Pleite für Rechtsreferendar vor dem OVG Hamburg

Corona-Son­der­zah­lungen auf Unter­halts­bei­hilfe anre­chenbar

von Paula BinderLesedauer: 5 Minuten

Ein Rechtsreferendar aus Hamburg hatte sich gegen die Anrechnung einer Corona-Sonderzahlung auf die Unterhaltsbeihilfe gewehrt. Die Entscheidung des OVG dürfte nicht nur aus finanzieller, sondern auch aus juristischer Sicht interessant sein. 

Corona-Sonderzahlungen können auf die Unterhaltsbeihilfe von Rechtsreferendaren angerechnet werden. Das entschied der 5. Senat des Hamburgischen Oberverwaltungsgericht (OVG) (Beschl. v. 28.10.2022, Az. 5 Bf 184/21.Z).

Geklagt hatte ein Rechtsreferendar aus Hamburg. Seit dem 2. Juni 2020 befand er sich als solcher bei dem Land in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis und erhielt hierfür eine monatliche Unterhaltsbeihilfe. Neben dem Referendariat arbeitete er als juristischer Mitarbeiter ebenfalls seit Juni 2020 für ein monatliches Bruttogehalt von 700 Euro für eine Anwaltskanzlei. Im Juli 2020 erhielt er zusätzlich eine einmalige Corona-Sonderzahlung in Höhe von 1.500 Euro. Dabei handelte es sich laut eines Schreibens der Kanzlei um eine steuerfreie Unterstützung zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die Corona-Krise gemäß den Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 9. April 2020.

Diese Corona-Sonderzahlung rechnete das Land auf die Unterhaltsbeihilfe in der nach § 3 der Verordnung über die Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare (UnterhaltsbeihilfeVO) vorgegebenen Weise an. Demnach wird eine Vergütung aus einer anderen Tätigkeit als dem Referendariat zur Hälfte auf die Unterhaltsbeihilfe angerechnet, wenn sie 510 Euro im Monat überschreitet. Konkret bedeutet das für Rechtsreferendare: Je mehr sie in einer Nebentätigkeit verdienen, desto weniger wird die Unterhaltsbeihilfe. Der Referendar wehrte sich nun dagegen, dass neben seiner üblichen Vergütung bei der Kanzlei auch die Corona-Sonderzahlung angerechnet wird.

Das hiergegen gerichtete Widerspruchsverfahren blieb jedoch erfolglos. Auch die daraufhin eingelegte Klage des Referendars vor dem Verwaltungsgericht (VG) Hamburg wurde zurückgewiesen. Die Corona-Sonderzahlung stellte nach Ansicht des VG eine Vergütung für eine Nebentätigkeit i.S.d. § 3 Abs. 1 UnterhaltsbeihilfeVO dar. Die Vorschrift sei weit auszulegen und umfasse alle Leistungen, die vom Nebentätigkeits-Arbeitgeber an den Referendar in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer geleistet würden.

Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das OVG nun ab. 

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"Gegenleistung" müsse Verbindung zum Arbeitsverhältnis haben

Der klagende Referandar hatte zunächst mit dem Wortlaut argumentiert und geltend gemacht, das VG habe bei der Auslegung der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 1 UnterhaltsbeihilfeVO die Wortlautgrenze überschritten. Unter einer "Gegenleistung" verstehe man eine Leistung, die als Ausgleich für eine erbrachte oder erwartete Leistung erwartet werde. Von dem Begriff nicht erfasst seien damit Vorteile, die der Referendar nicht als Kompensation für die von ihm erbrachte Arbeitsleistung erhalte. Das VG hingegen sei sogar so weit gegangen, dass der erlangte Vorteil nur "in einer Verbindung zum Arbeitsverhältnis im Allgemeinen" stehen müsse. Diese Auslegung überschreite die Wortlautgrenze. Denn wenn bereits eine beliebige Verbindung des Vorteils mit dem Arbeitsverhältnis ausreiche, werde der Sinngehalt des in der Vorschrift verwendeten Begriffs der Gegenleistung vollständig entleert.

Das sah das OVG anders - und bekräftigte die Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts.

Die Klarstellung des § 3 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 UnterhaltsbeihilfeVO, wonach die Vergütung "jede Gegenleistung in Geld oder geldwerten Vorteile umfasst, auch wenn kein Rechtsanspruch auf sie besteht", spreche auch aus Sicht des OVG für eine weite Auslegung des Begriffs der Gegenleistung - und eben gegen die Annahme eines strengen synallagmatischen Verhältnisses. Denn mit dem Zusatz, dass auf die Gegenleistung kein Rechtsanspruch bestehen muss, dürfte der Verordnungsgeber gerade bezweckt haben, auch solche Leistungen und geldwerten Vorteile des Arbeitgebers von der Anrechnungsregel zu erfassen, zu denen dieser sich vertraglich nicht verpflichtet hat - die aber gleichwohl in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis stehen. Wie eben eine Corona-Sonderzahlung.

