Eine Frau sitzt entspannt und denkt nach, während sie sich auf ihre Karriere als Juristin konzentriert.
Mutter und Großkanzleianwältin in Vollzeit

"Junge Juris­tinnen sollten ihre Kar­riere nicht präv­entiv auf­geben"

Interview von Dr. Franziska Kring2025 M07 19, Lesedauer: 6 Minuten

Jennifer Limmer ist M&A-Anwältin in einer Großkanzlei – und vor 15 Monaten Mutter geworden. Im Interview erzählt sie, wie sie beides unter einen Hut bekommt und stressige Phasen bei Deals meistert.

LTO: Frau Limmer, Sie sind seit sechs Jahren Anwältin bei Sidley in München – im Bereich Private Equity/M&A. Vorher haben Sie in einer anderen Kanzlei Steuerrecht gemacht. Wieso haben Sie das Fachgebiet gewechselt?

Jennifer Limmer: Ich wollte kein drittes Examen machen und habe mich gegen die weitere Qualifikation als Steuerberaterin entschieden. Ich habe im Transaktionssteuerrecht gearbeitet und deshalb schon viel im Bereich M&A gemacht. Das Transaktionsgeschäft ist sehr vielseitig, weil wir in allen Branchen beraten. Und bei uns laufen alle Fäden zusammen. Wir sind sehr nah am Mandanten, aber auch an den Unternehmen. 

Sie sind auch Mutter einer 15 Monate alten Tochter. Nach sechs Monaten Elternzeit waren sie wieder zurück im Geschäft – in Vollzeit. Haben Sie die Arbeit so vermisst?

Wir als Eltern hatten von Anfang an den Deal, dass wir uns das erste Jahr nach der Geburt aufteilen. Ich habe das erste halbe Jahr Elternzeit genommen und mein Mann anschließend sieben Monate. Er hat auch die Eingewöhnungszeit in der Kita übernommen. In Deutschland ist das ein sehr ungewöhnliches Modell, für uns hat das aber gut funktioniert. 

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"Von Anfang an gesagt, dass ich sechs Monate Elternzeit nehme"

Welche Reaktionen haben Sie erhalten?

In der Kanzlei habe ich von Anfang an gesagt, dass ich nach sechs Monaten wiederkommen werde. Dann wurde ich schon gefragt, wie ich das organisieren werde und ob mein Kind dann mit sechs Monaten in die Kita geht. Aber ich habe auch unser Familienmodell immer sehr offen kommuniziert. Insgesamt waren die Rückmeldungen sehr positiv. Auch Mandanten haben mir gratuliert und nach meiner Rückkehr konnte ich fast nahtlos wieder anknüpfen. 

Jennifer Limmer

Und bei Ihrem Mann?

Bei ihm war es auch unproblematisch. Sein Unternehmen ist aber auch beim Thema Elternzeit sehr fortschrittlich. Dort gibt es zum Beispiel die Familienstartzeit, also Sonderurlaub für den Vater nach der Geburt des Kindes. Eine EU-Richtlinie sieht dafür zwei Wochen vor, in seinem Unternehmen gibt es vier Wochen. Bei ihm hat das intern weder zu Diskussionen noch zu Rückfragen geführt. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit. 

Der M&A-Bereich hat ja nicht unbedingt den Ruf, sehr familienfreundlich zu sein. Wie bekommen Sie beides unter einen Hut?

Dass der M&A-Bereich diesen Ruf hat, scheint nur für Mütter zu gelten. Nahezu alle Männer, die mir in unserer Branche über den Weg laufen, sind - zumindest ab einer gewissen Seniorität - Väter.

Bei mir ist das ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Komponenten. Mein Mann und ich übernehmen zu ähnlichen Anteilen Care-Arbeit, das gibt mir viel Freiraum. Außerdem haben wir das Glück, viel familiäre Unterstützung zu haben. In der Kanzlei habe ich ein fantastisches Team und Partner, die mir die nötige Flexibilität entgegenbringen und mir zu keinem Zeitpunkt vermittelt haben, es würde nicht gehen. 

"Ich verzichte auf ausgedehnte Mittagspausen"

Aber auch Ihr Tag hat nur 24 Stunden. 

Ja, und natürlich muss ich deshalb sehr effizient arbeiten und gut planen. Wenn ich neben allem anderen so viel Zeit wie möglich mit meinem Kind verbringen möchte, fallen zwangsläufig andere Dinge weg. Ich verzichte zum Beispiel auf ausgedehnte Mittagspausen und quatsche auch nur selten mit Kolleginnen und Kollegen an der Kaffeemaschine. Es ist sehr schade, dass dieser Austausch fehlt, aber alles geht eben nicht. Auch privat habe ich weniger soziale Kontakte außerhalb der Familie und ich sehe meine Freundinnen im Moment weniger, als ich es mir wünschen würde. Aber das geht den meisten jungen Eltern so. Das wird sich auch wieder ändern.

Wie kann man sich einen typischen Tag bei Ihnen vorstellen?

Ich habe eine kleine Frühaufsteherin zuhause und verbringe morgens etwa zwei bis drei Stunden mit ihr, bevor ich sie um 8:30 Uhr in die Kita bringe. Danach gehe ich direkt ins Büro. Die Mittagspause nutze ich regelmäßig für Sport. Wenn nicht gerade die totale Hochphase einer Transaktion ist, gehe ich zwischen 17 und 18 Uhr nach Hause, damit wir zusammen essen können. Um 19 Uhr bringen wir unsere Tochter ins Bett, und meistens setze ich mich danach noch an den Laptop. 

