Ausstellung im BMI zur Staatsangehörigkeit im NS-Staat: Ein Recht, das keines ist

von Dr. Markus Sehl

17.09.2012

Verfolgt, enteignet, staatenlos. Mit dem Entzug der Staatsangehörigkeit schaltete das nationalsozialistische Regime Juden und Oppositionelle "legal" aus. Markus Sehl über eine Ausstellung des Bundesverwaltungsamts in Berlin, die von prominenten und unbekannten Schicksalen erzählt und dabei schnell an die Grenze ihrer Darstellung stößt.

Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Philipp Scheidemann. Die erste Ausbürgerungsliste liest sich wie ein Who-is-Who der intellektuellen Opposition gegen das Nazi-Regime. Insgesamt werden am 25. August 1933 im Reichsanzeiger 33 Menschen ausgebürgert. Sie haben von nun an keine politischen Rechte mehr und sind ohne diplomatischen Schutz. Wer keine andere Staatsbürgerschaft besitzt wird staatenlos.

Die Ausstellung "Menschenschicksale" zeigt noch bis Ende September im Innenministerium in Berlin wie das Staatsangehörigkeitsrecht den nationalsozialistischen Verbrechen diente.  Hierzu hat das heute für die Wiedereinbürgerung zuständige Bundesverwaltungsamt (BVA) zahlreiche Originaldokumente zusammengestellt. Die Ausstellung erzählt von Prominenten und Unbekannten, die ihre rechtliche Zugehörigkeit zu einem Staat verlieren, der sie nicht länger schützt, sondern systematisch verfolgt.

Das Vermögen, das die Ausgebürgerten zurücklassen, beschlagnahmen die Behörden. Schaltzentrale für das ganze Deutsche Reich ist das Finanzamt Berlin Moabit-West in der Luisenstraße. Von hier aus arbeitet die Behörde eng mit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) zusammen und schlägt sogar selbst einzelne Bürger für eine Ausbürgerung vor, um an deren Vermögen zu gelangen.

Schrittweise Entrechtung missliebiger Personen

Die formale Rechtsgrundlage für die Ausbürgerungen bildet dabei das Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933. Nach § 1 können Einbürgerungen "widerrufen werden, falls die Einbürgerung als nicht erwünscht anzusehen ist." Auf diesem Weg verlieren 40.000 Menschen ihre Staatsangehörigkeit. Darunter sind alleine mehr als 100 ehemalige Reichstagsabgeordnete.

Für viele Verfolgte beginnt ein Leben im Exil. Philipp Scheidemann muss über Prag, die Schweiz, Frankreich und die USA letztendlich nach Dänemark fliehen, wo er fortan unter Pseudonym publiziert. Kurt Tucholsky verschlägt es nach Göteborg, wo er 1935 schließlich Selbstmord begeht. Herbert Ernst Karl Frahm flieht 1933 nach Norwegen und nennt sich von nun an Willy Brandt. Damit kommt er, wie viele andere, seiner Ausbürgerung zuvor, von der er 1938 durch eine Ankündigung im Reichsanzeiger erfährt.

Stehen zunächst vor allem Prominente aus Politik, Wissenschaft und Kultur auf den Ausbürgerungslisten, setzt ab 1936 eine Massenausbürgerung ein. Viele werden gleich ohne Verwaltungsakt deportiert. Die Ausbürgerung der jüdischen Bevölkerung erreicht mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz 1941 eine neue Dimension. Danach verlieren alle über die Reichsgrenzen, und damit vor allem in die Vernichtungslager nach Osten deportierten Juden die deutsche Staatsangehörigkeit.

Auch während des Krieges geht die Ausbürgerung weiter: Die letzte Ausbürgerungsliste erscheint erst am 7. April 1945 – nur einen Monat vor der Befreiung durch die Alliierten.

Das Grundgesetz und Wiedereinbürgerungen nach 1945

Heute verbietet es Art. 16 Abs. 1 GG grundsätzlich, einem deutschen Staatsbürger seine Staatsbürgerschaft zu entziehen. Nur noch in wenigen Ausnahmefällen ist ein Verlust denkbar. So zum Beispiel nach § 35 Staatsangehörigkeitsgesetz wenn die Einbürgerung durch Täuschung oder Bestechung erlangt ist.

In einer Grundsatzentscheidung stellte das Bundesverfassungsgericht Ende der 60er Jahre fest, dass Verfolgte, denen zwischen 1933 und 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit faktisch entzogen worden war, diese dadurch rechtlich nicht verloren haben. Einmal gesetztes Unrecht werde auch nicht dadurch zu Recht, indem es angewendet und befolgt werde. Um aber die freie Entscheidung der Verfolgten zu respektieren, erfolgt die Wiedereinbürgerung nicht automatisch.

Gleichwohl haben sich seit 1949 laut BVA über 160.000 Menschen gemäß Art. 116 Abs. 2 GG für die Wiederannahme der deutschen Staatsbürgerschaft entschieden. Die Ausstellung weist beinahe kleinlaut auf die Verfassungsnorm als "staatsangehörigkeitsrechtliche Wiedergutmachung" durch die Bundesrepublik hin. Die nüchterne Sperrigkeit des Begriffs zeigt vielleicht am besten die Symbolwirkung dieser Selbstverständlichkeit.

Deutsches Verwaltungsunrecht vor Brunnen und Palmen

Willy Brandt ist auch seiner Wiedereinbürgerung durch die Bundesrepublik zuvorgekommen. Am 1. Juli 1948 und damit schon ein Jahr vor Gründung der BRD ist er wieder deutscher Staatsbürger. Weil es aber weder rechtliche Regelungen, noch entsprechende Vordrucke gibt, bekommt er eine Urkunde mit aufgedrucktem Reichsadler. Das Hakenkreuz ist mit Tinte geschwärzt.

Hätte dieses beschämende Kapitel deutscher Verwaltungsgeschichte doch einen besonderen, einen sensiblen Ort verdient, fällt der Besuch der Ausstellung umso ernüchternder aus. Die Bildträger sind im Foyer des Bundesministeriums des Innern untergebracht, das den Charme eines Kongresshotels hat. Im Hintergrund plätschert irritierend ein beleuchteter Brunnen, Rolltreppen summen, Drehtüren drehen sich vor Palmen.

Statt der Originaldokumente gibt es nur laminierte Bildtafeln zu sehen. Teile der Ausstellungstexte sind wortgetreu aus dem Internet kopiert. So geraten die Schicksale der Menschen in ihrer Darstellung gefährlich nah ans Anekdotenhafte. Das Unrecht und seine Verwaltung bleiben dabei auf Abstand.

Markus Sehl ist Student der Rechtswissenschaften an der HU-Berlin und freier Journalist.

Die Ausstellung "Menschenschicksale – Die deutsche Staatsangehörigkeit im Dritten Reich" kann noch bis zum 30. September 2012 von Montag bis Freitag in der Zeit von 10-20 Uhr im Rondell des Bundesinnenministeriums, Alt-Moabit 101 D, 10559 Berlin besichtigt werden.

Zitiervorschlag

Markus Sehl, Ausstellung im BMI zur Staatsangehörigkeit im NS-Staat: Ein Recht, das keines ist . In: Legal Tribune Online, 17.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7094/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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