Regierungsentwurf zur Vorratsdatenspeicherung: "Gefühlt er­for­der­lich" ist lange nicht ver­fas­sungs­kon­form

von Prof. Niko Härting

19.05.2015

Die Vorratsdatenspeicherung wurde vom BVerfG und EuGH nur unter engsten Voraussetzungen für zulässig erklärt. Man hätte erwarten können, dass der Entwurf, mit dem Justizminister Maas sie nun erneut einführen will, diesen Urteilen Rechnung trägt. Doch das Papier schränkt Grundrechte ein, ohne sich um eine Begründung zu bemühen. Eine Erfolgsgarantie für jede Verfassungsbeschwerde, meint Niko Härting.

Es gibt gute Argumente für die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung. Mit den Spuren der Kommunikation – Telefonnummern, Standortdaten, IP-Adressen – können Straftaten aufgeklärt und Straftäter dingfest gemacht werden. Sind diese Daten gelöscht, kommen Täter ungeschoren davon.

Der Zweck heiligt in einem Rechtsstaat allerdings nicht die Mittel. Die Erleichterung der Strafverfolgung kann daher einen Grundrechtseingriff nur rechtfertigen, wenn die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gewahrt bleibt. Je gravierender der Grundrechtseingriff ist, desto größer müssen die Ermittlungserfolge sein, die man sich von dem Eingriff verspricht.

Eine Vorratsdatenspeicherung ist ein außerordentlich gravierender Grundrechtseingriff. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sprach in dem Urteil, mit dem es 2010 die damals in Deutschland gültige Vorratsdatenspeicherung aufhob, von einem "besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt" (Urt. v. 02.03.2010, Az. 1 BvR 256/08, 263/08, 568/08).

Verfahren überhastet, Begründung nur in Allgemeinplätzen

Wenn Minister Heiko Maas beabsichtigt, einen solchen – "besonders schweren" – Eingriff vorzunehmen, ist er in der verfassungsrechtlichen Pflicht, dessen Erforderlichkeit sorgfältig zu begründen. Umso verwunderlicher, dass sich in den "Leitlinien", die Maas vor einem Monat veröffentlichte, kein einziger Satz zur Erforderlichkeit des geplanten Gesetzes fand.

Auch in dem Regierungsentwurf (TKG-E bzw. StPO-E), der jetzt im Eilverfahren durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitscht werden soll, findet sich nichts Konkretes zur Notwendigkeit der Vorratsspeicherung. Es wird lediglich pauschal behauptet, die Speicherung könne "die Gefahrenabwehr" und "die Strafverfolgung" erleichtern. Weder wird ersichtlich, auf welche (empirischen) Erkenntnisse sich der Minister dabei stützt, noch wird auch nur der Versuch einer Abwägung unternommen. Die Karlsruher Richter werden dies mit deutlichem Stirnrunzeln verfolgen.

Das Begründungsdefizit ist keine Lappalie. Wenn ein Justizminister glaubt, einen außerordentlich schwerwiegenden Grundrechtseingriff mit Allgemeinplätzen begründen zu können, offenbart er gravierende Defizite des eigenen Verfassungsverständnisses. Als "Verfassungsminister" muss Maas wissen, dass sich Karlsruhe mit einer lediglich "gefühlten" Erforderlichkeit nicht zufrieden geben wird.

Zahlreiche Fragen bleiben offen

Da sich der Minister nicht der Mühe unterzieht, seinen eigenen Gesetzesvorschlag nachvollziehbar zu begründen, fehlt jeder Maßstab, an dem sich die Angemessenheit der vorgeschlagenen Regelungen messen ließe. Einige Fragen, die sich aufdrängen, sind die folgenden:

  • Warum beträgt die "Höchstspeicherfrist" elf Wochen (§ 113 b Abs. 8 TKG-E) und nicht weniger oder mehr?
  • Warum sollen der BND, der MAD und die Verfassungsschutzbehörden Vorratsdaten ohne jedwede Einschränkung für Bestandsdatenauskünfte verwenden dürfen (§ 113 c Abs. 1 Nr. 3 TKG-E i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 3 und § 113 Abs. 3 Nr. 3 TKG)?
  • Warum soll die Pflicht zur Speicherung von Verkehrsdaten nicht nur für Telekommunikations-Provider gelten, sondern – wesentlich weiter und gänzlich unscharf – für alle "Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste", zu denen auch die Betreiber öffentlicher WLAN-Hotspots zählen dürften (§ 113 a Abs. 1 Satz 1 TKG-E)?
  • Warum gibt es keine Ausnahme für Anbieter von E-Mail-Diensten, die als "Telekommunikationsdienste" – entgegen den Leitlinien – der Speicherpflicht vollumfänglich unterfallen?
  • Warum gilt die Verbreitung freizügiger Bilder eines Siebzehnjährigen ("Jugendpornographie") als schwere Straftat, obwohl es sich um ein Vergehen mit einer Höchstfreiheitsstrafe von fünf Jahren handelt (§ 100 g Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 lit. d StPO-E i.V.m. § 184 c Abs. 2 StGB).

Kein solider Schutz von Berufsgeheimnisträgern, EuGH und BVerfG übergangen

Auf keine dieser Fragen findet sich in dem Gesetzesentwurf eine auch nur halbwegs befriedigende Antwort.

Völlig löchrig und unzureichend ist im Übrigen auch der Schutz der Berufsgeheimnisträger. Kommunikationsdaten von Anwälten, Ärzten, Seelsorgern und Journalisten sollen der Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung in vollem Umfang unterfallen. Zudem soll es zulässig sein, diese Daten für eine Bestandsdatenauskunft (§ 113 c Abs. 1 Nr. 3 TKG-E) zu verwenden. Lediglich die gezielte Abfrage von Daten zum Zwecke der Strafverfolgung soll unzulässig sein (§ 100 g Abs. 4 Satz 1 StPO-E). Dies aber auch nur dann, wenn der Berufsgeheimnisträger nicht selbst einer Straftat verdächtig ist (§ 100 g Abs. 4 Satz 5 StPO-E i.V.m. § 160 Abs. 4 StPO). Von einem umfassenden Schutz des Berufsgeheimnisses, den der Europäische Gerichtshof verlangt hat, ist dies meilenweit entfernt.

Die vergangenen fünf Jahre mussten Polizei, Strafermittler und Geheimdienste damit leben, dass es in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung gab. Auch Maas selbst hat sich bis vor wenigen Monaten noch gegen ihre Wiedereinführung ausgesprochen. Woher sein jetziger Kurswechsel kommt und warum er meint, ihn im Eilverfahren umzusetzen zu müssen, ist von Außen betrachtet kaum nachvollziehbar. Indem er auf die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung und Begründung seines Entwurfs verzichtet, lässt er nicht nur die Bürger, sondern letztlich auch Kriminalbeamte und Staatsanwälte im Regen stehen. Denn den bereits von verschiedener Seite angekündigten Verfassungsbeschwerden wird dieses Papier kaum standhalten.

Der Autor Professor Niko Härting ist Partner bei HÄRTING Rechtsanwälte in Berlin, Lehrbeauftragter und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin) sowie Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin.

Zitiervorschlag

Niko Härting, Regierungsentwurf zur Vorratsdatenspeicherung: "Gefühlt erforderlich" ist lange nicht verfassungskonform . In: Legal Tribune Online, 19.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15573/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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