Referendare üben bald mit Manni Maulwurf
Wieso antwortet der Zeuge immer nur mit Ja oder Nein – wie soll ich denn da weiterkommen, ist das meine Schuld? Was passiert, wenn er oder sie durchdreht und ich den Notfallknopf drücken muss? Und wie spult man eigentlich dieses Diktiergerät zurück? Das größte Kopfzerbrechen im Referendariat und nach dem Berufseinstieg als Richter:in bereitet nicht immer das Lernpensum oder der Zeitdruck, sondern die vermeintlich ganz banalen Dinge.
Und wie bekommt man diese Ängste in den Griff? Durch Übung – nur wie? Ständig Freund:innen sämtliche nicht vorhandenen Schauspielleistungen abverlangen und Gerichtsverhandlungen nachspielen? in Niedersachsen funktioniert das künftig mit Virtual Reality (VR) und der App CourtnAI, einem Projekt des dortigen Justizministeriums. Dahinter steckt ein Zeugenavatar, den man durch eine VR-Brille sieht und den man befragen kann – und der auch antwortet.
Setzt man die VR-Brille auf, findet man sich erst einmal in einem Luxushotel in den Bergen wieder, samt Pool. Oder in einer Art Lounge, wenn man sich umdreht, sieht man eine Dartscheibe. Das Ganze ist so verwirrend real, dass man am liebsten hinlaufen und testen würde, ob man da wirklich Dart spielen kann. Das wäre aber ungünstig, schließlich sitzt man immer noch mitten im Justizministerium in Hannover an einem Tisch und würde gnadenlos auf die Nase fallen. Mit den Fernbedienungen, die man ähnlich wie zwei Joysticks in den Händen hält, kann man dann auf die App namens CourtnAI drücken – und sitzt schließlich im Amtsgericht Hannover, wahlweise in einem Gerichtssaal für Strafverhandlungen samt StPO-Kommentar auf dem Pult oder in einem etwas nüchternen Saal für Zivilsachen. Gegenüber sitzt der Zeuge Manni Maulwurf, rechts und links die anderen Prozessbeteiligten. Und mit einem Klick aufs Mikrofon geht es los: Man kann Manni Maulwurf alles fragen, was man eben bei der Zeugenvernehmung fragen will. Er antwortet. Später gibt es Feedback, ebenfalls durch die dahinterstehende Künstliche Intelligenz (KI).
"Gutes Trainingswerkzeug auch für Berufseinsteiger"
Hinter CourtnAI steht eine Projektgruppe rund um Gesine Irskens, Richterin und als Referatsteilleiterin im Niedersächsischen Justizministerium für den Einsatz von KI und Legal Tech zuständig. Zusammen mit einer Kerngruppe aus drei Assessor:innen und drei Referendar:innen sowie einer weiteren Gruppe für Testungen und Feedback arbeitet Irskens seit rund einem Jahr an dem Projekt: "Als ich einen Aufruf zur Mitarbeit am Projekt gestartet habe, haben sich weit mehr Personen als möglich gemeldet, um mitmachen zu können", erzählt Irskens bei einem Treffen mit LTO im niedersächsischen Justizministerium.
Bereits im Spätsommer 2024 hat sich die Projektgruppe zum ersten Anwendungsworkshop getroffen – dass so schnell Ideen umgesetzt werden, die der Verbesserung der Jurist:innenausbildung dienen, hört man nicht häufig. Von Anfang an konnte Irskens dabei auf die positive Resonanz der Oberlandesgerichte setzen, die letztendlich für die Ausbildung der Referendar:innen zuständig sind und damit am Zuge, den Zeugensimulatur in Zukunft auch einzusetzen.
Der Prototyp der virtuellen Zeugenvernehmung geht auf Prof. Dr. Simon Johannes Heetkamp von der TH Köln zurück. Heetkamp selbst kam die Idee für den Zeugensimulator im Jahr 2023, sie sei schnell umgesetzt gewesen. "Ich weiß von vielen Kolleginnen und Kollegen, dass sie das juristische Studium als sehr theorielastig erleben. Im Referendariat hat man dann den gewünschten Praxisbezug. Aber auch in der Zivilstation haben nicht alle Referendarinnen und Referendare die Möglichkeit, Zeugen tatsächlich zu befragen", so Heetkamp zu LTO. Der Zeugensimulator sei deshalb ein gutes Trainingswerkzeug, auch für Berufseinsteigerinnen und -einsteiger. "Die Zeugenvernehmung ist einerseits das häufigste Beweismittel, aber andererseits auch am schwierigsten zu üben", weiß auch Assessorin Laura Hannawald vom Amtsgericht Hannover und Teil der Projektgruppe. CourtnAI soll das ändern. Die Vorentwicklungen von Heetkamp hat die Gruppe aufgegriffen, um den Anwendungsbereich der Zeugenvernehmung zu erweitern und letztendlich praxistauglich und so real wie möglich zu gestalten.
