E-Government-Gesetz und De-Mail: Eine europarechtlich brisante Mischung

von Prof. Dr. Dirk Heckmann

15.05.2013

2/2: Privilegierung der De-Mail verzerrt Wettbewerb

Diese Gründe sind durchaus gewichtig. Die Notifizierung ist ein scharfes Schwert, dass die Mitgliedstaaten zur Beachtung europarechtlicher Vorgaben zwingen soll. Vor diesem Hintergrund ist eine Anzeigepflicht eher zu bejahen als zu verneinen. Auch Änderungen und Ergänzungen von notifizierungspflichtigen Gesetzen müssen erneut angezeigt werden: zumindest solange sie nicht unbedeutend, also unwesentlich sind. Als Faustformel kann gelten: Unwesentlich sind redaktionelle, wesentlich sind konzeptionelle Gesetzesänderungen.

Danach spricht Vieles für eine Notifizierung des E-Government-Gesetzespakets, weil die damit verbundenen Änderungen des De-Mail-Gesetzes konzeptioneller Natur sind. In einer Gesamtbetrachtung von E-Government-Gesetz, De-Mail-Gesetz und Verwaltungsverfahrensgesetz erfolgt erstmals in Deutschland eine markterhebliche Regulierung von Diensten "elektronischer Post" in der rechtsverbindlichen Kommunikation mit Behörden.

Bislang war es im Wesentlichen die qualifizierte elektronische Signatur, mittels derer die Schriftform bei förmlichen Verwaltungsanträgen eingehalten werden konnte. Den Regulierungsrahmen hierzu steckte die Signaturrichtlinie ab. Für jeden Mailprovider gab es dadurch vergleichbare Anforderungen für die Bereitstellung entsprechender Dienste. Das ändert sich mit der E-Government-Konzeption im Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung.

Der Unterschied zum De-Mail-Gesetz in der bisherigen Fassung liegt darin, dass die De-Mail als Schriftformersatz erstmals anerkannt und gegenüber anderen sicheren Diensten wie dem E-Postbrief der Deutschen Post AG privilegiert wird. Dadurch wird nämlich nicht nur ein allgemeiner, akzeptabler technischer Kommunikationsstandard geschaffen, sondern ein Produkt kreiert, das nur jene Unternehmen einsetzen können, die sich dem Haftungsverbund des De-Mail-Konsortiums unterwerfen. Ein echter Wettbewerb unterschiedlicher, freilich vergleichbar sicherer Dienste findet nicht statt. Die Diskussion um die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die es bei der De-Mail nicht gibt, während etwa der E-Postbrief hierfür spezielle Lösungen vorsieht, zeigt aber die Notwendigkeit eines echten Wettbewerbs.

Während akkreditierte De-Mail-Anbieter wie die Deutsche Telekom nun damit werben könnten, dass ihre Dienste für rechtsförmliche Verwaltungsverfahren gesetzlich anerkannt sind, bleibt der Deutschen Post AG nur die vage Hoffnung, künftig durch eine Rechtsverordnung in gleicher Weise privilegiert zu werden. Selbst dann hat die De-Mail aber als einzige direkt im Gesetz genannte Lösung einen Wettbewerbsvorsprung, zumal der Staat sogar direkt für sie wirbt. Auch ausländische Anbieter werden benachteiligt: Ohne Niederlassung und Akkreditierung in Deutschland werden ihre Dienste für Behördenkommunikation nur anerkannt, wenn in ihrem Heimatland ein der De-Mail "gleichwertiges" System geschaffen wird. Das gibt es derzeit aber nicht und ist bei einer solchen nationalen Insellösung auch unwahrscheinlich.

Ausweg aus dem De-Mail-Dilemma

Der Bundesrat hat nun eine besondere Verantwortung für das Gelingen von E-Government in Deutschland: Stimmt er dem Gesetz in seiner jetzigen Fassung zu, riskiert er dessen Unanwendbarkeit, wenn die Notifizierungspflicht tatsächlich besteht. Die Folge wäre ein Rückschritt in den Bemühungen um eine Modernisierung der Verwaltung. Kritiker in den Behörden hätten Anlass, angesichts der unklaren Rechtslage Prozesse zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Zudem herrschte Rechtsunsicherheit bei jeder Anwendung der neuen Vorschriften, weil die Europarechtswidrigkeit in gerichtlichen Verfahren gegen Umsetzungsakte geltend gemacht werden kann.

Stimmt der Bundesrat dem Gesetz wiederum nicht zu, nimmt er zwar den europarechtlichen Gegenwind aus den Segeln, manifestiert damit zugleich aber auch die E-Government-Flaute.

Der Bundesrat könnte allerdings auch den Vermittlungsausschuss anrufen und als dringliche Änderung vorschlagen, den De-Mail-Komplex aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen, was nebenbei der auch im Bundesrat bereits angemahnten Technikneutralität Rechnung tragen würde. Genau diese Privilegien werfen auch europarechtliche Bedenken in Bezug auf die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit auf, die ganz unabhängig von der Notifizierungsfrage die Rechtskonformität des Reformwerks in Frage stellen, und zwar unnötig. Danach bliebe eine sehr beachtliche und unbedingt zu unterstützende Reform, die die Grundlage für eine bundesweite elektronische Verwaltung schaffen würde.

Bund, Ländern und Kommunen würde ermöglicht, einfachere, nutzerfreundlichere und effizientere elektronische Verwaltungsdienste anzubieten sowie medienbruchfreie Prozesse vom Antrag bis zur Archivierung durchzuführen. Die Regelungen zum elektronischen Zugang zur Verwaltung, zur elektronischen Aktenführung und -einsicht, zum E-Payment oder Open Data würden die öffentliche Verwaltung dahin führen, wo E-Commerce, E-Business oder E-Learning Bürger und Unternehmen längst hingebracht haben: ins 21. Jahrhundert.

Der Autor Prof. Dr. Dirk Heckmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht sowie Leiter der Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik an der Universität Passau. Außerdem ist er sachverständiges Mitglied des Nationalen IT-Gipfels der Bundesregierung und des CSU Netzrates.

Zitiervorschlag

Dirk Heckmann, E-Government-Gesetz und De-Mail: Eine europarechtlich brisante Mischung . In: Legal Tribune Online, 15.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8735/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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