Ein Buch, viele Pauschalurteile
Die Juraprofessorin Zümrüt Gülbay-Peischard eröffnet ihr neues Buch "Akadämlich – Warum die angebliche Bildungselite unsere Zukunft verspielt" mit einem Rundumschlag: "Deutschlands Studierende sind faul, lethargisch, handysüchtig und überschätzen sich." (S. 11). Diese Behauptung versucht sie durch verschiedene Anekdoten aus ihrer Zeit an Deutschlands rechtswissenschaftlichen Hochschulen zu belegen.
Ein zentrales Argument: Ein Studium sei heute zu leicht abzuschließen. Gülbay-Peischard zeigt, dass sie sich der Belastungen für die Studierenden durchaus bewusst ist, und benennt die Studienfinanzierung zu Recht als deren größte Sorge. Doch sie relativiert diese Einschätzung nur wenige Zeilen später mit dem Hinweis, dass ausgerechnet jene, die über Geldprobleme klagten, in Markenkleidung und 400 Euro Sneakern in ihren Vorlesungen säßen (S. 54).
Zur Untermauerung ihrer These, dass Studieren heutzutage zu einfach sei, verweist sie schlicht auf die fächerübergreifende Abbruchquote unter Personen, die ihr erstes Bachelor-Studium aufnehmen. Sie liegt bei zwölf Prozent – ihrer Ansicht nach ein deutlich zu niedriger Wert (S. 71).
Respektlosigkeit als Generationsmerkmal
Weiter wirft Gülbay-Peischard den Studierenden respektloses und überempfindliches Kommunikationsverhalten vor. Ihre Geduld sei "ungefähr die eines vierjährigen Kindes aus Zucker", alles müsse sofort erledigt werden, "nur nicht von Ihnen selbst" (S. 83).
In verschiedenen Beispielen berichtet sie von fehlender Kommunikationskultur: keine Begrüßungen, keine Respektformen und ständig auf das Handy starrend. Letzteres macht sie als Ursache für die kommunikativen Defizite der Studierenden aus.
Wie so oft im Buch verweist die Autorin auf die vermeintlich "zu liebevolle" ( vgl. S. 136) Erziehung der jungen Generation. Auf diesen wiederkehrenden Schwerpunkt gehe ich bewusst nicht näher ein –ich studiere, ebenso wie die Autorin, nicht Erziehungswissenschaft, sondern Jura.
Keine Leistungsbereitschaft, keine Anstrengung
Studierende seien zudem ignorant, weil sie sich nicht mehr für ein gemeinschaftliches soziales Leben engagierten, so Gülbay-Peischard (S. 187). Partys würden gerade in Großstädten nur noch von kommerziellen Anbietern organisiert, Exkursionen ausschließlich auf Initiative von Professor:innen stattfinden (S. 187).
Überhaupt leisteten die heutigen Studierenden zu wenig, so eine ganz wesentliche These in "Akadämlich": Etwa die Hälfte habe weder Ehrgeiz noch Lust auf Bildung (S. 33); die andere bestehe aus potenziell Lernfähigen, von denen wiederum nur ein kleiner Teil wirklich engagiert mitarbeite (S. 68).
Darin erkennt die Autorin eine Ausbeutung des kostenlosen Bildungssystems. Die breite Masse werde überfördert, während der tatsächlichen, zukünftigen "Bildungselite" keine angemessene Förderung zur Verfügung stehe. Das Problem deutscher Hochschulen sei daher nicht eine strukturelle Unterfinanzierung, sondern ein Übermaß an mittelmäßigen Studierenden (S. 172, 191).
Die Konsequenz: Wir bräuchten mehr Wettkampf. Studierenden sollen sich, so die Autorin, wieder stärker an "dem kleinen Teil der leistungsstarken Studierenden" (S. 176) orientieren.
Am Engagement der Studierenden und Wettkampf unter ihnen mangelt es nicht
Die Liste der pauschalen Urteile ist lang. Zunächst möchte ich auf jene eingehen, die das soziale Miteinander im Studium betreffen.
Der These Gülbay-Peischards, es brauche mehr Wettkampf im Jurastudium, muss ich entschieden widersprechen. Der Studiengang Rechtswissenschaften ist notorisch für seinen enormen Konkurrenzdruck – bis hin zu destruktiven Praktiken wie dem Verstecken von Kommentaren oder dem Herausreißen von Seiten, die für die aktuelle Hausarbeit relevant sind. Das endet bereits jetzt zu oft und empirisch beobachtbar in psychischen Belastungen und Erkrankungen.
Gülbay-Peischards Einteilung der Studierenden verlagert die Verantwortung auf die Kommiliton:innen – als würden sie einander die knappen Ressourcen wegnehmen. Doch das Problem liegt nicht bei ihnen, sondern bei den strukturellen Rahmenbedingen der veralteten juristischen Ausbildung. Wer Leistung fordern will, muss zuerst faire Bedingungen schaffen.