"Phasenweise sind meine Nächte sehr kurz"

Gerade in den heißen Phasen von M&A-Deals arbeiten Anwälte nicht selten bis in die Nacht. Wie funktioniert das bei Ihnen?

Die ehrliche Antwort: Phasenweise sind meine Nächte kurz bis sehr kurz. Wenig Schlaf ist für mich kein Statussymbol, aber leider oft die Konsequenz aus der Kombination aus Elternschaft und Transaktionsarbeit. Die meisten Eltern von Babys und Kleinkindern haben ein Schlafdefizit – und da wirkt sich die Transaktionsarbeit nicht mildernd aus. Man muss aber auch sagen, dass das nur Belastungsspitzen sind. In aller Regel folgt darauf wieder eine ruhigere Phase, und die nutze ich dann für mehr Familienzeit. Dann kann es aber auch vorkommen, dass ich bei der Einschlafbegleitung selbst mit einschlafe oder am Wochenende mit meiner Tochter Mittagsschlaf mache. 

Angenommen, ein Deal ist kurz vor dem Signing, aber Ihre Tochter ist krank. Wie fangen Sie das auf?

Wenn meine Tochter krank ist, braucht sie eine ihrer primären Bezugspersonen. Und da mein Mann den flexibleren Job hat, übernimmt er das mit großer Wahrscheinlichkeit – zumindest in der Signing-Phase. Das gilt aber natürlich nur für harmlose Themen wie den 25. Kita-Schnupfen des Jahres. Wenn etwas Gravierendes wäre, würde ich den Stift fallenlassen, denn meine Familie hat absolute Priorität. Dann würde mein Team in der Kanzlei meinen Ausfall auffangen. Das wurde mir bei Sidley auch nie anders vorgelebt. Im Münchner Büro sind wir 25 Anwältinnen und Anwälte, und bearbeiten Mandate ohnehin immer im Team, sodass das ohne große Friktionen funktioniert.

"Andere Länder haben nicht so eine traditionelle Rollenverteilung"

Also haben noch mehr Kolleginnen und Kollegen in Ihrem Team Kinder?

Ja, wir haben tatsächlich viele Eltern im Büro und erfreulicherweise auch einige Mütter. Mir hilft auch das internationale Umfeld sehr: Ich habe im Rahmen eines Secondments ein halbes Jahr im Sidley-Büro in Los Angeles gearbeitet. Dort habe ich viele Kolleginnen getroffen, die auch Kinder haben. In Deutschland kommt das nicht so oft vor, deshalb fand ich den Austausch mit ihnen sehr spannend. Die in weiten Teilen sehr traditionelle Rollenverteilung in Deutschland ist in anderen Ländern nicht so ausgeprägt. Die Kolleginnen dort arbeiten mit viel größerer Selbstverständlichkeit wieder in Vollzeit. Das gilt für die USA, aber auch für Städte wie Brüssel und London – da gibt es viele Vorbilder.

Was muss sich aus Ihrer Sicht in Deutschland ändern?

Vieles, aber ein Aspekt ist sicher die Aufteilung von Care-Arbeit in der Partnerschaft. In Deutschland leisten das zum größten Teil Frauen. Es gibt sehr wenige, die von diesem Modell abweichen. Über 50 Prozent aller Väter nehmen gar keine Elternzeit. Der weit überwiegende Teil der Väter, die Elternzeit nehmen, nimmt die zwei sogenannten Vätermonate parallel zu ihren Partnerinnen. Das zeigt, wie stark Care-Arbeit bei den Frauen liegt. 

"Meine Tochter ist die beste Entscheidung meines Lebens"

Ein Blick auf Ihre Karriere: Im Moment sind Sie Senior Managing Associate. Wollen Sie denn einmal Partnerin werden?

Ja, das ist das Ziel. 

Eine letzte Frage: Welche Tipps haben Sie für karriereorientierte Anwältinnen, die auch eine Familie gründen möchten?

Neben der partnerschaftlichen Aufteilung von Verantwortung finde ich es vor allem wichtig, die eigene Karriere zu planen, sich Ziele zu setzen und die auch konsequent zu verfolgen. Diese Ziele sollte man kommunizieren – in der Familie und in der Kanzlei bzw. beim Arbeitgeber. Und das sollte man auch dann tun, wenn man noch nicht sicher weiß, ob man diesen Weg bis zum Ende gehen will. Das bringt letztlich eine bessere Ausgangsposition und mehr Entscheidungsfreiheit für jeden weiteren familiären und beruflichen Schritt mit sich.  

Das Thema Work-Life-Balance spielt bei jüngeren Leuten zu Recht mittlerweile eine größere Rolle. Ich höre allerdings auch oft, dass gerade Frauen gar nicht erst in der Großkanzlei anfangen, weil sie später eine Familie gründen möchten. Ich würde mir wünschen, dass junge Juristinnen ihre Karriereplanung nicht präventiv aufgeben. Es gibt so viele Möglichkeiten, beides zu vereinbaren, egal ob in Vollzeit oder in Teilzeit. Mein Modell ist sicher nicht für jede Frau der goldene Weg, aber ein Beispiel dafür, wie es gehen kann und deshalb finde ich es wichtig, das sichtbar zu machen. 

So fordernd das Jonglieren von Kind und Job an manchen Tagen ist – meine Tochter ist mit Abstand die beste Entscheidung und die größte Bereicherung meines Lebens. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Jennifer Limmer arbeitet seit März 2019 im Bereich Private Equity/M&A bei Sidley Austin in München, seit Januar 2024 ist sie Senior Managing Associate. Vorher war sie zweieinhalb Jahre Anwältin bei Latham & Watkins im Steuerrecht.

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