Vorlesung in einem Hörsaal mit Laptops
Künstliche Intelligenz in der juristischen Lehre

Wie weit wir in Deut­sch­land sind

von Ass. iur. Diana Liebenau, LL.M. (Harvard)2025 M06 12, Lesedauer: 7 Minuten

Künstliche Intelligenz ist überall ein Thema, im Jurastudium kommt derzeit aber noch wenig an. Welche Angebote die Unis bisher machen, warum insbesondere Jurastudierende noch zögerlich sind und wohin die Reise perspektivisch geht, skizziert Diana Liebenau.

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde, aber noch nicht unbedingt ins Jurastudium vorgedrungen. Studierende sind weitgehend auf sich allein gestellt: Die auf deutsche Jurist:innen spezialisierten Produkte der Verlage wie "Frag den Grüneberg" sind nicht über die Universitätsbibliotheken nutzbar, sondern liegen hinter einer Paywall.

Immerhin: Für manchen Studierenden hat ChatGPT das erste Googlen für die Hausarbeit ersetzt. Andere wiederum winken gleich desinteressiert ab. KI? Doch bloße Spielerei, solange sie nicht den Fräsmaschinenfall als Versatzstück in der Hausarbeit erkennt und schulmäßig durchgliedern kann.

Mittlerweile wichtige Tools aus der Praxis, eingesetzt etwa für Vertragsüberprüfung oder Schriftsatzmuster, spielen im Studium keine Rolle, denn im Examen werden komplexe Fälle gelöst und keine Verträge verglichen oder Standardschriftsätze herausgehauen. Nach der ersten Euphorie sind die Studierenden im Tal der Ernüchterung angekommen.

Da stellt sich die Frage: Wie weit sind wir mit der KI im deutschen Jurastudium?

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Vorlesungen über KI: Anfänge

Die meisten Jura-Fakultäten haben das Thema KI in der Lehre mit Vortragsreihen erschlossen. An der Universität Bayreuth etwa geben Professor:innen Beispiele, wie man mithilfe von KI Prüfungsgespräche simulieren oder für die Hausarbeit recherchieren kann.

Andere Fakultäten holen sich Expert:innen ins Boot. An der LMU München beispielsweise stellen Praktiker:innen die Stärken und Schwächen verschiedener KIen für juristisches Arbeiten vor und geben Tipps zum Prompt Engineering.

Wer die Druckbetankung mit Praxisbezug bevorzugt, kann an der Bucerius Law School in fünf Stunden für 699 Euro im Rahmen von "Executive Education" den "ersten Online-Kurs, der Jurist:innen auf das Zeitalter der künstlichen Intelligenz vorbereitet", absolvieren.

Vorlesungen mit KI: Pilotprojekte für juristische Co-Piloten

Mittlerweile haben sich auch Pilotprojekte herausgebildet, die KI in juristische Lehrveranstaltungen als solche integrieren. Abgebildet wird die juristische Lehre in allen Phasen:

Lehrveranstaltungen vor- und nachbereiten kann man etwa an der LMU München mit "OneTutor". Diese KI generiert ein von den Lehrenden kuratiertes Quiz und erlaubt es, beispielsweise über den Grundkurs Strafrecht, mit einem Bot zu chatten. Die KI verweist mittels eines "Retrieval-Augmented Generation (RAG)"-Systems auf Lehrmaterialien der entsprechenden Veranstaltung: Vorlesungsskript, Powerpoint-Folien, Lösungsskizzen, Podcasts. Eine Hausarbeit im Familienrecht unter Einsatz der juris-KI wird demnächst an der Universität Bielefeld angeboten. Ebenfalls an der Universität Bielefeld – und auch an der FAU Erlangen-Nürnberg – wurden schon einzelne Klausuren mit KI korrigiert, etwa mit der an der Universität Passau entwickelten KI "Deepwrite". Die KI wird neben dem menschlichen Korrektor eingesetzt. Sie schreibt mehr als "Schwerpunktsetzung!", "Unvertretbar!" und "Eine Klausur mit Licht und Schatten, insgesamt 6 Punkte", bleibt aber repetitiv. Bei Abweichungen von der Lösungsskizze gerät sie außer Bahn.

Noch Science Fiction ist "Agentic AI" in der deutschen Jura-Lehre – die Idee, dass man einen "Digital Twin" der Lehrperson erschafft, der Fragen zur Vorlesung selbstständig beantwortet. Im Ausland hat man offenbar weniger persönlichkeitsrechtliche Bedenken, seinen digitalen Zwilling für sich selbst sprechen (halluzinieren?) zu lassen.

