Betreuungsvereinbarungen für Doktoranden

Die Promotion an der Kandare

von Prof. Dr. Wolfgang LöwerLesedauer: 4 Minuten
Baden-Württemberg will das Promotionsrecht der Hochschulen in bisher nicht gekannter Intensität regeln. Dass die Bildungsanstalten den gesetzgeberischen Eingriff in ihren ureigenen Zuständigkeitsbereich mehr oder minder klaglos hinnehmen, zeigt, wie sehr die Plagiatsaffäre ihr Selbstbewusstsein geschwächt hat. Dabei schadet die Reform mehr als sie nützt, meint Wolfgang Löwer.

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Mehr als die Anforderungen an den Erwerb des akademischen Grades einschließlich der Zugangsvoraussetzungen hatte das staatliche Hochschulrecht bisher nicht geregelt. Es respektierte damit, dass das Promotionsrecht zum geschützten Kern der Selbstverwaltung der Universitäten gehört, die in Baden-Württemberg landesverfassungsrechtlich explizit garantiert ist. Auffällig ist, dass in der mit "Promotion" überschriebenen, neuen Norm viel von Bindungen und Verpflichtungen die Rede ist, von Freiheit jedoch praktisch gar nicht. Offenbar übersehen die Freunde der Regulierung, dass es auch des Absolventen gutes Freiheitsrecht ist, sich in das Abenteuer Wissenschaft zu stürzen. Dennoch deutet die Norm Freiheit nur noch an einer Stelle an, wenn es heißt: "Die Promotion beruht auf einer selbständigen wissenschaftlichen Arbeit". Sie fordert also "Selbständigkeit", weil sonst der Nachweis zur Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit nicht erbracht wird. Selbständigkeit setzt Freiheit in der eigenen Arbeit voraus.

Wissenschaftliche Zwei-Klassen-Gesellschaft vorprogrammiert

Der weitere Normtext kennt dann nur noch Bindungen der Hochschule und Verpflichtungen des Doktoranden, der eben nicht als erwachsener Nachwuchswissenschaftler wahrgenommen wird, sondern als offenbar eigenständig nicht handlungsfähiges Subjekt im Wissenschaftsprozess. Er wird bevorzugt ("sollen") in forschungsorientierte Studienangebote oder ("darüber hinaus") in Promotionsstudiengänge (Doktorandenkollegs) eingegliedert, wobei eine Zwei-Klassen-Gesellschaft vorprogrammiert ist. Forschungsorientierte Studien führen zur gewissermaßen normalen Promotion, Ausbildungsziel der Doktorandenkollegs ist die Qualifikation für Wissenschaft und Forschung; der Erfolg soll mit dem Ph.D. besiegelt werden können. Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich sind Doktorandenkollegs bzw. Graduiertenschulen längst erprobte Wege, Doktoranden zum Qualifikationserfolg zu führen, weil in den Natur- und Lebenswissenschaften Teamforschung unerlässlich ist und Trans- und Interdisziplinarität sich im Zusammenwirken sinnvoll realisieren lassen. Aber das wissen Hochschulen, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Volkswagenstiftung usw. doch längst. Die Verengung der vielen Wege auf eine Sollens-Vorschrift legt nahe, dass alles andere nicht der Sollensvorstellung entspricht. Das wäre indes eine befremdliche Haltung, die die Hochschulen sich nicht zu eigen machen sollten. Denn die alleine erbrachte Leistung ist zugleich Zeugnis der geforderten Selbständigkeit, während die zusammenwirkende Forschung bisweilen das Problem hat, die einzelnen Beiträge in einem gemeinsamen Projekt so zu differenzieren, dass sie an eine Person zuordnungsfähig sind. Es ist ja kein Zufall, dass Doktorväter heute in Publikationen ihrer Doktoranden in der Teamforschung einen eigenen Beitrag an der (selbständigen!) Leistung des Doktoranden für sich beanspruchen.

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2/2: Mehr Verbindlichkeit im Promotionsverfahren - ein hehres Ziel…

Das Herzstück der Neuregelung ist der Wille zu mehr Verbindlichkeit im Promotionsverfahren, das schließlich auch ein Rechtsverhältnis ist. Es soll eine förmliche Annahme als Doktorand geben, die die Pflicht zur Betreuung auslöst. Das ist der Sache nach nicht neu. Es entspricht auch dem allgemeinen und vielfach niedergelegten Willen der Scientific Community, dass die Fakultäten wissen müssen, wer ihre Doktoranden sind, und dass die Doktoranden das Recht haben müssen, über ihre Arbeit, ihre eventuellen Holzwege usw. mit ihrem akademischen Lehrer zu sprechen. Für Doktoranden, die zugleich wissenschaftliche Mitarbeiter sind, ist das alles ganz selbstverständlich und ergibt sich aus der häufigen Begegnung, für Externe braucht es in der Tat Termine. Man mag dieses Zusammenspiel von Erfahrung und wissenschaftlichem Novizentum mit der an sich nicht sachgerechten Vokabel der Betreuung erfassen wollen (obwohl sie eigentlich auf die Hilfsbedürftigkeit Entmündigter, Schwacher und Gebrechlicher gemünzt ist).

… das um den Preis der Bevormundung erkauft wird

Das Gesetz schlägt an dieser Stelle allerdings einen übertriebenen paternalistischen Weg ein, der die Selbständigkeit und den Freiheitsanspruch des Doktoranden in Zwangsfürsorge auflöst. Es verlangt eine schriftliche Promotionsvereinbarung, die (fortzuschreibende) Zeitpläne für regelmäßige Betreuungsgespräche und Sachstandsberichte aufstellt – natürlich unter Berücksichtigung der Lebenssituation des Promovierenden. Rücksichtnahme als explizite Rechtspflicht. Es müssen nach dem Gesetz auch Angaben über ein individuelles Studienprogramm gemacht werden, ohne dass klar wäre, welchem Zweck das dient. Die gleichfalls vorgeschriebene, wechselseitige Verpflichtung über die Beachtung der "Regeln guter wissenschaftlicher Praxis" ist der Sache nach zwar zu begrüßen, doch müssen gesetzlich ohnehin bestehende Pflichten nicht zusätzlich kontrahiert werden. Auch Unmögliches soll vertraglich vereinbart werden: "die bei Abgabe der Dissertation festzulegenden Begutachtungszeiten" etwa. Dass es Doktoranden gibt, die das alles nicht brauchen oder solche, die es nicht wollen; dass der Doktorand grundsätzlich die Freiheit haben muss, Takt und Intensität der Betreuung durch seine eigenen Bedürfnisse vorzugeben, das alles wird durch die Begründung vertraglicher Pflichten verdrängt. Möglicherweise wird damit sogar das Streitpotential erhöht, weil jetzt beide Seiten Rechte haben, deren Verletzung "irgendwie" geltend gemacht wird. Verrechtlichung ist nicht immer die beste Option. Es könnte sein, dass der Ombudsman, den das Gesetz vorsieht, bald viel zu tun bekommt. Der Autor Prof. Dr. Wolfgang Löwer ist Leiter der Abteilung Wissenschaftsrecht des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Bonn. Er ist zudem Sprecher des Ombudsmans für die Wissenschaft, einem Beratungsgremium für Fragen guter wissenschaftlicher Praxis, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999 einsetzte.

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