Lieber einen beleidigenden oder einen introvertierten Zeugen?
Aber mit CourtnAI sollen Referendar:innen nicht nur Zeugen vernehmen können. Besonders attraktiv dürfte es für sie sein, wenn sie eines Tages mit CourtnAI eine mündliche Prüfung für das Zweite Staatsexamen simulieren könnten. Das ist langfristig der Plan. "Hier sind wir aber noch nicht so weit, wir konzentrieren uns erst einmal auf die Zeugenvernehmung und auch auf die Simulation einer ganzen mündlichen Verhandlung", erklärt Hannawald. Dass die Projektgruppe aus Referendar:innen und Assessor:innen besteht und deshalb besonders nah an den Problemen ist, die Prüflinge haben, zeigt sich auch hier: "Wir wollen dann zum Beispiel auch ermöglichen, bereits den Weg zum Prüfungsraum virtuell ablaufen zu können, das war der Projektgruppe besonders wichtig", so Irskens. Eine weitere Anwendungsstufe soll schließlich die Simulation einer Mediation sein.
Zunächst steht im März erst einmal ein großer weiterer Entwicklungsschritt an, an dem der Dienstleister, die World of VR GmbH, zurzeit arbeitet. Beispielsweise soll der Zeugenavatar Emotionen zeigen – plötzlich können die Referendar:innen also auf pöbelnde und beleidigende Zeug:innen treffen oder auch auf ganz introvertierte, denen man jeden Satz aus der Nase ziehen muss. Den Avatar kann man sich mit den passenden Eigenschaften zusammenstellen, wie bei "Die Sims" sieht das dann aus.
Oder die Anklageschrift kann in der VR-Brille eingeblendet werden, man muss sie nicht mehr zwingend auf Papier daneben liegen haben. Auch eine Auswahl zwischen verschiedenen Schwierigkeitsgeraden der Fälle soll möglich werden. "Noch braucht man ein bisschen Weitsicht, um sich vorstellen zu können, wie real und hilfreich die virtuelle Zeugenvernehmung eines Tages sein wird. Wir sind ja auch noch ganz am Anfang – man setzt nicht die VR-Brille auf und denkt, man ist in GTA VI. Aber das ist auch nicht die Erwartungshaltung", so Referendar Ivo Manthei, der ebenfalls Teil des Projekts ist.
Referendare sollen nicht alleingelassen werden
Für das niedersächsische Justizministerium könnte CourtnAI natürlich auch ein großer Pluspunkt sein, wenn es um den Kampf der Bundesländer um die immer weniger werdenden Referendar:innen und Berufseinsteigenden geht. "Das Projekt hat das Potential, die Aus- und Fortbildung unserer Nachwuchskräfte auf ein neues Niveau zu heben", so Niedersachsens Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann zur LTO. "Uns ist es ernst mit der Digitalisierung unserer Justiz. Ich blicke daher mit größter Spannung auf die Ergebnisse dieses innovativen Projektes."
Aber wo soll das Projekt langfristig hingehen? Soll wirklich jeder Referendar, jede Assessorin mittels CourtnAI Zeugenvernehmungen üben? Oder soll sogar jede Staatsanwältin und jeder Richter in Niedersachsen vor einer Gerichtsverhandlung mit der KI im heimischen Wohnzimmer schonmal üben können, wie die Zeug:innen befragt werden? Warum nicht, das wird vielleicht eines Tages möglich sein.
Ein Problem ist aktuell noch, genügend VR-Brillen zu beschaffen, weil die Vergabeverfahren so lange dauern. Eine Anwendungsmöglichkeit ohne VR-Brille hat die Projektgruppe allerdings auch schon auf dem Schirm. "Für erfahrenere Richter könnte es sich künftig auch anbieten, mit CourtnAI die Vernehmung von Kindern zu üben", führt Irskens an. In der Realität ist das aus ethischen Gründen nicht möglich. "Außerdem müssen wir uns noch überlegen, wie genau wir CourtnAI in die Ausbildung einbinden können. Schließlich sollen die Referendarinnen und Referendare auch nicht damit alleingelassen werden, wir brauchen engagierte Ausbilderinnen und Ausbilder, die das unterstützen". Auf der anderen Seite müssten aber auch die Referendarinnen und Referendare offen dafür sein, mal etwas Neues in ihrer Ausbildung auszuprobieren, ergänzt Manthei.
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2025 M03 1
Referendariat
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