Ausbildung nicht zugunsten von Nebenjobs vernachlässigen

Das VG hatte zudem mit der teleologischen Auslegung argumentiert, dass die Vorschrift die Erreichung des Ausbildungszieles schützen solle und die "Gegenleistung" daher entsprechend weit auszulegen sei. Eine hohe Vergütung für die Nebentätigkeit könne nämlich dazu führen, dass Referendarinnen und Referendare aufgrund eines gesteigerten Loyalitätsgefühls zu ihrem Nebentätigkeits-Arbeitgeber Zeit und Arbeitskraft in die Nebentätigkeit in einem Maße investieren, das die Erreichung der Ausbildungsziele des Vorbereitungsdienstes gefährdet.

Nach Ansicht des Referendars besteht aber kein Erfahrungssatz dahingehend, dass jeder zusätzliche geldwerte Vorteil zu einer "gefährlichen" Erhöhung der "empfundenen Loyalität" dem Arbeitgeber gegenüber führe. Nicht jeder Loyalitätsgewinn zugunsten des Nebentätigkeits-Arbeitgebers müsse zudem spiegelbildlich zu einem die Ausbildungsziele gefährdenden Verpflichtungsgefühl führen. Jeder Referendar wisse um die Bedeutung der Noten in den Stationszeugnissen sowie insbesondere der Noten in der Zweiten juristischen Staatsprüfung für seine späteren Chancen auf dem juristischen Arbeitsmarkt.

Auch diese Argumentation hat den Senat nun nicht überzeugt. Zum einen könnte mit den vom Kläger angestellten Erwägungen streng genommen auf die gesamte Anrechnungsregel nach § 3 UnterhaltsbeihilfeVO verzichtet werden, da aus einer – in welcher Höhe auch immer geleisteten Vergütung – ohnehin keine "Fehlanreize" für die Ausbildung herrühren könnten. Dies dürfte aber nicht dem im Verordnungstext klar zum Ausdruck kommenden Willen des Verordnungsgebers entsprechen.

Zum anderen teilten die Richter die Einschätzung des VG, wonach es allgemeiner Lebenserfahrung entspricht, dass eine höhere Vergütung oder sonstige Geldleistungen jedenfalls tendenziell zu einer Erhöhung der Motivation und der Bereitschaft, Zeit und Arbeitskraft zu investieren, führen. Eben dies dürfe durch Lohnerhöhungen oder Zahlungen wie die Corona-Prämie bezweckt werden, die es sonst in der Praxis kaum geben würde. Daran orientiere sich die Anrechnungsregelung des § 3 Abs. 1 der UnterhaltsbeihilfeVO. Sie halte Referendare zwar nicht von jedweder Nebentätigkeit ab, vermindere aber den Anreiz, die Ausbildung zugunsten von Nebentätigkeiten zu vernachlässigen.

Keine verfassungsrechtliche Begründungspflicht für Verordnungen

Der Referendar hatte weiter gerügt, das VG sei ohne weitere Prüfung von der formellen Rechtmäßigkeit der UnterhaltsbeihilfeVO ausgegangen, obwohl es an einer Begründung insgesamt und insbesondere an einer Begründung zu § 3 UnterhaltsbeihilfeVO fehle. 

Auch dieser Umstand führt nach Ansicht des Senats jedoch nicht zu einer Unrichtigkeit des Urteils. Zwar sei es zutreffend, dass es an einer Begründung für die Verordnung fehlt und dass es in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten ist, ob Rechtsverordnungen einer verfassungsrechtlichen Begründungspflicht unterliegen. Ein solches Erfordernis lasse sich aber weder dem Grundgesetz noch der hamburgischen Verfassung ausdrücklich entnehmen. Zudem sei es problematisch, aus vergleichsweise abstrakten verfassungsrechtlichen Prinzipien wie dem Rechtsstaatsprinzip konkrete formelle Rechtspflichten bestimmter Adressaten abzuleiten. 

Hinzu komme, dass Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG bereits dafür sorgt, dass jede Rechtsverordnung jedenfalls einen "Begründungssplitter" enthält und die Verordnungsgebung zudem verwaltungsintern diszipliniert und verwaltungsextern transparent und überprüfbar macht. Das spreche aus Sicht des Senats gegen eine darüberhinausgehende, übergreifende verfassungsrechtliche Begründungspflicht für alle Rechtsverordnungen. Soweit das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung eine "Obliegenheit" des Normgebers - und keine formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung - angenommen hatte, Gesetze nachvollziehbar zu begründen (Urt. v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09), bezog sich dies auf den parlamentarischen Gesetzgeber - und nicht den Verordnungsgeber.

pab/LTO-Redaktion

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