Nach der Causa Böhmermann: Das poli­ti­sche Straf­recht ist über­holt

von Prof. Dr. Marco Mansdörfer

03.05.2016

Die Böhmermann-Debatte entfachte eine heiße Diskussion um den § 103 StGB, der nun abgeschafft werden soll. Marco Mansdörfer fordert, das politische Strafrecht insgesamt gründlich aufzuräumen.

Auch schlechte Satire kann am Ende etwas Gutes haben: Nachdem der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf Jan Böhmermanns Schmähgedicht mit einer Strafanzeige wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten reagierte, fiel Bundesjustizminister Heiko Maas auf, dass der einschlägige § 103 Strafgesetzbuch (StGB) nach 150 Jahren "nicht mehr zeitgemäß" sein könnte.

Die Einschätzung von Herrn Maas trifft zu, hat aber einen Haken: Nicht nur § 103 StGB, sondern das gesamte politische Strafrecht aus den ersten vier Titeln des Besonderen Teils des StGB gehört auf den Prüfstand. Die Malaise beginnt mit dem Friedens- und Hochverrat (§§ 80 - 83a StGB). Das Strafrecht eines freiheitlich, demokratischen Rechts- und Mitgliedstaates der Vereinten Nationen kann sowohl einen Angriffskrieg durch das eigene Land (§ 80 StGB) und als auch den Angriff auf das eigene Land (§ 81 StGB) mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohen.

Derzeit werden Angriffe auf das Ausland aber nur bestraft, wenn "dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt" wird. Bei Angriffen auf Deutschland ist dagegen bereits das Unternehmen von Gewalt unter Strafe gestellt. Ein Ungleichgewicht, über das sich Erdogan mit viel besserem Recht beschweren könnte.

Die allgemeinen Strafnormen bieten ausreichend Schutz

Die Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats ist zudem konzipiert als ein Strafrecht gegen Gefährdungen von innen. An der Spitze stehen die Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei (§ 84 StGB) einschließlich der Verbreitung von Propagandamitteln (§ 86 StGB). Das mag nach 1945 richtig gewesen sein, aber sind das heute unsere wahren Probleme? Im 21. Jahrhundert gefährden der internationale Terrorismus und die global agierende Organisierte Kriminalität unseren Rechtsstaat.

Anstatt grundlegender Reformen hat der Gesetzgeber hier bei den Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (§§ 123 – 145d StGB) ein Flickwerk aus Vorverlagerungen und Einzelfallregelungen geschaffen. Systematisch steht der Terrorismus (§ 129a StGB) damit zwischen dem Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) und der Amtsanmaßung (§ 132 StGB). Man muss kein dogmatischer Feinschmecker sein, um zu erkennen, dass sich dort falsche Regeln am falschen Platz befinden.

Der Landesverrat und die Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 93 – 101a StGB) sind im Konzert des politischen Strafrechts noch die plausibelsten Vorschriften. Doch auch hier ist nach Edward Snowden und den folgenden Erkenntnissen über Big Data und Cyberwar ein modernes Recht der inneren Sicherheit sowie des Schutzes von Staatsgeheimnissen nötig.

Der "Böhmermann-Paragraph" steht im Abschnitt über Straftaten gegen ausländische Staaten hinter einer Spezialnorm über den Schutz von Leib und Leben von Vertretern ausländischer Staaten (§ 102 StGB) und vor der Verletzung ausländischer Flaggen (§ 104 StGB). Das ist redundant, denn alle Vertreter ausländischer Staaten sind bereits durch die allgemeinen Straftaten zum Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter ausreichend geschützt. Angriffe auf das Leben werden in § 211 StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Mehr geht nicht einmal bei Angriffen auf das Leben von Herrn Erdogan oder Frau Merkel.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Marco Mansdörfer , Nach der Causa Böhmermann: Das politische Strafrecht ist überholt . In: Legal Tribune Online, 03.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19276/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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