Strafverfahren gegen Schlagersängerin beginnt: Hit­ler­gruß als Warm-Up?

Gastbeitrag von Roman Fiedler

30.07.2024

Schlagersängerin Melanie Müller soll auf der Bühne mehrfach den Hitlergruß gezeigt haben. Die Angeklagte weist jede Nähe zu Rechtsradikalen von sich. Sie will mit der Geste nur das Publikum angeheizt haben. Roman Fiedler war beim Prozessauftakt.

SA-Parolen, rassistische Gesänge auf Sylt und Hitlergrüße auf Konzerten? Die Enttabuisierung von NS-Symbolik in Deutschland schreitet voran. Seit heute hat sich die ehemalige "Dschungelkönigin" Melanie Müller vor dem Amtsgericht Leipzig (Az. 226 Ds 608 Js 50876/22) wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86a Strafgesetzbuch (StGB) in Tateinheit mit Beihilfe zum Verwenden solcher Kennzeichen zu verantworten.  

Sie soll beim Oktoberfest des Leipziger Motorradclubs "Rowdys Eastside" im September 2022 von der Bühne aus mehrfach den Hitlergruß gezeigt haben. Davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Der Verteidiger Rechtsanwalt Adrian Stahl sprach von einer "neutralen" Geste und betonte, seine Mandantin habe keine rechte Gesinnung, sondern sei unpolitisch. Dabei ist ihre Verbindung in das rechtsextreme Milieu nicht zum ersten Mal Thema.

Lange erwarteter Prozessbeginn

Der Saal 100 im Leipziger Amtsgericht ist am Dienstagmorgen kaum zur Hälfte gefüllt – das liegt vielleicht auch daran, dass der ursprünglich für Mitte Juni angesetzte Prozess gleich zwei Mal verschoben wurde. Beide Male ließ die Angeklagte sich wegen Krankheit beim Gericht entschuldigen. Medial für Verwunderung sorgte der Umstand, dass die Schlagersängerin und Wahl-Mallorquinerin zwischen den geplatzten Verhandlungsterminen mehrere Konzerte am Ballermann spielte. Die Angeklagte verwies darauf, dass ihr Arzt ihr von Flugreisen abgeraten habe. Drücken wolle sie sich nicht.

In ein pinkes Kostüm gekleidet, betritt sie mit ihrem Verteidiger den Gerichtssaal. Die Kameras ist sie gewohnt, das merkt man. Dennoch sieht sie heute angespannt aus. Die Angeklagte wird so gut wie kein Wort sagen. Auch Richter Lucas Findeisen spricht nur das Nötigste. Wer vor allem reden wird, ist Müllers Anwalt.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten vor, auf dem öffentlich zugänglichen Konzert bei den "Rowdys" im September 2022 vor etwa 50 Personen mehrfach den Hitlergruß von der Bühne in Richtung des Publikums gezeigt zu haben. Nachdem mehrere Personen mindestens fünf Mal "Sieg Heil" brüllten und den Hitlergruß zeigten, soll die im sächsischen Oschatz geborene Angeklagte die Parole "Ost, Ost, Ostdeutschland!" angestimmt haben und im Takt dazu den rechten Arm mehrfach in die Luft gestreckt haben.

Auf den aus dem Publikum gefertigten Videoaufnahmen, die im Prozess gezeigt werden, ist außerdem zu sehen, wie ein Konzertbesucher "Sieg Heil" ruft und den Hitlergruß zeigt – Melanie Müller kann sich ein Lachen nicht verkneifen und feuert das Publikum mit den Worten "Zicke Zacke Zicke Zacke" an – die darauffolgenden Worte "Hoi Hoi Hoi" klingen bei einigen Konzertbesuchern aber wie "Heil Heil Heil". Auch hier strecken die Angeklagte und einzelne Personen in der Menge den rechten Arm in die Luft.  

Neutrale Geste ohne politische Aussagekraft?

Auf die Aussageverweigerung von Frau Müller folgt eine ausführliche Einlassung ihres Verteidigers Stahl. Er ist der einzige, der heute mehr als ein paar kurze Sätze sagen wird. Zunächst betont er, das Heben des rechten Arms, um das es in diesem Prozess gehe, sei an sich eine wertneutrale Geste. Der Kontext sei entscheidend. Seine Mandantin bezeichnet er als unpolitisch – sie habe "zahlreiche homosexuelle und nicht-deutsche Freunde". Auch führt er aus, der Vorfall habe immense Konsequenzen für Müller gehabt. So würde sie seitdem nicht mehr für Konzerte in Deutschland, Österreich oder der Schweiz gebucht.

