"Verhungern" Gesetze im Vermittlungsausschuss?: "Die Union kann nichts blo­ckieren"

Interview von Hasso Suliak

19.03.2024

Zwei Justizreformen sollten am Mittwoch im Vermittlungsausschuss verhandelt werden. Die Sitzung wurde abgesagt. Werden im Gremium Gesetze bewusst auf die lange Bank geschoben? CDU-Ausschussvorsitzender Hendrik Hoppenstedt widerspricht.

LTO: Herr Hoppenstedt, Gesetze landen immer häufiger auf unbestimmte Zeit im Vermittlungsausschuss (VA). Aus dem Justizbereich z.B. zuletzt das Hauptverhandlungsdokumentations- und das virtuelle Justizgesetz. Wie erklären Sie sich die verhärteten Fronten zwischen Bund und Ländern?  

Dr. Hendrik Hoppenstedt, MdB: Die Berliner Ampelkoalition macht zunehmend Politik gegen die Bundesländer. Das sehen Sie daran, dass selbst Länder, in denen SPD oder Grüne mitregieren, nichts anderes mehr übrigbleibt, als Nachverhandlungen im VA zu fordern. Häufig werden die Anliegen der Länder, die im frühen Stadium eines Gesetzgebungsverfahrens vorgetragen werden, von der Ampel nicht berücksichtigt.

Wenn in der öffentlichen Wahrnehmung zuletzt der Eindruck erweckt wurde, die unionsregierten Länder würden in einem VA ein Vorhaben bremsen, wie zuletzt zum Beispiel beim Wachstumschancengesetz, dann muss man auch mal genauer hinschauen. SPD-regierte Länder wie auch das grünregierte Baden-Württemberg waren für die Anrufung des VA.

Im Übrigen: Blockieren kann die Union im VA ohnehin nichts. Die Ampel hat sowohl auf Seiten der Länder als auch der des Bundestages die Mehrheit. Was mit dem VA-Ergebnis allerdings später im Bundesrat passiert, steht auf einem anderen Blatt.

"Der VA ist kein Geheimbund"

Wird ein Gesetz in den Vermittlungsausschuss überwiesen, startet ein ziemlich intransparenter Prozess. Die Sitzungen sind nicht öffentlich und es gilt der Grundsatz der Vertraulichkeit. Es gibt auch keinerlei Fristen, die zu beachten sind. Dem Gremium hat das schon einmal den Vorwurf eingebracht, es sei eine Art Geheimbund oder ein Überparlament.

Der VA ist kein Geheimbund, sondern ein offizielles parlamentarisches Gremium, das bei umstrittenen Gesetzesvorhaben mit dem Ziel der Kompromisssuche eingeschaltet werden kann. Verankert ist er im Grundgesetz in Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz. Im Übrigen ist es üblich, die Presse nach den VA-Sitzungen über die Ergebnisse zu informieren. Zuerst von uns VA-Vorsitzenden, danach etwa von den Fraktionsvorsitzenden des Bundestages.

Und dass vertraulich getagt wird, ist überlebenswichtig. Nur so wird gewährleistet, dass es zu Kompromissen kommen kann. Denn im VA muss jeder auch mal nachgeben. Und wenn das jedes Mal ans Licht gezerrt wird, wird es auch in den eigenen Reihen für denjenigen schwierig, der nachgegeben hat. Alle müssen sich darauf verlassen können, dass das, was jemand im Ausschuss gesagt hat oder wie er abstimmt hat, vertraulich bleibt.

Rüge für Linken-Politikerin, die Details verrät

Halten sich alle dran?

Nicht immer. Zuletzt gab es im Zusammenhang mit der Sitzung zum Wachstumschancengesetz einen inakzeptablen Vorfall.

Das VA-Mitglied der Linken, MdB Dr. Gesine Lötzsch, plauderte zwei Tage nach der VA-Sitzung im Bundestagsplenum Verhandlungsdetails aus und machte zudem das Abstimmungsverhalten des baden-württembergischen Ministerpräsidenten öffentlich – und das auch noch falsch. Das werde ich in der nächsten Ausschusssitzung ansprechen.

Welche Konsequenzen drohen Frau Lötzsch außer einer Rüge?

Für den Fall, dass Mitglieder wiederholt gegen die Vertraulichkeit verstoßen, müssen wir darüber diskutieren, ob zukünftig Sanktionen in der Geschäftsordnung verankert werden sollten.

"Hinauszögern bis zum Ende der Wahlperiode wäre verfassungswidrig"

Dem Vermittlungsausschuss ist keine verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche Frist für den Abschluss seiner Beratungen gesetzt. Ein Verfahren kann theoretisch so lange hinausgezögert werden, bis das Gesetz zum Ende der Wahlperiode "verhungert" ist, wie es Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Zusammenhang mit dem Cannabisgesetz befürchtet.

In der Tat gibt es weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des VA eine Regelung dazu. Auch wenn in der Kommentierung zur Geschäftsordnung zu finden ist, die erste VA-Sitzung müsse unverzüglich terminiert werden, ist das auslegungsbedürftig. Klar ist aber, dass ein Hinauszögern bis zum Ende der Wahlperiode des Bundestages verfassungswidrig wäre. Praktisch kann dieser Fall auch gar nicht eintreten, weil die Ampel eine Verfahrensmehrheit im VA hat und jederzeit ein Vermittlungsergebnis durchstimmen kann.

