Reform des Jurastudiums

Ist der Schwer­punkt bald nichts mehr wert?

von Marcel SchneiderLesedauer: 4 Minuten

Die Noten der Pflichtfachprüfung und des Schwerpunktbereichstudiums sollen künftig getrennt auf dem Examenszeugnis stehen, finden die Justizminister. Eine Idee, die überraschend kommt – und nun kontrovers diskutiert wird.

Zunächst blieb der Beschluss über Tagesordnungspunkt 12 mehr oder weniger unbeachtet. Stattdessen standen andere Themen im Fokus der Pressekonferenz zur diesjährigen Herbstkonferenz der Justizminister (JuMiKo), etwa der Kampf gegen den Hass im Netz, die Vorratsdatenspeicherung und der Pakt für den Rechtsstaat.

Jetzt aber ist die Diskussion entbrannt: Die JuMiKo stimmte Anfang November nämlich auch dafür, das Bundesjustizministerium (BMJV) darum zu bitten, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, der § 5d Deutsches Richtergesetz (DRiG) ändern soll. Und zwar "dahingehend, wegen der   Verschiedenartigkeit der staatlichen Pflichtfachprüfung und der universitären  Schwerpunktbereichsprüfung  künftig auf die Bildung einer Gesamtnote zu verzichten und im Zeugnis über die erste  Prüfung beide Noten getrennt auszuweisen", heißt es in besagtem Beschluss.

Mit anderen Worten: Die Noten aus staatlicher Pflichtfachprüfung und universitärem Schwerpunktbereichsstudium sollen auf dem Examenszeugnis nicht mehr zusammengerechnet, sondern einzeln ausgewiesen werden.

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Wird der Schwerpunkt bedeutungslos?

Faktisch dürfte der Schwerpunkt so für viele Studenten an Reiz und damit insgesamt an Bedeutung verlieren: Aktuell schaffen es nicht wenige Examenskandidaten, durch eine überdurchschnittliche Leistung im Schwerpunktstudium trotz traditionell schlechter ausfallenden Pflichtfachteils ihre Gesamtnote erheblich aufzuwerten. Das wirkt sich entsprechend auf die beruflichen Chancen in der juristischen Arbeitswelt aus; und zwar insbesondere in den Fällen, in denen es um ein knappes "Vollbefriedigend" und damit den Sprung aufs begehrte Prädikatsexamen geht.

Dass sich die JuMiKo nun dafür ausgesprochen hat, künftig keine Gesamtnote mehr auf dem Zeugnis über das Erste Staatsexamen auszuweisen, kommt überraschend. In der Regel folgen die Justizminister den Empfehlungen und Ausarbeitungen des eigens von ihnen eingesetzten Koordinierungsausschusses (KOA), der sich seit Jahren damit beschäftigt, wie man das Jurastudium bundesweit harmonisieren und sinnvoll reformieren kann.

Dazu befragt der KOA regelmäßig auch die juristische Branche - und die lehnt den Vorschlag des sogenannten Heidelberger Modells, zu dessen alternativen Varianten die Trennung der Pflichtfach- und Schwerpunktnoten auf dem Examenszeugnis gehört, eindeutig ab. Im aktuellen Zwischenbericht des Ausschusses heißt es: "Das 'Heidelberger Modell' stößt in den eingegangenen Stellungnahmen auf nahezu einhellige Ablehnung."

Ministerium: "Ein besonders hitzig diskutierter Tagesordnungspunkt"

Natürlich gibt es nicht erst neuerdings Kritik am Schwerpunktbereichsstudium: Weil die Universitäten darin ganz unterschiedliche Anforderungen an ihre Studenten stellen, sind die Schwerpunktbereichsnoten häufig nicht miteinander vergleichbar. Nicht wenige Studenten wählen ihren Schwerpunkt zudem nicht nach Neigung, sondern danach, wo sie den notenmäßig betrachtet großzügigsten Dozenten wähnen.

Nur: Lösungen für diese Probleme hat der KOA bereits – auch mit großer Rückendeckung aus der Branche – erarbeitet. Jetzt zusätzlich die Noten voneinander getrennt ausweisen zu wollen, sei nicht nur eine ungeeignete Maßnahme, sondern entwerte die Bedeutung des Schwerpunktbereichs, der sich "grundsätzlich bewährt" habe, unnötigerweise, fasst der Ausschuss die Rückmeldungen der Jurafakultäten sowie Berufs- und Studentenverbände in seinem aktuellen Zwischenbericht vom September 2019 zusammen.