Zum Engagement der Studierenden, die laut der Autorin keine Eigeninitiative zeigen, gäbe es auch jede Menge zu sagen. Ich halte mich kurz: Die Realität sieht anders aus. Die juristischen Fachschaften sind heute organisierter und besser vernetzt als je zuvor. Die Behauptung, studentische Partys würden nur noch extern organisiert, ist nicht nur unzutreffend, sondern in ihrer Pauschalität geradezu absurd.
Der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e. V. organisiert jährlich drei große Tagungen mit insgesamt rund 450 Vertreter:innen der jeweiligen Fachschaften – inklusive Unterkunft, Workshops und Abendprogramm. All das wird von Studierenden ehrenamtlich geplant und durchgeführt – ohne Bezahlung, mit stark begrenzten finanziellen Mitteln. Von mangelndem Engagement, trotz angeblich ausreichender Finanzierung, wie sie Gülbay-Peischard suggeriert, kann keine Rede sein (S. 187). Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.
Abbruchquote im Examensstudiengang viel höher
Auch ein paar Worte zur inhaltlichen Studienkritik möchte ich verlieren.
Das Jurastudium ist reformbedürftig – darin sind sich mittlerweile nicht nur die "faulen, lethargischen und handysüchtigen" Studierenden, sondern auch zentrale institutionelle Akteur:innen wie die Bundesrechtsanwaltskammer einig.
Und obwohl die Justizministerkonferenz offenbar weiterhin Berührungsängste mit dem Begriff "Reform" hat, arbeitet auch sie inzwischen eng mit Vertreter:innen des Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften (BRF), des Ausschusses zur Koordinierung der Juristenausbildung sowie des Deutschen Juristen-Fakultätentags e.V. an Konzepten zur Weiterentwicklung der juristischen Ausbildung zusammen.
Dass Reformen dringend notwendig sind, zeigen die Zahlen. Bereits 2018 warnte der Deutsche Richterbund: Bis 2030 werden deutschlandweit rund 40 Prozent der Jurist:innen aus dem Staatsdienst ausscheiden. Ein ähnlicher Trend zeichnet sich auch in der Anwaltschaft ab. Hinzu kommt: Anders als von Gülbay-Peischard suggeriert, sinken die Zahl der Jurastudierenden und die der erfolgreichen Absolvent:innen der ersten Prüfung seit Jahren kontinuierlich.
Die von der Autorin genannte "zu niedrige" Zwölf-Prozent-Abbruchquote im Erstbachelor ist in ihrer Argumentation schon gar nicht aussagekräftig. Ihre Anekdoten beziehen sich ausdrücklich auf Jurastudierende (vgl. S. 52, 98) – und die Abbruchquote im Staatsexamen ist mittlerweile auf 35 Prozent gestiegen, im Bachelor liegt sie bei 23 bis 25 Prozent.
Die Folgen treffen unseren Rechtsstaat bereits jetzt empfindlich: Bei den Staatsanwaltschaften stapeln sich aktuell rund 993.000 unerledigte Verfahren. Das verschlechtert das Vertrauen in unsere Justiz – bereits jetzt beklagen 82 Prozent der Deutschen, dass Gerichtsverfahren zu lange dauern.
Generationenbashing ist verantwortungslos
Gülbay-Peischard redet in ihrem Buch bewusst an den Problemen der Studierenden vorbei. Dass der Prüfungsstoff seit Jahrzehnten stetig anwächst, bleibt unerwähnt. Dass selbst renommierte Jurist:innen wie Kai Ambos offen über die psychische Belastung und traumatisierenden Strukturen der juristischen Ausbildung sprechen, ignoriert sie ebenfalls. Und dass nur ein Drittel der Absolvent:innen das Jurastudium weiterempfehlen würde, scheint für sie lediglich ein Beleg für die vermeintliche Lethargie einer ganzen Generation zu sein.
Gülbay-Peischard möchte provozieren – das gelingt ihr. Doch ihr Buch bleibt analytisch flach, argumentativ einseitig und verliert sich in Anekdoten, die weniger belegen als bestätigen sollen.
Besonders problematisch ist, dass sie dies auf dem Rücken derjenigen tut, von denen es längst zu wenige gibt: der Jurastudierenden. In einer Zeit, in der Justiz und Anwaltschaft unter massivem Nachwuchsmangel leiden, ist diese Form der Pauschalkritik nicht nur unangemessen, sondern verantwortungslos. Wer die dringende notwendige Debatte über die Zukunft der juristischen Ausbildung führen will, braucht differenzierte Analysen, keine Empörungsliteratur.
Karlo Wieseler studiert Rechtswissenschaften an der HU Berlin und engagiert sich im Vorstand des Bundesverbands der rechtswissenschaftlichen Fachschaften e. V. (BRF).
Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
Jurastudium
Verwandte Themen:- Jurastudium
- Buchrezension
- Studium
- Psychologie
Teilen