Diskussion mit NRW-Justizminister über Zukunft der Rechtswissenschaften

"Weg vom Examen heu­tiger Statur"

von Pauline DietrichLesedauer: 4 Minuten

Bei einer Diskussion unter Jurastudierenden über die Zukunft von Juristen in Europa ging es vor allem um Digitalisierung. Dabei war auch der NRW-Justizminister, der Reformwillen in Bezug auf das Jurastudium zeigte.

"Ich glaube, dass die heutige Generation (der Jurastudierenden; Anm. d. Red.) weiß, was sie will. Sie fordert uns heraus". So eröffnete der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) Peter Biesenbach die Diskussionsrunde zum Thema "Meine Zukunft als Jurist/in in Europa – Was den juristischen Nachwuchs aus Frankreich, Polen und Deutschland bewegt".

Die Diskussion fand am vergangenen Montag in den Räumlichkeiten des Oberlandesgerichts (OLG) Köln statt. Auf dem Podium standen dort erstmals Jurastudierende. Die sechs jungen Männer und Frauen unterschiedlicher Nationalitäten diskutierten anlässlich der Feierlichkeit rund um das 30. Jubiläum des " Weimarer Dreiecks ". Dieses bietet seit seiner Gründung im Jahr 1991 ein trilaterales Forum zum Austausch zwischen Deutschland, Polen und Frankreich über grenzüberschreitende und europapolitische Themen. Zurückzuführen ist es auf ein damaliges Treffen der Außenminister der drei Nationen in Weimar. Diese strebten an, die gemeinsamen Grundinteressen für die Zukunft Europas zu identifizieren und die Zusammenarbeit voranzutreiben.

Was die Umsetzung dieser Idee anbelangt, sah der ebenfalls anwesende NRW-Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten Dr. Stephan Holthoff-Pförtner noch deutlich Luft nach oben, wie aus seinem Eingangsstatement zu entnehmen ist. "Wir sind von der Umsetzung der Idee weiter weg als vor 30 Jahren – wir driften auseinander", so Holthoff-Pförtner. Die "Riesenchance", die das ändern könnte, sei die Digitalisierung. Sie helfe, Kontakte zu halten und den Meinungsaustausch zu stärken.

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Die Online-Lehre nach Corona

Dass dies auch auf das Hochschulleben zutrifft, unterstrich die Kölner Hochschullehrerin und Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs NRW Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb. Die Digitalisierung ermögliche eine Internationalisierung – vorausgesetzt, die technische Ausrüstung werde besser. "Es kann nicht sein, dass in einer Universität Wien jeder Hörsaal ein hybrides Unterrichten ermöglicht und in Köln de facto keiner", so Dauner-Lieb.

Dass die Digitalisierung natürlich auch die zukünftige Generation der Juristinnen und Juristen beschäftigt, zeigte die nachfolgende knapp 60-minütige Diskussion der sechs Studierenden aus Frankreich, Polen und Deutschland. So sieht Svea Totzke, Jurastudentin an der Uni Köln, die Digitalisierung als Chance an, das oft als "altmodisch" angesehene Jurastudium wieder ansprechender zu machen.

Dass die Akzeptanz und der Erfolg der Online-Lehre auch vom Lerntyp der Jurastudierenden abhängt, wurde in der Diskussion zwar deutlich. Die Diskutierenden unterschieden aber ausdrücklich zwischen der Online-Lehre zu Corona-Zeiten, die je nach Uni mehr oder weniger gut umgesetzt wurde, und einer möglichen Online-Lehre in der Zukunft, die auf einem gut geplanten Konzept etabliert wird.

