Nach Neonazi-Krawallen verurteilter Jurist

Säch­si­sche Jura-Refe­ren­dare warnen vor ihrem Kol­legen

von Markus SehlLesedauer: 5 Minuten

Referendare kritisieren das OLG Dresden, weil die Behörde einen verurteilten Referendar nicht von der Ausbildung ausgeschlossen hat. Der Mann dürfe niemals Anwalt werden. Die Kammer wartet ab. Der DAV sieht den Rechtsstaat bewährt.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden, einen rechtskräftig wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilten Referendar nicht zu entlassen, sorgt unter seinen Referendarskollegen in Sachsen für Kritik.

Das Amtsgericht Leipzig hatte es als erwiesen angesehen, dass sich der Hobby-Kampfsportler und Referendar Brian E. im Januar 2016 an Krawallen im Leipziger Stadtteil Connewitz beteiligt hatte. Damals hatten Hunderte von Neonazis und Hooligans randaliert. Die Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und 4 Monaten wurde auch durch das Landgericht und das OLG bestätigt, und im Mai 2020 schließlich rechtskräftig.

Das OLG Dresden kam als Ausbildungsbehörde Mitte Mai dennoch zu der Entscheidung, den Referendar seine Ausbildung zum Volljuristen weiter absolvieren zu lassen.

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Kritik der Referendare an ihrer Ausbildungsbehörde

Eine fehlerhafte Entscheidung mit Folgen, bescheinigt nun eine sechsseitige Stellungnahme dem OLG. Hinter dem Schreiben sollen 234 Referendare stehen, die in Sachsen ihre Ausbildung absolvieren. Sie stellen sich damit gegen ihre Ausbildungsbehörde. 

Die hatte ihre Entscheidung zu E. vor allem mit ihrem Ausbildungsmonopol in der Justiz begründet. Die Entlassung des Referendars aus dem juristischen Vorbereitungsdienst würde bedeuten, dass er die Ausbildung zum Volljuristen nicht abschließen könne und ihm damit das Ergreifen eines juristischen Berufes auf Dauer verwehrt wäre, so das OLG. Zugunsten des Referendars falle die Berufswahlfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz (GG) deshalb besonders ins Gewicht, zumal er mit seiner Ausbildung schon weit fortgeschritten sei.

Das will die Gruppe der Referendare aber nicht als Argument zählen lassen. Die Berufsfreiheit begründe keinen Anspruch auf die Ausübung eines Wunschberufes, heißt es in dem Schreiben. E. habe bereits durch das erste Staatsexamen die Qualifikation für die Ausübung eines juristischen Berufes erhalten. Er könne als Diplomjurist einem Beruf nachgehen. Die Referendare kritisieren vor allem dass E. wohl kaum mehr für die freiheitlich demokratische Grundordnung einstehen könne. Als Anwalt, Richter oder Staatsanwalt werde man schließlich zum Organ der Rechtspflege.

Eine Sprecherin des OLG bestätigte LTO, dass die Stellungnahme der Referendare eingegangen sei. Ob die Behörde darauf antworten werde, könne man aber noch nicht sagen. 

Leipziger SPD-Jurist: "Kammern dürfen den Juristen nicht als Rechtsanwalt zulassen"

Die Stellungnahme wird auch unterstützt von der Arbeitsgruppe sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen Leipzig. Ihr Vorsitzender, Arnold Arpaci, warnte gegenüber LTO vor der Zulassung des Referendars zum Anwalt. Er forderte die Rechtsanwaltskammern in Deutschland auf, den Juristen in Zukunft nicht als Rechtsanwalt zuzulassen.

"Menschen, die durch Rassismus und Gewaltbereitschaft zeigen, dass sie unserer demokratischen Ordnung feindlich gegenüberstehen, haben kein Recht zum Volljuristen ausgebildet zu werden. Diese zum Richteramt zu befähigen, stärkt weder den Rechtsstaat noch das Vertrauen der Gesellschaft in das Rechtssystem", so Arpaci. Selbst wenn die Rechtsanwaltskammer in einem Bundesland E. die Zulassung verweigern würde, sieht Arpaci die Gefahr, dass E. in anderen Ländern sein Glück so lange versucht, bis er Erfolg hat. Seine Zulassung würde dann gleichwohl bundesweit gelten. "Natürlich haben auch Neo-Nazis ein Recht auf Verteidigung”, so Arpaci. "Aber es gibt kein Recht auf einen Neo-Nazi als Verteidiger."

