: Die von der Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) im Mai in Auftrag gegebene Prüfung durch die Senats-Justizverwaltung hat jetzt ergeben, dass die "Letzte Generation" vorerst nicht als kriminelle Vereinigung eingestuft wird. Dagegen laufen in München und Neuruppin (Brandenburg) bereits entsprechende Ermittlungsverfahren der dortigen Staatsanwaltschaften. Die Berliner Justizverwaltung behält sich allerdings eine Neubewertung vor. So sei "insbesondere die Entwicklung des Protestgeschehens in die fortlaufende strafrechtliche Bewertung der Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft Berlin einzubeziehen". spiegel.de und LTO berichten.

Politikerhaftung/Andreas Scheuer: Das Bundesverkehrsministerium prüft etwaige Regressmöglichkeiten gegen den früheren Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wegen des Maut-Debakels. Auf LTO geht Rechtsanwalt Patrick Heinemann mögliche Anspruchsgrundlagen durch (§ 839 BGB, § 75 BBG, § 823 I BGB, § 823 II BGB, § 826 BGB und §§ 280ff BGB) und kommt zum Ergebnis, dass Scheuer nicht für den verursachten Schaden für die Bundesrepublik in Höhe von 243 Mio. Euro haften muss. 

Das Letzte zum Schluss

Geisterverhandlung vor dem ArbG: Über ein bisher unerklärtes Phänomen, das sich beim Arbeitsgericht Köln zugetragen haben soll, berichtet die Zeit (Marcus Rohwetter). Zu einer als Videokonferenz anberaumten mündlichen Verhandlung fanden sich eine Partei und die beiden Parteivertreter ordnungsgemäß zusammen, nur der Richter fehlte. Nach einer dreiviertel Stunde geduldigen Wartens und etwas gepflegten Smalltalks wandte man sich an die Geschäftsstelle um von dort überrascht zu hören, dass eine Verhandlung bereits stattgefunden und mit einem Urteil geendet habe. Auch das später übersandte Protokoll bestätigte, dass die Rechtslage erörtert wurde, eine gütliche Einigung jedoch nicht gefunden wurde. Möglicherweise ein Fall für die Geisterjäger oder andere Spezialisten für paranormale Aktivitäten, meint der Autor.

 

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LTO/pf/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. Juli 2023: Gesetzentwurf zu V-Leuten / Letzte Generation in Berlin nicht kriminell / Putin bleibt zu Hause . In: Legal Tribune Online, 20.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52294/ (abgerufen am: 03.05.2024 )

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