Online-Lehre zur Corona-Zeit "ziemlich unmöglich"

So zog Jurastudent Raphael Neidhardt in Bezug auf die Corona-Pandemie den Vergleich zu Frankreich, wo bereits fast alle Lehrenden zu reinem Präsenzunterricht zurückgekehrt seien - und dies für ihn auch aus nachvollziehbaren Gründen. Die Online-Lehre zu Corona-Zeiten war für ihn "ziemlich unmöglich". Für die Zukunft kann er sich zwar hybride Unterrichtsmöglichkeiten vorstellen - "es muss aber auch funktionieren", forderte Neidhardt. Auch die französische Jurastudentin Adèle Mandaroux-Colin unterstrich, dass sie vor allem im Auslandsaufenthalt in Deutschland während der Pandemie eher schlechte Erfahrungen mit der reinen Online-Lehre gemacht habe.

Unter dem Stichwort "Legal Tech" bewerteten die jungen Juristinnen und Juristen die Zukunft der Rechtswissenschaften überraschend eher positiv. So sagte der Jurastudent Damon Pourzand, dass seiner Meinung nach die Digitalisierung im Studium und juristischem Arbeitsleben eigentlich abgeschlossen ist und es nur noch um deren "Finalisierung" gehe. "Die Computer funktionieren, die Kommunikation funktioniert und alles und jeder ist immer überall erreichbar – das ist die Errungenschaft, die für mich charakterisierend ist", so Pourzand. Deshalb mache er sich um die Zukunft in dieser Hinsicht auch keine Sorgen. Unabdingbar sei es aber, dass auch jeder mit Computern arbeiten kann. Pourzands Kollege Robert Obrzud, der bereits in Polen als Anwalt praktiziert, sieht das auch so und vor allem die Rechtsanwaltskammern in der Verantwortung, die ältere Generation der Juristinnen und Juristen zu schulen und zu unterstützen.

Justizminister: "KI wird den Anwaltsberuf überrollen"

Dass die juristische Arbeit in Zukunft von "Robo-Lawyern" übernommen wird, befürchten die Nachwuchsjuristinnen und -juristen dagegen nicht. So bringt der polnische Jurastudent und Doktorand Alexander Gadomski zur Sprache, dass es bei der anwaltlichen Tätigkeit auch viel auf Überzeugungsarbeit und Rhetorik ankomme und eine Künstliche Intelligenz (KI) dies nicht leisten könne. "Die Digitalisierung empfinde ich eher als ein Hilfsmittel", so Gadomski. So prognostiziert auch Totzke die zukünftige Bedeutung von Legal Tech und sieht es nicht kommen, dass die Arbeit eines Anwalts obsolet wird. "Eine Maschine ist immer nur so gut, wie der Mensch, der sie programmiert hat".

Dass die junge Generation das anders sieht als die ältere, zeigte das Abschluss-Statement des NRW-Justizministers. Seiner Auffassung nach kann man noch nicht ahnen, was die Digitalisierung im Bereich der Rechtswissenschaften noch bringen wird. Aus seiner Sicht "wird KI den Anwaltsberuf überrollen. Meiner Vermutung nach werden wir künftig deutlich weniger Anwälte brauchen", so Biesenbach.

"Wir müssen weg vom Examen heutiger Statur"

Interessante Hinweise gab Biesenbach bei der Verabschiedung der Podiumsgäste hinsichtlich der Zukunft des Jurastudiums. So kündigt er an, dass ein Entwurf des Juristenausbildungsgesetzes (JAG) NRW im nächsten Rechtsausschuss diskutiert werde.

"Wir müssen weg vom Examen heutiger Statur", sagte Biesenbach und spielte dabei auf die Auswüchse der bisherigen Juristenausbildung an, eher "abfragbares Wissen aufs Papier zu bringen" anstatt Fälle und Sachverhalte wirklich zu durchdringen. Dass sich trotz offensichtlichen Bedarfs hier noch nichts getan hat, liegt laut Biesenbach an fehlenden Mitstreitern – damit meint er wohl aus anderen Bundesländern. Des Weiteren spricht er sich dafür aus, im Ersten Examen Kommentare zuzulassen.

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