Spielsucht und Bereicherungsrecht

Wie Du die Online-Casino-Fälle im Examen löst

von Charlotte HoppenLesedauer: 6 Minuten

Deutsche Gerichte haben illegale Online-Glücksspielanbieter bereits in zahlreichen Fällen zur Rückzahlung von Spieleinsätzen verurteilt. Die Fälle sind ein heißer Kandidat für Examensklausuren. Zeit, sie einmal durchzuexerzieren.

Schon unzählige Gerichte haben entschieden, dass Spieler ihre Verluste aus Online-Glücksspielen über das Bereicherungsrecht zurückfordern können, wenn der Veranstalter nicht über die erforderliche Lizenz verfügt, um Online-Glücksspiele in Deutschland anbieten zu dürfen. So einen Fall hatte nun auch das Landgericht (LG) Kleve zu entscheiden, in dem es um eine halbe Million Euro ging. Zeit, sich die grundsätzlichen Fragen hinter diesen Fällen einmal anzuschauen, denn sie sind mittlerweile auch Examensmaterial, so etwa schon Ende 2023 in Hamburg und Baden-Württemberg, jeweils im zweiten Staatsexamen.

Der vor dem Gericht klagende Mann hatte zwischen Juli 2012 und Oktober 2020 insgesamt 546.006 Euro auf der Website des maltesischen Glücksspielunternehmens Martingale Malta 2 verzockt. Das Unternehmen verfügte aber nie über eine deutsche Lizenz für Online-Glücksspiel. Mit anderen Worten: Es hätte nie Geld von deutschen Spielern annehmen dürfen. Deshalb waren laut LG Kleve alle Verträge zwischen dem klagendem Spieler und dem Glücksspielanbieter nichtig. Im Ergebnis bekommt der Spieler sein Geld zurück – inklusive Verzugszinsen. So hatten bereits einige Oberlandesgerichte (OLG) in ganz Deutschland entschieden, etwa das OLG Braunschweig, das OLG Hamm, das OLG Frankfurt am Main, das OLG Köln, das OLG Dresden oder auch das OLG München.

Bis Juli 2021 galt in Deutschland ein weitreichendes Verbot für Online-Glücksspiel nach § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag a. F. Auf diese Rechtslage beziehen sich auch die bisherigen Entscheidungen der deutschen Gerichte. Seit Juli 2021 gilt dagegen der neue Glücksspielstaatsvertrag, der den Online-Glücksspielmarkt liberalisierte. Zuvor gab es lediglich in Schleswig-Holstein eine Ausnahmeregelung.

Für alle Examensprüflinge exerzieren wir die Online-Glücksspiel-Fälle hier jetzt einmal durch. Sie können Euch zum Beispiel in der zivilrechtlichen Anwaltsklausur über den Weg laufen und haben – je nach Abwandlung – die folgenden wesentlichen Knackpunkte.

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Erster Knackpunkt: Nichtiger Vertrag nach § 134 BGB

Zentrale Anspruchsgrundlage in solchen Fällen ist § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), die sogenannte condictio indebiti: Etwas erlangt (+), durch Leistung (+) – aber auch ohne Rechtsgrund?

Die Gerichte sagen: Ja, denn § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag a.F. sei ein Verbotsgesetz nach § 134 BGB. Danach ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig – und damit auch der Spielvertrag, den der Spieler mit dem Casino abschließt.

Außerdem: Der Online-Casinobetreiber könne sich auch nicht auf eine Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB berufen, denn es gibt ja §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB (wer's gerade nicht im Kopf hat: schnell einmal nachblättern!).

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Zweiter Knackpunkt: Kondiktionssperre aus § 817 Satz 2 BGB

Nach § 817 S. 1 BGB ist der Empfänger (hier: das Online-Casino) einer Leistung zur Herausgabe verpflichtet, wenn er durch die Annahme der Leistung gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat. Bei Satz 1 handelt es sich um eine eigene Anspruchsgrundlage, die aber neben § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB meist keine eigene Bedeutung hat. Nach § 817 Satz 2 BGB ist die Rückforderung aber dann ausgeschlossen, wenn dem Leistenden (hier: dem Glücksspieler) gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, er selbst also auch gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat. Die Problematik um § 817 Satz 2 BGB kennt man klassischerweise aus den sogenannten Schwarzarbeiterfällen.

Zum einen gilt § 817 Satz 2 BGB für alle Leistungskondiktionen, also nicht nur für § 817 Satz 1 BGB. Aber was setzt der Ausschluss der bereicherungsrechtlichen Rückforderung inhaltlich voraus? Die Gerichte sagen: Der Leistende muss vorsätzlich verbotswidrig gehandelt haben, es reicht aber auch, wenn er leichtfertig die Augen davor verschlossen hat, dass sein Handeln verbotswidrig war. Für die Referendare: Das steht alles im Grüneberg (§ 817 Rn. 17), den wir ins Examen ja mitnehmen dürfen.