Die Rechtsanwaltskammer Sachsen äußerte sich auf Anfrage von LTO nur allgemein zu den Grundsätzen des Zulassungsverfahrens. Zu dem konkreten Fall wollte die Geschäftsführerin der Kammer sich nicht äußern. Sie verwies insbesondere auf die Versagungsgründe in § 7 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Nicht zugelassen wird demnach, wer sich eines Verhaltens schuldig gemacht, welches ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. 

Liege eine strafrechtliche Verurteilung vor, so prüfe die Kammer im Einzelfall, ob darin eine Unwürdigkeit zu sehen ist. Dabei spiele die Art der Straftat, die Höhe der Strafe sowie die Zeit, die seit der Tat vergangen ist, eine Rolle, teilte die Geschäftsführerin mit.

Referendare haben die Stimmensammlung per Whatsapp organisiert

Laut Aufruf stehen 234 Referendare in Sachsen hinter der Stellungnahme, insgesamt hat Sachsen laut einer OLG-Sprecherin über 500 Referendare im Dienst. Die Namen der Unterstützer sind nicht veröffentlicht. Eine Referendarin, die die Sammlung der Stimmen ausgewertet hat, bestätigte gegenüber LTO die Zahlen. Ihren Namen möchte sie nicht in diesem Text lesen, er ist der Redaktion bekannt. Sie fürchtet sonst negative Konsequenzen für ihre Ausbildung. Überhaupt, so erzählt sie, seien viele der Referendare dagegen gewesen, ihren Namen unter die Stellungnahme zu setzen – einerseits, weil sie Konsequenzen in ihrer Ausbildung befürchteten,  andererseits aus Angst vor Reaktionen aus der Neonaziszene.

Die Stimmensammlung für die Stellungnahmen haben die Referendare nach ihren Angaben per Whatsapp organisiert. In einer Chat-Gruppe mit dem Namen "Ref-Kurssprecher" stünden derzeit 44 Kurssprecher in Kontakt. Über die Kurssprecher sei die Umfrage in den Kursen vermittelt worden. So habe man aus allen aktuellen Ausbildungsgruppen Rückmeldungen erhalten. Den Ablauf bestätigt auch ein weiterer sächsischer Ex-Referendar, der die Sammlung der Stimmen noch aus erster Hand mitbekommen hatte. Auch er will anonym bleiben, weil er für seine berufliche Zukunft sonst Konsequenzen befürchtet. Auch sein Name ist der Redaktion bekannt. 

Nicht alle Referendare hätten aber hinter der Aktion gestanden, räumt er ein. Einigen sei die Kritik an der OLG-Entscheidung zu drastisch formuliert gewesen. Auch die Referendarin sagte: "Manchen war das Schreiben vielleicht zu politisch, zu links, zu zugespitzt".

Bereits im Juli 2019 hatte sich eine Gruppe sächsischer Referendare mit einer schriftlichen Stellungnahme an ihr Ausbildungsgericht, das OLG Dresden, gewandt. Damals wiesen sie das OLG auf eine Facebookfoto hin. Es soll den Hobby-Kampfsportler Brian E. zeigen: mit geballter Faust und in Siegerpose, mit nackter Brust und einem aufwendigen Tattoo darauf. Der Verdacht: In die verwinkelten Linien sollen auch mehrere Hakenkreuze integriert sein. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren mittlerweile eingestellt.

Rückendeckung hat die Entscheidung des OLG vom Landesverband Sachsen des Deutschen Anwaltvereins (DAV) bekommen. Der Präsident des Landesverbandes, Friedbert Striewe, sagte der Leipziger Volkszeitung: "Die Grundqualität eines Rechtsstaates ist es, Konflikte nach vorher festgelegten Regeln zu behandeln, nicht nach aktuellen politischen Stimmungen". Das Gericht habe die Grundrechte sorgfältig abgewogen. Der Fall zeige, dass der Rechtsstaat funktioniere. 

Um den Rechtsstaat machen sich einige der sächsischen Referendare aber offenbar ernsthafte Sorgen.

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