Litigation in der Praxis

Die Arbeit der Pro­zess­an­wälte

Gastbeitrag von Michelle SieburgLesedauer: 5 Minuten

Juristischen Problemen auf den Grund gehen, eine Prozessstrategie für die Mandanten entwickeln und diese vor Gericht verteidigen. Einblicke in das Arbeitsleben im Bereich Litigation teilt Michelle Sieburg.

Aus dem Englischen übersetzt bedeutet "Litigation" Rechtsstreit. Bei Prozessanwält:innen dreht sich also alles um die Auseinandersetzung vor Gericht, aber auch die strategische Vertretung der Mandantschaft in außergerichtlichen Streitigkeiten. Deren Vorbereitung macht den Großteil der Arbeit der Litigator aus. Dazu zählen unter anderem die Erforschung des Sachverhalts, das Verfassen von Schriftsätzen und die Suche nach geeigneten Zeugen oder Sachverständigen. Aber gehört das nicht ohnehin zum Anwaltsberuf? Was macht die Arbeit von Prozessanwält:innen also besonders? 

Litigator werden vor allem bei wirtschaftsrechtlichen Mandaten tätig. Solche Fälle werden meist schon lange bevor sie zu Problemfällen werden, anwaltlich betreut – allerdings für die Vertragsverhandlung und -gestaltung. Litigator kommen später ins Spiel, wenn sich ein Konflikt anbahnt. Dabei kann sich der Arbeitsalltag in einer auf Litigation spezialisierten Boutique teilweise stark von dem in einer Großkanzlei unterscheiden. 

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Von Automobilindustrie bis Private Equity 

Wer im Bereich Litigation arbeitet, ist mit den unterschiedlichsten Sachverhalten konfrontiert. So wird man beispielsweise mit dem Herstellungsprozess von Halbleitern vertraut, die man für die Herstellung von Microchips benötigt. Mandate können sich aber auch in der Automobilindustrie abspielen oder im Bereich Private Equity – also der wirtschaftlichen Beteiligung an Unternehmen außerhalb der Börse – erzählt Dr. Arno Riethmüller, Partner der Münchener Litigation Boutique Wach und Meckes. 

"Das gefällt mir an diesem Beruf so sehr. Er ist facettenreich, sowohl die Aufgaben als auch die Inhalte", so Riethmüller. "Um einen Sachverhalt umfassend zu verstehen, müssen wir das Unternehmen und die Industrie unserer Mandantschaft oft genau kennenlernen."

Litigation findet nicht nur vor Gericht statt 

Inhaltlich ist Litigation "im Kern klassisch juristisches Arbeiten. Wir machen das, was man im Studium schon lernt: Gutachten schreiben", weiß Patrizia Schultheiss, Senior Associate bei Wach und Meckes. 

In der Praxis kommen über das juristische Problem hinausgehende Aspekte dazu. "Anders als im Studium ist man hier mit einem 'lebendigen' Sachverhalt konfrontiert", erklärt Riethmüller. Das bedeutet nicht nur, dass der Sachverhalt inhaltlich unklar sein kann und die Litigator das tatsächliche Geschehen erforschen müssen.

Hinzu kommt, dass unternehmerische sowie zwischenmenschliche Faktoren bei der Konfliktlösung eine Rolle spielen. "Es kommt natürlich auf den Einzelfall an, aber für gewöhnlich will beispielsweise ein Unternehmer die laufenden Geschäftsbeziehungen mit seinem Lieferanten aufrechterhalten. Wir berücksichtigen das in unserer Prozessstrategie und versuchen – falls sinnvoll und möglich – eine gütliche Einigung zu erzielen", erklärt Riethmüller. Litigation endet also nicht immer in einem Gerichtsverfahren. 

Beweisfragen vor Gericht 

Geht ein Rechtsstreit doch vor Gericht, kommen Beweisfragen hinzu. Die Suche nach Zeugen oder Sachverständigen sowie die Vorbereitung der Aussagen gehören hier zu den Hauptaufgaben der Litigator.

"Wir brauchen qualitativ hochwertige Beweise, die das Gericht überzeugen", erzählt Marie Laubenstein, Principal Associate bei Freshfields in Frankfurt am Main.  "Wenn ich zum Beispiel unternehmensinterne Dokumente als Beweis nutzen möchte, diese aber wegen Betriebsgeheimnissen größtenteils geschwärzt sind, haben sie eine geringere Beweiskraft." Wichtig sei außerdem die Verständlichkeit der Beweise. "Das Gericht kann nicht immer etwas mit verflochtenen Zahlen anfangen, die ich ihm als Beweis präsentieren möchte." 

Viele Gerichtstermine gehören nicht zwingend zum Berufsbild des Litigators. "Aufgrund der Größe der Verfahren stehen bei uns Gerichtstermine eher sporadisch an, etwa einmal im Quartal – dann sind sie jedoch umso vorbereitungsintensiver", so Riethmüller.

