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19276

Nach der Causa Böhmermann: Das poli­ti­sche Straf­recht ist über­holt

von Prof. Dr. Marco Mansdörfer

03.05.2016

Ein gestürzter König beim Schachspielen

© Christian Delbert - Fotolia.com

Die Böhmermann-Debatte entfachte eine heiße Diskussion um den § 103 StGB, der nun abgeschafft werden soll. Marco Mansdörfer fordert, das politische Strafrecht insgesamt gründlich aufzuräumen.

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Neue Bedrohungen

Auch schlechte Satire kann am Ende etwas Gutes haben: Nachdem der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf Jan Böhmermanns Schmähgedicht mit einer Strafanzeige wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten reagierte, fiel Bundesjustizminister Heiko Maas auf, dass der einschlägige § 103 Strafgesetzbuch (StGB) nach 150 Jahren "nicht mehr zeitgemäß" sein könnte.

Die Einschätzung von Herrn Maas trifft zu, hat aber einen Haken: Nicht nur § 103 StGB, sondern das gesamte politische Strafrecht aus den ersten vier Titeln des Besonderen Teils des StGB gehört auf den Prüfstand. Die Malaise beginnt mit dem Friedens- und Hochverrat (§§ 80 - 83a StGB). Das Strafrecht eines freiheitlich, demokratischen Rechts- und Mitgliedstaates der Vereinten Nationen kann sowohl einen Angriffskrieg durch das eigene Land (§ 80 StGB) und als auch den Angriff auf das eigene Land (§ 81 StGB) mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohen.

Derzeit werden Angriffe auf das Ausland aber nur bestraft, wenn "dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt" wird. Bei Angriffen auf Deutschland ist dagegen bereits das Unternehmen von Gewalt unter Strafe gestellt. Ein Ungleichgewicht, über das sich Erdogan mit viel besserem Recht beschweren könnte.

Die allgemeinen Strafnormen bieten ausreichend Schutz

Die Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats ist zudem konzipiert als ein Strafrecht gegen Gefährdungen von innen. An der Spitze stehen die Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei (§ 84 StGB) einschließlich der Verbreitung von Propagandamitteln (§ 86 StGB). Das mag nach 1945 richtig gewesen sein, aber sind das heute unsere wahren Probleme? Im 21. Jahrhundert gefährden der internationale Terrorismus und die global agierende Organisierte Kriminalität unseren Rechtsstaat.

Anstatt grundlegender Reformen hat der Gesetzgeber hier bei den Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (§§ 123 – 145d StGB) ein Flickwerk aus Vorverlagerungen und Einzelfallregelungen geschaffen. Systematisch steht der Terrorismus (§ 129a StGB) damit zwischen dem Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) und der Amtsanmaßung (§ 132 StGB). Man muss kein dogmatischer Feinschmecker sein, um zu erkennen, dass sich dort falsche Regeln am falschen Platz befinden.

Der Landesverrat und die Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 93 – 101a StGB) sind im Konzert des politischen Strafrechts noch die plausibelsten Vorschriften. Doch auch hier ist nach Edward Snowden und den folgenden Erkenntnissen über Big Data und Cyberwar ein modernes Recht der inneren Sicherheit sowie des Schutzes von Staatsgeheimnissen nötig.

Der "Böhmermann-Paragraph" steht im Abschnitt über Straftaten gegen ausländische Staaten hinter einer Spezialnorm über den Schutz von Leib und Leben von Vertretern ausländischer Staaten (§ 102 StGB) und vor der Verletzung ausländischer Flaggen (§ 104 StGB). Das ist redundant, denn alle Vertreter ausländischer Staaten sind bereits durch die allgemeinen Straftaten zum Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter ausreichend geschützt. Angriffe auf das Leben werden in § 211 StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Mehr geht nicht einmal bei Angriffen auf das Leben von Herrn Erdogan oder Frau Merkel.

