Mit Online-Gesetzen und KI-Korrektur

Die erste kom­p­lett digi­ta­li­sierte Jura­klausur Deut­sch­lands

von Mathilde HarenbergLesedauer: 4 Minuten

Pilotprojekt in Bielefeld: Die dortige Uni hat die erste vollständig digitalisierte Juraklausur Deutschlands schreiben lassen. Vor allem die Online-Gesetze haben den Prüflingen gefallen. Neu ist auch, dass Künstliche Intelligenzen korrigieren.

Das von Prof. Dr. Marie Herberger initiierte Pilotprojekt hat Studierenden im Rahmen einer Probeklausur zum Zwangsvollstreckungsrecht erstmals die Möglichkeit gegeben, eine volldigitalisierte Juraklausur zu schreiben. Der Unterschied zum E-Examen, das sich mittlerweile immer weiter durchsetzt: Die Prüflinge tippen ihre Falllösung nicht nur am PC, sondern greifen bei der Bearbeitung auf digitale Gesetzbücher zurück. Auch die Korrektur der Arbeit durch zwei verschiedene Künstliche Intelligenzen (KI) ist Neuland für das sonst ziemlich angestaubte Jurastudium.

Am vergangenen Montag, 16. Dezember 2024, lief der erste von mehreren geplanten Probedurchgängen. Um Prüfungstäuschung zu verhindern, gleichzeitig aber die neuen Funktionen zu erlauben, konnten die Studierenden während der Klausur per geteiltem Bildschirm ("Splitcreen") auf die Schreibsoftware und das daneben geöffnete Online-Gesetzbuch zugreifen. Herberger und ihr Team haben von den Prüflingen Evaluationsbögen ausfüllen lassen, aus denen sich schon jetzt ablesen lässt: Vor allem die Online-Gesetze kommen super an.

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Schwere Gesetzbücher adieu

Abgesehen von den inhaltlichen Herausforderungen im Jurastudium gibt es eine weitere, die den Alltag der Studierenden im wahrsten Sinne des Wortes erschwert: die Gesetzesbücher, allen voran der "Habersack". Diese "Ziegelsteine", wie sie von den Jurastudierenden oft genannt werden, sind nicht nur unhandlich und schwer, sie müssen auch regelmäßig aktualisiert und nachsortiert werden, was sehr zeitaufwendig und teuer sein kann. Das digitale Gesetzbuch "LexMea", das das Bielefelder Pilotprojekt verwendet, könnte als digitales Gesetzbuch damit bald Schluss machen.

Das Online-Gesetzbuch ermöglicht es Studierenden, eigene Anmerkungen und Notizen im Gesetzestext zu erstellen, Textstellen zu unterstreichen und zu markieren und klickbare Verweise auf andere Normen zu erstellen. Die Software wurde bereits seit einigen Monaten von Lehrenden an der Universität Bielefeld eingesetzt. Die Studierenden konnten sich vor der Klausur am Montag einen Lex-Mea-Account anlegen, sodass ihnen in der Klausur ihr "persönliches", mit den eigenen Annotationen und Markierungen versehenes Online-Gesetzbuch zur Verfügung stand. Die Prüfungssituation soll hierdurch moderner und praxisnäher werden, erhoffen sich Herberger und ihr Team.

Außerdem sollen die Normtexte dank ihrer digitalen Form täglich auf Aktualität überprüft und bei Gesetzesänderungen automatisch angepasst werden können. Die eigenen Anmerkungen, die die Studierenden in ihrem Account vorgenommen haben, sollen dabei so weit wie möglich übernommen werden. Dadurch würde das aufwendige Nachsortieren der Gesetzestexte und Übertragen von Annotationen obsolet.

Die Idee jedenfalls scheint super anzukommen: Laut Michael B. Strecker, Wiss. Mit. am Lehrstuhl von Prof. Dr. Thomas Wischmeyer für Öffentliches Recht und Recht der Digitalisierung an der Universität Bielefeld sowie Gründer und CEO von LexMea, gaben nach der Probeklausur 81,2 Prozent der Studierenden in der Evaluation an, dass das digitale Gesetzbuch das Nachschlagen und Auffinden von Gesetzen erheblich erleichtert habe.

