Anwalt muss 90.000 Euro Schadensersatz leisten

Auch Spam-Mails müssen täglich gelesen werden

von Martin W. HuffLesedauer: 4 Minuten
Neben Betrugsversuchen und Werbung für windige Online-Apotheken, landen bisweilen auch Mails im Spam-Filter, die dort eigentlich nichts verloren haben – zum Beispiel ein fristgebundenes Vergleichsangebot. Weil ein Anwalt dieses zu spät entdeckte, hat das LG Bonn ihn zu 90.000 Euro Schadensersatz verurteilt. Martin W. Huff verblüfft das nicht: Natürlich müssten Anwälte auch ihren Spam täglich prüfen.

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Wer als Rechtsanwalt für seinen Kanzleibetrieb die elektronische Korrespondenz mit Mandanten, Gegnern und sonstigen Beteiligten mittels E-Mail ermöglicht, der muss täglich kontrollieren, ob neue, wichtige Mails eingegangen sind – auch im Spamfilter. Geschieht dies nicht, so haftet der Rechtsanwalt für Schäden, die zum Beispiel durch ein Fristversäumnis entstehen. Dies hat das Landgericht (LG) Bonn in einem kürzlich veröffentlichten Urteil entschieden (v. 10.01.2014, Az. 15 O 189/13). Für den beklagten Rechtsanwalt wird es danach teuer; er muss rund 90.000 Euro Schadensersatz an seinen früheren Mandanten zahlen. Zum Hintergrund: Der Rechtsanwalt vertrat seinen Mandanten in einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung. Der Mandant wurde in erster Instanz zur Zahlung von 208.250 Euro an ein Unternehmen verurteilt. Der Anwalt legte für seinen Mandanten Berufung ein, und beantragte zudem die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, die ihm mit dem üblichen Hinweis, dass eine weitere Verlängerung nur mit Zustimmung des Gegners erfolgen könne, gewährt wurde. Im Anschluss daran kam es zu Vergleichsgesprächen direkt zwischen den Parteien, bei denen eine weitgehende Einigung erzielt wurde. Der Mandant des Anwalts sollte im Wesentlichen 190.000 Euro zahlen und die Kosten beider Instanzen übernehmen. In einer Mail vom 23. Mai 2011 schrieb der gegnerische Rechtsanwalt den hier verklagten Kollegen an und teilte ihm die genauen Konditionen des Vergleichs mit. Dort wurde unter anderem festgelegt, dass der Betrag sofort zur Zahlung fällig sei, und dass auf weitere Forderungen verzichtet werde, wenn die Summe bis zum 31. Mai bei dem Gegner eingehe.

Vergleichsfrist um mehr als zwei Wochen versäumt

Diese Mail leitete der Anwalt nicht an seinen Mandanten weiter. Auch eine weitere Mail vom 30. Mai, in der auf die Frist hingewiesen wurde, leitete der Rechtsanwalt nicht weiter. Am 31. Mai beantragte der Anwalt ohne Zustimmung des Gegners die erneute Verlängerung der Berufsbegründungsfrist wegen laufender Vergleichsverhandlungen, die ihm aber verweigert wurde. Erst am 14. Juni erklärte der Rechtsanwalt gegenüber dem Kollegen die Annahme des Vergleichs und schlug eine Zahlungsfrist bis zum 30. Juni vor. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt, weil die Frist aus dem ursprünglichen Vergleichsvorschlag vom 23. Mai längst abgelaufen war. Daraufhin musste der Mandant des Anwalts die Summe aus dem Urteil des Landgerichts sowie die gesamten weiteren Kosten tragen. Insgesamt waren dies rund 90.000 Euro mehr, als er bei Annahme des Vergleichs hätte zahlen müssen. Diese Differenz verlangt er nun von seinem eigenen Anwalt ersetzt. Dieser berief sich insbesondere darauf, dass er die Mails des gegnerischen Kollegen nicht gesehen habe, weil diese im Spamfilter seines elektronischen Posteingangs gelandet seien. Zudem hätte er auf die weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vertrauen dürfen. Das LG Bonn hat der Schadensersatzklage in vollem Umfang stattgegeben. Denn der Rechtsanwalt habe seinen Pflichten aus dem Anwaltsvertrag schuldhaft verletzt. Er könne sich auch nicht damit entlasten, dass die Mail vom 23. Mai angeblich nicht in seinem Postfach einging, sondern durch den Spam-Filter aussortiert wurde. Zur im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt eines Anwalt gehöre es auch, seinen Spamfilter täglich zu kontrollieren. Denn der Rechtsanwalt führe die Mailadresse ausdrücklich auf seinem Briefbogen auf und eröffne damit selber diesen Kommunikationsweg. "Bei der Unterhaltung eines geschäftlichen Emailkontos mit aktiviertem Spam-Filter muss der Email-Kontoinhaber seinen Spam-Ordner täglich durchsehen um versehentlich als Werbung aussortierte Emails zurück zu holen", schreiben die Richter.

Urteil war vorhersehbar

Diese Pflicht habe der Anwalt nach seinem eigenen Vortrag nicht erfüllt, sondern erst am 30. Mai 2011 durch ein Telefonat mit dem Gegner von dem konkreten Vorschlag Kenntnis erhalten. Daher müsse er die Folgen dieses Fehlverhaltens tragen. Denn hätte er die Mail vom 23. Mai 2011 unverzüglich an seinen Mandanten weitergeleitet, so wäre es praktisch mit Sicherheit zum Abschluss des angebotenen Vergleichs gekommen. Auch das Argument des Anwalts, dass das Verfahren ja offen geblieben wäre, wenn die Berufungsbegründungsfrist, wie von ihm erwartet, erneut verlängert worden wäre, lehnt das Gericht ab. Das Gericht habe die erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an die Zustimmung des Gegners knüpfen dürfen. Insgesamt hat das Urteil für die Organisation im Anwaltsbüro erhebliche Bedeutung. Anwälte sollten am besten durch eine Organisationsanweisung an ihre Mitarbeiter klar stellen, wie die elektronische Kommunikation gehandhabt wird, wie Mails kontrolliert, wem sie vorgelegt, wem weitergeleitet und wie sie abgelegt werden. Natürlich muss auch die Kontrolle des Spam-Filters geregelt werden. Erstaunlich an dem Urteil des LG ist vor allem, dass es überhaupt zu einem Verfahren kam. Denn dass hier ein Haftungsfall gegeben ist, war eigentlich vorhersehbar. Fast fragt man sich, ob der betroffene Rechtsanwalt seine Haftpflichtversicherung (entgegen der vertraglichen Verpflichtung) nicht eingeschaltet hat, denn es scheint schwer vorstellbar, dass die erfahrenen Schadenanwälte der Versicherung es auf diesen Prozess hätten ankommen lassen. Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen. Er ist Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und hat u.a. einen Lehrauftrag für Berufsrecht an der German Graduate School of Management and Law (GGS) in Heilbronn.

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