Streichungen führen nicht zu politischer Kastration

2/2: Vorschriften abschaffen oder zusammenfassen

Auch das Strafrecht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit ist 1998 im sechsten Strafrechtsreformgesetz modernisiert worden. Man hat damals mit Recht alle Menschen gleichermaßen geschützt. Unter besonderem Schutz stehen nur  Kinder und Jugendliche gegenüber ihrem Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) und – etwas später eingefügt –  Frauen gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung (§ 226a StGB).

Ebenfalls alle gleich schützt die Norm des Tatbestands der Beleidigung (§ 185 StGB) vor Ehrverletzungen und damit auch die Interessen Erdogans. Der Strafrahmen von bis zu einem Jahr ist dabei absolut ausreichend. 

Bei dem von der Bundesregierung angekündigten und von Heiko Maas beschleunigten Streichen des § 103 StGB darf nicht Halt gemacht werden. Die Aufräumaktion muss – unabhängig von Böhmermann und Erdogan – weiter gehen. Opfer des Rotstifts sollten nicht nur die §§ 102 (Angriff gegen Organe ausländischer Staaten), 103 StGB (Beleidigung von Organen ausländischer Staaten), sondern auch die §§ 90 (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), 90b (Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen), 105 (Nötigung von Verfassungsorganen), 106 (Nötigung des Bundespräsidenten), 106b StGB (Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorganes) werden. § 90a StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole) und § 104 StGB (Verletzung von Flaggen ausländischer Staaten) könnten ohne weiteres in einer Norm zusammengefasst werden.

Politisch motivierte Straftaten finden trotzdem Würdigung

Streichen heißt keinesfalls, dass das entsprechende Verhalten straflos oder weniger strafwürdig ist. Nötigungen, Beleidigungen und Angriffe sind nach allgemeinen Vorschriften strafbar. Der Nachweis, dass die allgemeinen Regeln zum Schutz politischer Organe nicht ausreichen, ist nicht erbracht. Ein Sonderschutz für Staatsoberhäupter entstammt vielmehr den Zeiten der Monarchie und ist keineswegs konsequent. Warum soll ausgerechnet die Verunglimpfung des Bundespräsidenten  speziell unter Strafe stehen? Wo bleiben der die Leitlinien der Politik bestimmende Bundeskanzler und der Präsident des Verfassungsgerichts als oberster Hüter des Rechts? Hätte man in Zeiten des Linksterrorismus nicht auch die Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank besonders schützen müssen?

Wenn man das politische Sonderstrafrecht zurückschneidet, führt dies keineswegs zur politischen Kastration. Das allgemeine Strafrecht bietet hinreichenden Spielraum, die Motive des Täters entsprechend zu würdigen. § 46 Abs. 2 StGB macht dies sogar zum Pflichtprogramm bei der Zumessung der konkreten Strafe. Dort, bei der Strafzumessung und der allgemein geltenden Spielraumtheorie, ist der Platz im Einzelfall Vergeltung, Spezial- und Generalprävention in ein angemessenes Verhältnis zu bringen.

Wie steht es also um unser politisches Strafrecht? Antik ist es, ja. Ebenfalls haben die verschiedenen Sonderrechte ausgedient. Aber damit ist es nicht getan. Das gesamte politische Strafrecht, das über Jahrzehnte von Rechtspolitik und – dogmatik stiefmütterlich behandelt wurde, gehört reformiert. Ein bloßes Update genügt nicht. Notwendig ist eine neue Version des politischen Strafrechts für eine Bundesrepublik Deutschland vor den Herausforderungen einer globalisierten Welt und als verlässliches Mitglied Europas und der Vereinten Nationen.

Der Autor Prof. Dr. Marco Mansdörfer ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht einschließlich Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht an der Universität des Saarlandes. Zudem ist er als selbstständiger Strafverteidiger mit einem Schwerpunkt auf Wirtschaftsstrafrecht tätig.

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Prof. Dr. Marco Mansdörfer , Nach der Causa Böhmermann: Das politische Strafrecht ist überholt . In: Legal Tribune Online, 03.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19276/ (abgerufen am: 08.06.2023 )

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