CopyrightX: KI für die Abschlussarbeit ausdrücklich erlaubt

Ich selbst leite auch einen Kurs, in dem ein KI-Tool zum Einsatz kommt. Es ist sogar als Hilfsmittel für die Abschlusshausarbeit zugelassen – mit teils überraschenden Ergebnissen. Der Kurs heißt "CopyrightX: Comparing U.S. and European Copyright Law and Policy" und ist in ein weltweites Netzwerk eingebettet, das Professor Fisher an der Harvard Law School initiiert hat. Es geht um amerikanisches Urheberrecht und Rechtsvergleichung – auf Englisch.

Statt Gutachtenstil geht es um case law method und das Entwickeln rechtsphilosophischer Positionen zum Urheberrecht. Allerdings könnte der Einsatz von KI in diesem Kurs beispielhaft auch in Deutschland sein. Denn Die KI "Prof. Fisher’s IP Theory Chatbot" ist ein "Custom GPT", der auf GPT-4 und "Reinforcement Learning from Human Feedback" (RLHF) beruht.

Das bedeutet: Menschliche Annotator:innen betrieben "Finetuning", während das "normale ChatGPT" mit einer Bibliografie von Aufsätzen im Geistigen Eigentum gefüttert wurde. Herausgekommen ist eine KI, die urheberrechtliche Rechtfertigungstheorien jonglieren kann und insbesondere eine von Professor Fisher begründete "Cultural Theory of Copyright" referiert (und hinterfragt).

Zwei KI-Modelle mit unterschiedlichen Stärken

Im deutschen Rechtsmarkt dominieren die RAG- anstelle der reinen RLHF-Modelle. RAG-Modelle versuchen, Halluzinationen zu vermeiden und konkrete Quellen transparent zu machen, sind aber nur so gut wie ihr Korpus und weniger "verständig".

Beispiel: Ein RAG-Modell würde besser eine Frage beantworten können wie "Was vertritt Professor Fisher in Bezug auf den 1. Fair-Use-Faktor?", während ein RLHF-Modell erstaunlich gut die Frage beantworten kann "How do personality and cultural theory interact in indigenous knowledge protection?". RLHF synthetisiert besser, halluziniert jedoch insbesondere Quellenangaben und reflektiert die Biases der menschlichen Annotator:innen.

Das weltweite juristische KI-Experiment in CopyrightX zeigt, dass selbst kostengünstige, low-tech Custom RLHF-Modelle in den Grundlagenfächern erstaunliche Ergebnisse erzielen und eine kreative Beschäftigung mit den normativen Grundlagen eines Rechtsgebiets anregen können.

Zusatzangebote für Technikmuffel

Die meisten deutschen Jurastudierenden dürften den Unterschied zwischen RAG und RLHF gar nicht kennen. Überhaupt waren sie in der Abschlussbefragung zum CopyrightX-Projekt zurückhaltend: Knapp ein Drittel nutzte die KI nicht, die anderen nur punktuell. Die Essay-Wahlaufgabe, mit dem Chatbot ein kritisches Gespräch zu führen und zu kommentieren, wählten nur die wenigsten. Die Hälfte der Teilnehmer gab an, nicht zu wissen, was Prompt Engineering sei; ein weiteres Viertel, dass sie zwar wisse, was das sei, sie Prompt Engineering aber nicht eingesetzt hätten.

Der Einsatz des KI-Tools im Kurs war ein freiwilliges Zusatzangebot. Die Zurückhaltung der Studierenden zeigt vielleicht auch, wie technikskeptisch deutsche Jurastudierende sind. Sie sind weniger versiert und experimentierfreudig als die Studierenden anderer Disziplinen, wie sich in meinem Kurs mit interdisziplinärer Teilnehmerschaft zeigte. Wer meint, man lerne KI später "on the job" ganz einfach nebenbei, sollte hellhörig werden.

Daraus lässt sich mitnehmen: KI-Modelle fürs deutsche Jurastudium müssen zugänglich sein, denn es sind durchaus Berührungsängste da – nicht nur gegenüber der KI, sondern auch dem Umgang mit ihr.

Verbot oder Kennzeichnung?

Das erste große Thema: Prüfungsrecht und Wissenschaftsethik. Ist das Abschreiben von der KI ein Plagiat und – wie man in Bayern sagt – ein Unterschleif?

"In dubio contra artificialem intelligentiam" war die anfängliche Reaktion der Universitäten. Erste verwaltungsgerichtliche Entscheidungen sichern dies sogar mit Anscheinsbeweis ab, allerdings im für das Jurastudium wenig relevanten Genre des Bewerbungsessays.

Statt anfänglicher Verbote geht der Trend aber mittlerweile zu Kennzeichnungspflichten für Seminar- und Hausarbeiten. Studien- und Prüfungsordnungen der Universitäten müssen geändert werden. Es ist bezeichnend, dass man (wohl noch) keine "KI-Richtlinien" der juristischen Fakultäten offen im Netz findet. Stattdessen wird so etwas im Leitfaden der jeweiligen Veranstaltung kommuniziert. Manche Dozent:innen sind offener für KI als andere. Sollte es nicht einheitliche Standards geben?