Tatsächlich können die Beratungen manchmal dauern, aber hin und wieder geht es auch sehr schnell. In der 18. Wahlperiode wurde einmal im März der VA angerufen, die erste Sitzung gab es erst fast sieben Monate später. Umgekehrt ist mir ein Vorhaben aus der vergangenen Legislaturperiode bekannt. Da wurde am 2. Dezember der VA angerufen, am 10. Dezember tagte bereits der VA.

Wie kommt es zu diesen Unterschieden?

Ob die Beratungen zu einem Gesetz vorankommen, hängt davon ab, wie zerstritten die Beteiligten sind oder auch, wie kompliziert der Verhandlungsgegenstand ist. Bei den Justizreformen, die jetzt im VA sind, wurden etwa vom federführenden Minister informelle Arbeitsgruppen mit Personen eingerichtet, die an dem Gesetz näher dran sind als die vom Bundestag und Bundesrat benannten Mitglieder des VA. Auch hier kann die Sondierung dauern. 

Sie sagen "informelle Arbeitsgruppen". Heißt das, es gibt auch formelle Arbeitsgruppen?

Die gäbe es, wenn der Vermittlungsausschuss selbst die Arbeitsgruppe beschließen würde. Die informellen Arbeitsgruppen haben sich jedoch bewährt, weil sie flexible und zielführende Gespräche unter Einbeziehung der Fachleute ermöglichen.

Terminierung im Einvernehmen mit Manuela Schwesig

Der Vorsitz im VA wechselt vierteljährlich zwischen Ihnen und der Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig (SPD). Noch bis zum 22. Mai leiten Sie das Gremium und laden etwa zu den Sitzungen ein. Können Sie Beratungen in die Länge ziehen, beispielsweise weil Sie ein Gesetz nicht wollen und sich mit der Einladung Zeit nehmen?

Es ist seit vielen Jahren eine gut geübte Praxis, dass der amtierende Vorsitzende mit dem oder derjenigen, die danach wieder übernimmt, die Terminierung abspricht. Heißt: Ich tausche mich mit Frau Schwesig aus und wir erzielen darüber Einvernehmen, wann die nächste Sitzung stattfindet.  

Frau Schwesig gehört zwar der SPD an, aber auch sie könnte ja als Ländervertreterin – wie Sie als CDU-Politiker – ein Interesse daran haben, dass ein im Bundestag von der Ampel beschlossenes Gesetz erst einmal im VA auf die lange Bank geschoben wird. Um diesen Verdacht gar nicht erst entstehen zu lassen: Wäre es nicht besser, wenn es eine klare Frist in der Geschäftsordnung des VA geben würde?

Ich finde den aktuellen Spielraum richtig. Die Hälfte der Mitglieder des Vermittlungsausschusses muss aus allen Teilen Deutschlands anreisen. Die andere Hälfte ist nur in Sitzungswochen des Bundestages in Berlin anwesend. Da wären starre Fristen aus verfahrensökonomischen Gründen ein Hindernis und kein Vorteil.

Von uns würde keiner auf die Idee kommen zu sagen: "Ich mag das Gesetz sowieso nicht, ich leg' das jetzt erst einmal auf Halde". Dass sich ein Verfahren verzögert, liegt wie gesagt weniger an der Einladungspraxis der Vorsitzenden, sondern daran, dass die Beteiligten noch um einen Kompromiss ringen.

"Rechtskonforme und neutrale Sitzungsleitung" – auch beim Cannabisgesetz

Der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen Michael Kretschmer (CDU) will, dass das umstrittene Cannabisgesetz "niemals wieder aus dem VA herauskommt". Kann er sich Hoffnungen machen?

Ich habe auch mitbekommen, dass zumindest einzelne Teile des Cannabisgesetzes parteiübergreifend in den Ländern auf Ablehnung stoßen. Ob das im Bundesrat zu einer VA-Anrufung führt, werden wir am 22. März sehen.

Unabhängig von meiner persönlichen Haltung zu einem Gesetz, ist es für mich als Vorsitzender des VA allerdings selbstverständlich, die Terminierung und die Leitung einer Sitzung rechtskonform und neutral zu gestalten.

Herr Hoppenstedt, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Dr. Hendrik Hoppenstedt sitzt seit 2013 im Deutschen Bundestag. Von 2016 bis 2018 war er stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses und von 2018 bis 2021 Staatsminister bei der Bundeskanzlerin sowie Beauftragter der Bundesregierung für die Bund-Länder-Beziehungen. Seit 2021 ist er Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion. Am 23. November 2022 wurde er zum alternierenden Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses gewählt. Den Vorsitz bzw. stellvertretenden Vorsitz wechselt er vierteljährlich mit Manuela Schwesig (SPD).

Zitiervorschlag

"Verhungern" Gesetze im Vermittlungsausschuss?: "Die Union kann nichts blockieren" . In: Legal Tribune Online, 19.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54144/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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