Die fragliche Armbewegung – die Rechtsanwalt Stahl selbst während seiner Ausführungen einige Male im Gerichtssaal demonstriert – sei kein Hitlergruß gewesen. Insbesondere sei der Arm seiner Mandantin nicht wie üblicherweise auf Augenhöhe ausgestreckt gewesen, sondern weit höher. Auch gehe die Bewegung nicht einher mit einer entsprechenden Bekenntnisformel wie etwa "Heil Hitler". Die Geste habe also keine politische Aussagekraft und sei auch in vielen anderen Videos von Auftritten seiner Mandantin zu sehen, die, wie der Verteidiger betont, nicht zu einer Anklage geführt hätten.

Dass seine Mandantin die "Sieg Heil"-Rufe aus dem Publikum vernommen haben soll, bezweifelt er. Die Geräuschkulisse während des Konzerts sei derart laut gewesen, dass die Darstellung, Müller habe die Parolen gehört, vielmehr eine Vermutung seitens der Staatsanwaltschaft sei. In Bezug auf den Hitlergruß spricht Rechtsanwalt Stahl meistens vom "deutschen Gruß" – eine Bezeichnung die vor allem zu Zeiten des Nationalsozialismus gebräuchlich war.

Laut Stahl habe die Sängerin die Rufe zuerst nicht wahrgenommen, später ihre Kopfhörer abgelegt und versucht das Publikum zu beruhigen. Schließlich habe sie, da sie mit den Parolen nicht einverstanden gewesen sei, das Konzert abgebrochen.

Schlagermusik und Sprachnachrichten im Gericht

Nachdem der Verteidiger im Anschluss an die Einlassung Rückfragen an seine Mandantin nicht zulässt, folgt die Beweisaufnahme. Es werden verschiedene Videoaufnahmen von Konzerten von Müller abgespielt. Die Angeklagte scheint sichtlich genervt von der schrillen Wiedergabe ihrer Musik.

Einige vorgeführte Konzertaufnahmen zeigen Müller bei anderen Auftritten wie sie das Publikums anheizt. Manchmal mit, manchmal ohne gestreckten rechten Arm. Außerdem werden Sprachnachrichten abgespielt, in denen Müller im Nachgang des Konzerts in Leipzig davon erzählt, wie sie das Konzert habe abbrechen müssen. Als der Richter daraufhin nachfragt, ob die Angeklagte im Besitz eines Videos ist, das den Konzertabbruch dokumentiert, verneint der Verteidiger dies. Man habe ein entsprechendes Video angefragt, bisher aber nicht erhalten. Ob es solche überhaupt gibt, bleibt fragwürdig.

Daraufhin meldet sich noch kurz Staatsanwalt Schmelzer zu Wort und erklärt, er gestehe der Angeklagten gerne zu, dass der Konzertauftritt unangenehm für sie gewesen sei. Auch wolle er ihr nicht unterstellen, sie sei rechtsextrem. Vor dieser speziellen Klientel, die sich vor allem auch aus Hooligans zusammensetze, könne die Armbewegung zum Anheizen des Publikums aber nun mal möglicherweise ein Hitlergruß sein. Dieser setze auch entgegen der Ansicht des Verteidigers kein konkretes Bekenntnis voraus.  

Als der Richter verkündet, dass das Gericht die Ladung einer beim Konzert anwesenden Freundin der Angeklagten als Zeugin für einen Nachfolgetermin für nötig erachte und die Verhandlung schließt, sieht die Angeklagte zum ersten Mal erleichtert aus und lässt sich auf ihrem Stuhl zurückfallen.

Melanie Müller und das rechtsextreme Milieu

Besonders überzeugend erscheinen die Ausführungen zur Überraschung Müllers über die Gesten und Parolen des Publikums nicht. Das besagte Konzert fand im Leipziger Motorradclub "Rowdys Eastside" statt. Das Gelände, auf dem sich etwa noch ein Kampfsportclub befindet, gilt als rechtsextremer Treffpunkt. Regelmäßig finden hier Rechtsrockkonzerte statt. Das Areal ist zu aller bitteren Ironie ein ehemaliges Außenlager des KZ-Buchenwald. Seit 2007 befindet es sich in Privatbesitz.  

Auch ist Müller bereits zuvor durch Kontakte in das rechtsextreme Milieu aufgefallen. So zeigte sie sich 2022 in Leipzig bei einem Boxkampf-Event, dessen Veranstalter Verbindungen in die rechtsextreme Hooliganszene haben sollen. Zahlreiche Kämpfende präsentierten sich mit Tätowierungen, die nationalsozialistische Symbole zeigten. Auch in diesem Zusammenhang distanzierte Müller sich jedoch von rechtsextremem Gedankengut. Ob derartige pauschale Distanzierungen vor Strafe schützen können, wird der kommende Prozesstag zeigen. Am 13. August geht es weiter.

Roman Fiedler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Leipzig.

Zitiervorschlag

Strafverfahren gegen Schlagersängerin beginnt: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55111 (abgerufen am: 11.11.2024 )

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