In Massenverfahren 20 bis 30 Gerichtstermine pro Tag 

Anders sieht das bei den Teams in Großkanzleien aus, die Massenklageverfahren bearbeiten. In Freshfields Mass Claims Units etwa stehen täglich 20 bis 30 Gerichtstermine an. Im Zuge der Aufarbeitung des VW-Dieselkomplexes hatte Freshfields Ende 2021 eine spezialisierte Einheit gegründet, die ausschließlich Massenklagen bearbeitet. Hierfür hat die Kanzlei extra Büros in Hannover, Münster und Nürnberg eröffnet. Derzeit gibt es mehrere Tausend Mandate. Principal Associate Alisa Kuckeland war von Anfang an dabei und betreut heute einige Teams der Units. 

Im Fokus steht die Vorbereitung der Gerichtstermine. "Bis wann müssen welche Schriftsätze angefertigt werden? Welche übergeordnete Strategie verfolgen wir in dem Massenverfahren? Wie steuern wir das Mandat? Damit beschäftigen sich die Teams", erklärt Kuckeland. "Dabei darf man aber den Einzelfall nicht aus den Augen verlieren. Auch wenn allen ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde liegt, könnte ein Anspruch in einem bestimmten Fall zum Beispiel verjährt sein", ergänzt sie. 

LegalTech ist dabei eine große Hilfe, um die Masse an Informationen aufzubereiten, etwa bei der Datenorganisation oder der automatisierten Erstellung von Schriftsätzen.  

Gerichtstermine in ganz Deutschland 

"Die Arbeit in einer Mass Claims Unit erfordert eine gewisse Reisebereitschaft", so Kuckeland. Auch wenn ungefähr die Hälfte der Verfahren remote stattfindet, die restlichen Gerichtstermine der Units sind im gesamten Bundesgebiet verteilt. Daneben sollen Bewerber:innen ein hohes Maß an Selbstorganisation mitbringen und Spaß an eigenverantwortlicher Arbeit haben. 

"Unsere Litigator werden von Anfang an voll in die Mandatsarbeit einbezogen", berichtet Kuckeland. Man kann also schnell Erfahrung vor Gericht sammeln. Das kann auch Laubenstein so bestätigen. "Ich hatte viele Fälle und wöchentlich Gerichtstermine. Man steigt also direkt ein", erinnert sich die Anwältin an ihre Anfangszeit. Während ihrer Anwaltsstation bei Freshfields hatte sie die Möglichkeit, Kolleg:innen zu Gerichtsterminen zu begleiten und so von ihnen zu lernen. Zur Vorbereitung im Berufsalltag werden zudem Trainings, wie Gerichtssimulationen, durchgeführt. 

Für den Einstieg in Freshfields' Mass Claims Unit werden zwei mindestens befriedigende Staatsexamina vorausgesetzt. 

Kommunikationsstärke, Teamfähigkeit und Empathie 

Soft Skills spielen eine wesentliche Rolle im Bereich Litigation. Zentral sind für die Prozessführung nämlich nicht nur juristische Argumente. Wie man sich vor der Gegenseite und dem Gericht präsentiert, ob man direkt zu Beginn offensiv und angriffslustig verhandelt oder doch eine ruhige, bedachte Strategie verfolgt – das alles wirkt sich auf den Erfolg eines Rechtsstreits aus. 

"Empathie ist wichtig für einen Litigator", erklärt Riethmüller. "Es besteht ein juristisches Problem, das es zu lösen gilt. Das heißt aber nicht, dass menschliche Emotionen automatisch in den Hintergrund rücken." Des Litigators täglich Brot stellt für die Mandantschaft eine Ausnahmesituation dar, die auch noch mit finanziellen Risiken verbunden ist. Schultheiss ergänzt daher: "Es ist wichtig, auch emotional belastbar zu sein und professionell mit dem Druck umzugehen, unter dem der Mandant steht." 

Und wie lernt man das? "Unsere Partner:innen im Bereich Litigation sind lehrreiche Vorbilder. Sie nehmen die Jüngeren an die Hand und so kann man sich einiges abgucken", berichten Kuckeland und Laubenstein. "Ein guter Mentor, der die eigenen Stärken erkennt und fördert, ist wichtig", findet auch Schultheiss. Darüber hinaus vermitteln Trainings und Workshops der Kanzleien grundlegende Soft Skills. Den Großteil eignet man sich aber in der täglichen Praxis an. 

Daneben sollte man teamfähig sein, denn einen Großteil der Arbeit erledigt man zusammen mit anderen Kolleg:innen und diskutiert rechtliche Probleme. 

Auch wenn das Prozessrecht eine untergeordnete Rolle im Jurastudium spielt, gibt es Möglichkeiten, erste Erfahrungen im Bereich Litigation zu sammeln. Moot Courts, Praktika und Law Clinics – je früher man mit Fällen arbeitet, desto besser. 

Michelle Sieburg studiert Jura an der Universität Heidelberg.

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