Meine These: Wenn eine Haus- oder Seminararbeit eine "wissenschaftliche Arbeit" sein soll, dann muss sie wissenschaftlichen Standards entsprechen – und diese Standards bewegen sich in Richtung Öffnung für KI bei entsprechender Kennzeichnung. Das wäre auch kein Dammbruch, vor dem viele KI-Skeptiker warnen: In der Klausur, die andere Lernziele verfolgt als eine Haus- oder Seminararbeit, bliebe es beim KI-Verbot.

Werkzeug oder Hiwi – KI wie einen Autor zitieren?

Wie ebenfalls in der Abschlussbefragung herauskam, wünschen sich die Jurastudierenden klare Anweisungen. Sie wissen, dass sie voll verantwortlich für den Inhalt ihrer Arbeit sind, und müssen die Richtigkeit prüfen. Was konkret sollen sie also "kennzeichnen"?

Was bringt zum Beispiel eine globale Kennzeichnungspflicht ("Für die Erstellung der Hausarbeit wurde GPT-4o genutzt"), wenn die KI-Antwort nicht reproduzierbar ist? Und wer hat Zeit, als Korrektor:in einen umfangreichen Anhang mit ChatGPT-Gesprächen zu durchforsten?

In den USA ist der Ausgangspunkt ein anderer. Studierende werden auf eine academic honesty policy eingeschworen. Professor Fisher von der Harvard Law School ging in den Prüfungsanweisungen für CopyrightX einen speziellen Weg: Studierende sollten selbst Paraphrasen (!) von Inhalten aus der KI einzeln kennzeichnen. Damit wurde ChatGPT einem menschlichen Autoren angenähert.

Ist die Grenze also so zu ziehen wie bei dem Hiwi, der ein Memo schreibt, aus dem man sich bedient – credit where credit is due? Dann wäre die KI nicht ein bloßes Hilfsmittel, aus dem man munter kompilieren kann, solange man Fußnoten auf externe Quellen setzt.

Folgefrage: Müssen inhaltlich die Prüfungsanforderungen steigen, wenn der Einsatz des ChatGPT-Hiwis selbstverständlich wird? Eine Lösung könnte sein, nur persönlich zu erbringende Leistungen aufzuwerten und formale Leistungen abzuwerten. Heißt konkret: mehr mündliche (Gruppen-)Prüfungen im Jurastudium und eine Bewertung für Zitierweise, Literaturverzeichnis-Fleißarbeit und fehlerfreie Sprache ausblenden. Als Reaktion auf KI muss das notorisch anonyme Jurastudium persönlicher werden.

Datenschutz- und urheberrechtskonform geht die Welt zugrunde

Das zweite große Thema: Datenschutz- und Urheberrecht. Kann man Produkte des amerikanischen Datenkapitalismus in der deutschen Jura-Lehre einsetzen oder müssen wir datenschutzkonform das Rad neu erfinden auf Kosten von Schnelligkeit und Usability? Das Training von KIen mit urheberrechtlich geschützten Werken ist eine der umstrittensten urheberrechtlichen Fragen überhaupt. Bei KI in der Lehre spielt das natürlich eine Rolle, auch wenn gerichtliche Entscheidungen und Rechtsnormen gemeinfrei sind. Denn Aufsätze, Vorlesungsunterlagen, Klausuren und Falllösungen sind es nicht.

Zu diesen – und weiteren Fragen der KI-Regulierung – wird intensiv geforscht. Hier tut sich wieder ein Graben zwischen Forschung und Lehre auf: Bisher werden die juristischen Co-Piloten eher für die Lehre im Grundstudium eingesetzt, aber nicht in den relevanten Schwerpunktbereichen.

KI muss im deutschen Jurastudium endlich ankommen

Wir halten fest: Es gibt spannende Projekte an deutschen Jura-Fakultäten, die KI in der Lehre einsetzen. Als Jurist:innen müssen wir aber mehr über den Einsatz in der Lehre sprechen und nicht Verantwortung auslagern nach dem Motto: Sollen doch die Bibliotheken und Informatikzentren den Studierenden KI beibringen.

Allein lassen sollte man die Studierenden dabei nicht: Einer aktuellen Studie zufolge sind gerade Deutsche besonders unkritisch mit KI-Output. Die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, zwischen Forschung und Lehre und zwischen privater und beruflicher Nutzung in Bezug auf KI sollte sich nicht vergrößern. Es wird Zeit, dass KI auch im deutschen Jurastudium endlich als Thema ankommt.

Ass. jur. Diana Liebenau, LL.M. (Harvard) ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Recht des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie unterrichtet den Kurs „CopyrightX: Comparing U.S. and European Copyright Law and Policy“ und wurde dafür im Juli 2024 mit dem Lehrinnovationspreis der LMU München ausgezeichnet.

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