Auf LTO-Anfrage heißt es aus dem rheinland-pfälzischen Justizministerium, das gemeinsam mit den nordrhein-westfälischen Kollegen die Berichterstattung zu Tagesordnungspunkt zwölf übernommen hatte: "Das war in der Tat einer der besonders hitzig diskutierten Beschlüsse. Letztlich sprach sich der überwiegende Teil der Länder für die Notentrennung als Maßnahme aus, um der Unvergleichbarkeit der Schwerpunktnoten untereinander zu begegnen."

Pro Schwerpunkt: "Der Beschluss ist ein fauler Kompromiss"

So oder so: Die Entscheidung der JuMiKo hat die Diskussion nach gut drei Jahren wieder entfacht. Marc Castendiek, Vorsitzender des Bundesverbandes rechtswissenschaftlicher Fachschaften, sagt im Gespräch mit LTO: "Der Beschluss stellt einen faulen Kompromiss dar, denn mittelfristig wird er zu einer Abschaffung des Schwerpunktes führen." Die Justizminister hätten nur nicht den Mut gehabt, das auch so zu benennen und den Schwerpunkt gleich ganz zu streichen.

Prof. Dr. Elisa Hoven, die sich in der Reformdebatte engagiert, stimmt zu: "Der Verzicht auf eine Gesamtnote würde den Schwerpunkt abwerten und das deutliche Signal senden, dass er nicht viel wert ist." Dabei könnten, so die Leipziger Dozentin, die Prüfer im Rahmen des Schwerpunktbereichs wichtige Fähigkeiten der Studierenden testen, etwa, ob der Prüfling wissenschaftlich arbeiten und eigene Gedanken formulieren kann.

Auch Examensprüfer Prof. Dr. Roland Schimmel fürchtet, dass die Wissenschaftlichkeit im Jurastudium "noch weiter" abnimmt: "Der pragmatisch handelnde Kandidat wird sich ohne Bildung einer Gesamtnote auf den Pflichtfachteil konzentrieren. In den Hintergrund treten wird dabei, was den Wissenschaftlichkeitsanspruch des juristischen Studiums eigentlich erst begründet: wochenlange vertiefte Befassung mit einem problematischen Thema."

Contra Schwerpunkt: "Besser zurück zur Wahlfachklausur"

Dass die Schwerpunktbereiche ohne Bildung einer Gesamtnote abgewertet werden, findet auch Prof. Dr. Stephan Lorenz von der LMU in München. Schlimm findet er das aber nicht, denn er hält sie ohnehin für entbehrlich; man sollte den Beschluss der JuMiKo seiner Ansicht nach vielmehr zum Anlass nehmen, die Daseinsberechtigung der Schwerpunktebereiche insgesamt in Frage stellen: "Ihr unheilbarer Fehler ist nämlich, dass sie zu einem schädlichen Studienverhalten führen: Die Studierenden kümmern sich in der Mittelphase des Studiums fast ausschließlich um die Schwerpunktbereiche und fangen danach mit dem Pflichtstoff gleichsam von vorne an." Es bleibe deshalb nur: "Abschaffung der Schwerpunktbereiche und zurück zum früheren System der Wahlfachklausur im Staatsexamen."

Ausbilder und Richter am Amtsgericht Dr. Lorenz Leitmeier sieht das ähnlich: "Ich halte die staatliche und die Universitätsprüfung tatsächlich für zu unterschiedlich, um daraus ein Gesamtpaket zu machen." Ohne Bildung einer Gesamtnote würden nicht mehr diejenigen Studenten belohnt, die gezielt nach – wie er sie nennt - "Punktelieferanten-Fächern" für ihren Schwerpunkt suchten.

Bei dem Anliegen aus dem Beschluss der Justizminister handelt es sich um eine "Bitte" an das BMJV – nicht mehr, nicht weniger, wie eine Ministeriumssprecherin auf LTO-Anfrage betont. "Das heißt, wir werden eingehend prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Form wir mit einem Gesetzentwurf reagieren werden."

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