Und? Verschließt jetzt ein Glücksspieler leichtfertig die Augen vor der Verbotswidrigkeit? Das kommt ganz auf den Fall an. Insbesondere muss man sehen, dass die meisten Glücksspieler wohl juristische Laien sind, die womöglich entsprechende Hinweise in der Werbung wie "Dieses Angebot richtet sich ausschließlich an Kunden aus Schleswig-Holstein" nicht einordnen können. Außerdem muss gerade im zweiten Examen beachtet werden, dass den Bereicherungsschuldner (hier: das Online-Casino) die Darlegungs- und Beweislast für die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 817 Satz 2 BGB trifft. Oft wird es schon daran scheitern, dass das Casino dieser Darlegungslast nicht nachkommen kann, wie beispielsweise in dem Fall vor dem OLG Frankfurt am Main.

Ein zweites Rettungsseil ist für die Gerichte aber auch in Sicht: Denn es gibt ja noch das Instrument der teleologischen Reduktion. Damit wird der Anwendungsbereich einer Norm eingeschränkt. So hat unter anderem das OLG München in einem entsprechenden Fall entschieden: Man müsse hier § 817 Satz 2 BGB teleologisch reduzieren, denn ein Ausschluss der Rückforderung wäre nicht mit dem Zweck des Bereicherungsrechts vereinbar. "Dies ist der Fall, wenn – wie hier – die Rechtswidrigkeit des Geschäfts auf Vorschriften beruht, die gerade den leistenden Teil schützen sollen", hieß es in der Entscheidung des OLG München.

Dritter Knackpunkt: § 242 BGB und § 762 BGB

Das OLG Braunschweig hatte sich noch mit dem Einwand des Casinos auseinanderzusetzen, dass einem Rückforderungsanspruch § 242 BGB (Treu und Glauben) entgegenstehe. Es entschied aber: Das Casino könne sich hier nicht auf Rechtsmissbrauch ("venire contra factum proprium") berufen, denn wegen des eigenen gesetzwidrigen Handelns sei das Casino gar nicht schutzwürdig.

Zuletzt haben einige Online-Casinos noch § 762 BGB angeführt. In dessen Abs. 1 steht: "Durch Spiel oder Wette wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. Das aufgrund des Spiels oder der Wette Geleistete kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestand." Na, passt das hier? Nein, sagt zum Beispiel das OLG Braunschweig, denn verbotene bzw. nichtige Glücksspielverträge würden nicht von § 762 BGB erfasst.

Also: Die Glücksspieler bekommen ihr verlorenes Geld nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurück. Daneben können auch noch § 817 Satz 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommen.

Zocken ohne Risiko?

Heißt das jetzt, dass man ohne Ende zocken kann, ohne ein Risiko einzugehen? Denn falls ich verliere, hole ich mir mein verzocktes Geld danach einfach zurück – oder?

Ganz so einfach ist es nicht. Der Erfolg vor Gericht im Erkenntnisverfahren ist noch nicht die Endstation. Die Geldforderung muss auch noch vollstreckt werden, was bei Unternehmen mit Sitz in Malta problematisch werden kann. Zweitens ist seit 2021 ein neuer Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, sodass die hier vorgestellte Rechtsprechung nur für Verträge vor Juli 2021 gilt. Und drittens hat auch der Bundesgerichtshof (BGH) in dieser Frage noch nicht entschieden.

Eine Entscheidung des BGH zur Rückerstattung von Verlusten aus Online-Sportwetten war eigentlich längst geplant. In dem Fall forderte ein Mann seine Wettverluste von Tipico zurück, einem international tätigen Anbieter von Sportwetten und Casinospielen mit Sitz in Malta. Doch zwei Tage vor dem angesetzten Termin setzte der BGH das Verfahren aus, weil die Parteien sich nun außergerichtlich einigen wollten. Ob Tipico damit wohl eine Grundsatzentscheidung des BGH verhindern wollte?

Auch der EuGH steigt bald in die juristische Diskussion in diesen Online-Casino-Fällen ein: Ein Gericht aus Malta hatte dem EuGH verschiedene Fragen zum Verhältnis zwischen maltesischen Spielangeboten und deutschen Gesetzen im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgelegt (EuGH C-440/23). Wann eine Entscheidung verkündet wird, ist noch unklar. Zu einer Aussetzung der deutschen Verfahren führt dieses beim EuGH anhängige Verfahren, anders als sonst bei Art. 267 AEUV üblich, aber nicht, entschied nun das OLG München (Beschl. v. 06.03.2024). Der Grund: Auch ohne Urteilsspruch sei die Rechtslage in Deutschland eindeutig.

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