Klausurkorrektur durch KI

Die Korrektur der Klausur wird natürlich auch durch menschliche Korrektor:innen geschehen. Parallel dazu testet das Pilotprojekt aber auch den Einsatz zwei KIen, konkret "DeepWrite" und "KlausurenKIste". Die drei Korrekturen (einmal menschlich, zweimal durch KI) bekommen die Studierenden im Anschluss zur Verfügung gestellt. Das Team um Herberger möchte dabei alle drei Korrekturen auswerten und miteinander vergleichen.

Die Idee dahinter: Durch Auswertung der Klausuren könnten sich nützliche interne Hinweise an die Korrektor:innen, ergänzende Verbesserungsvorschläge oder auch verdeckte menschliche Drittkorrekturen bei mehr als drei Punkten Differenz zwischen menschlicher und KI-Korrektur ergeben, so Strecker. Er betont aber auch, dass der Einsatz der KI bei der Korrektur von Juraklausuren am Anfang steht und sie sicher auf Limitationen treffen werde, etwa wenn Prüflinge alternative, von der Lösungsskizze abweichende Lösungswege wählen oder Auslegungsfragen oder Verhältnismäßigkeitsprüfungen unterschiedlich vornehmen.

Bei DeepWrite handelt es sich um ein Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter der Leitung von Prof. Dr. Urs Kramer an der Universität Passau. Die Software wurde bereits in einem von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg über die Virtuelle Hochschule Bayern (vhb) angebotenen Online-Klausurenkurs von Studierenden erprobt. Ziel des Projekts sind KI-basierte Assistenzsysteme, mit denen die Schreib- und Argumentationskompetenzen in den Fächern Jura und Wirtschaft gefördert werden sollen.

Bei KlausurenKIste handelt es sich um ein Start-up von Jurastudierenden der Universität zu Köln, welches das Ziel hat, sofort detailliertes Feedback zu Jura-Übungsklausuren zu geben.

Eine Korrekturassistenz durch KI könnte Klausuren möglicherweise objektiver und ausführlicher korrigieren – beides Punkte, die in der aktuellen Korrekturpraxis oft bemängelt werden. Dazu sammelt das Bielefelder Team aber noch weitere Daten.

Ein "Meilenstein in der juristischen Ausbildung"

Laut Initiatorin Herberger stellt die volldigitalisierte Probeklausur einen "Meilenstein in der digitalen Transformation der juristischen Ausbildung in Deutschland" dar. Die Studierenden trügen durch ihre Teilnahme aktiv zur "Gestaltung der digitalen Zukunft von Prüfungsumgebungen" bei.

Als Nächstes stehen laut Strecker volldigitalisierte Probeklausuren an der Universität Trier und Probeklausuren für Referendar:innen an. Er glaubt, dass die Digitalisierung der Hilfsmittel in Examensklausuren nur noch eine Frage der Zeit ist.

Insgesamt haben am Montag 30 Prüflinge an der Probeklausur teilgenommen. Besonders gut kamen auch die die Suchfunktion für Gesetzesnormen und die Möglichkeit an, das Gesetz mit eigenen Annotationen zu versehen (was im Examen in Nordrhein-Westfalen allerdings nicht zugelassen ist).

Die Prüflinge konnten auch Vorschläge machen, welche zusätzlichen Funktionen sie sich noch wünschen. Diese sollen laut Strecker nun entwickelt und in der nächsten Probeklausur getestet werden.

Über die Ergebnisse der Evaluation will die Universität Bielefeld anschließend diskutieren, um "zukünftige Standards für digitale Examensprüfungen zu definieren". Außerdem sollen die Ergebnisse laut Strecker mit den Landesjustizprüfungsämtern mehrerer Bundesländer geteilt werden, damit diese quantitative Daten zum konkreten Bedarf der Studierenden und Referendar:innen erhalten.

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