Als französische Anwältin in Deutschland

"Mit­ta­gessen in Paris mit einem Glas Wein – leider nur ein Kli­schee"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Louise Freund ist seit vier Jahren Anwältin in der US-Kanzlei Sidley in München. Im Interview erzählt sie, wie sich das Arbeitsleben in Deutschland und Frankreich unterscheidet und wie sie Familie und Großkanzleijob unter einen Hut bringt.

LTO: Frau Freund, Sie sind Französin und haben nach Ihrem Jurastudium zunächst einige Jahre als Associate in einer US-Kanzlei in Paris gearbeitet. Seit gut sechs Jahren sind Sie jetzt in München. Wieso haben Sie sich dafür entschieden?

Louise Freund: Meine Entscheidung, nach München zu ziehen, hatte vor allem persönliche Gründe, denn mein Mann ist Deutscher. Ich habe aber schon immer gerne in anderen Ländern gelebt, habe mein Bachelorstudium in Kopenhagen absolviert und meinen Master in Recht und Finanzen in Oxford.

Ich war begeistert von der Idee, meine Deutschkenntnisse aus der Schule aufzufrischen und sie in einem beruflichen Kontext weiterzuentwickeln. Dadurch fühlte sich der Umzug weniger herausfordernd an als vielmehr wie eine aufregende Gelegenheit, eine Kultur wiederzuentdecken, die mir gefällt. München selbst war natürlich besonders reizvoll, weil es eine gute Mischung zwischen einem pulsierenden beruflichen Umfeld, Lebensqualität und der Nähe zur Natur bietet.

Wie war dann Ihr Berufseinstieg in Deutschland?

Tatsächlich hat alles reibungslos funktioniert und ich habe sogar schneller einen Job gefunden, als ich erwartet hatte. Ich habe einen Headhunter kontaktiert und wir haben vordergründig internationale Anwaltskanzleien ins Auge gefasst. Alle Menschen, die mir begegneten, waren sehr aufgeschlossen, und ich habe mich direkt willkommen gefühlt.

Auch fachlich konnte ich direkt einsteigen. Während meiner Zeit als Anwältin in Paris war ich bereits auf Finanzierungstransaktionen spezialisiert. Diese Kenntnisse kann ich auch in Deutschland anwenden. Die Anpassung an ein neues Rechtssystem und ein neues berufliches Umfeld kann zwar Herausforderungen mit sich bringen, aber die grundlegende Arbeitsweise ist sehr ähnlich. Da ich hauptsächlich in US-amerikanischen Kanzleien gearbeitet habe, waren mir die Berufskultur und die Arbeitsstandards bei Sidley ebenfalls schon vertraut.

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"Ich schätze die Arbeitskultur in Deutschland sehr"

Wie unterscheidet sich das Arbeitsleben in Deutschland und Frankreich? 

Erstmal würde ich gerne mit einem weit verbreiteten Klischee aufräumen: Die Vorstellung, dass Anwälte in Paris täglich ein zweistündiges Mittagessen mit einem Glas Wein genießen, könnte nicht weiter von der Realität entfernt sein. Tatsächlich verbrachten wir die Mittagspause eher am Schreibtisch als in einem Restaurant. Abgesehen davon sind die Art der Arbeit und das Tempo ähnlich. Deutschland hat sich aber seine eigene Arbeitskultur bewahrt, die Wert auf Effizienz, Teamarbeit und unkomplizierte Kommunikation legt.

In der Art und Weise, wie Menschen verhandeln, gibt es große Unterschiede. Alle Parteien einer Finanzierung müssen über mehrere Jahre hinweg eine Beziehung aufrechterhalten. In Deutschland fühlt sich der Verhandlungsprozess oft deutlich weniger konfrontativ als in Frankreich an. Man ist eher bereits, Kompromisse zu erzielen. Das schafft eine konstruktive Atmosphäre und ist deshalb meiner Meinung nach oft besser für langfristige Partnerschaften geeignet. 

Was vermissen Sie am meisten an Frankreich?

Französische Gastronomie und die Pariser Kulturszene. Aber sonst nicht viel, um ehrlich zu sein.

"In München habe ich den richtigen Ort zum Arbeiten und Leben gefunden"


Was gefällt Ihnen in Deutschland besser?

Nachdem ich in mehreren Kanzleien an verschiedenen Orten gearbeitet habe, habe ich das Gefühl, hier in München den richtigen Ort zum Arbeiten und Leben gefunden zu haben. In beruflicher Hinsicht schätze ich es sehr, Teil eines eingespielten Büros in einer großen, globalen Kanzlei zu sein. In meinem Team fühle ich mich sehr wohl, alle sind hochqualifiziert, hilfsbereit und es gibt eine Kultur der offenen Tür. Gleichzeitig kann ich mich fachlich und persönlich ständig weiterentwickeln. Zum Beispiel konnte ich bei Sidley am Programm "Built to Lead" teilnehmen, das Associates bei der Entwicklung von Management- und Führungsfähigkeiten unterstützt. Associates sollen nicht nur exzellente Anwältinnen und Anwälte sein, sondern auch Führungsqualitäten aufbauen - etwas, das meiner Meinung nach in den nächsten Jahren entscheidend sein wird, insbesondere mit der Entwicklung von KI im Bereich der Anwaltschaft.

Letztlich ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Unterschied zu meiner Tätigkeit in Frankreich, dass in Deutschland in unserem Job ein größerer Wert auf die Vereinbarkeit von Job und Familie gelegt wird. Dies zeichnet sich unter anderem durch eine starke Förderung von Frauen – insbesondere auch von Müttern – aus. Dies erlebe ich tagtäglich nicht nur durch den Support meiner Partner und Kollegen, sondern auch durch eine hohe Akzeptanz auf Seiten der Mandaten.

"Man sollte Geduld und Mut mitbringen"

Wurde Ihr französischer Abschluss in Deutschland anerkannt oder mussten Sie auch Prüfungen im deutschen Recht machen? 

Meine Qualifikation als französische Rechtsanwältin wurde in Deutschland gemäß der EU-Anwaltsrichtlinie 98/5/EG, die die ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen EU-Mitgliedstaat erleichtern soll, und dem deutschen Gesetz zur Regelung der Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) voll anerkannt. Deshalb musste ich in Deutschland keine zusätzlichen Prüfungen ablegen. So bin ich nun bei der Rechtsanwaltskammer in München als europäische Rechtsanwältin unter meiner ursprünglichen Berufsbezeichnung „Avocat à la Cour“ – also französische Rechtsanwältin – zugelassen.

Nachdem ich nun mehrere Jahre lang im deutschen Recht beraten habe und plane, meine Karriere hier fortzusetzen, möchte ich aber die Zulassung als deutsche Rechtsanwältin erlangen. Das ist nach dem EuRAG für europäische Anwältinnen und Anwälte möglich, die seit mindestens drei Jahren ununterbrochen in Deutschland tätig sind. Die Vorbereitung des Antrags ist aufwendig, aber steht definitiv ganz oben auf meiner To-do-Liste für das nächste Jahr.

Welche Tipps können Sie Anwältinnen und Anwälten geben, die aus dem EU-Ausland nach Deutschland kommen?

Man sollte sich zunächst mit den Verfahren für die Eintragung bei der örtlichen Anwaltskammer vertraut machen und sicherstellen, dass die Qualifikationen anerkannt werden.

Zweitens: Man sollte Geduld mit dem Anpassungsprozess haben. Die Anpassung an ein neues rechtliches Umfeld, insbesondere in einem anderen Land, braucht Zeit. Man sollte sich nicht entmutigen lassen, wenn die Dinge anfangs schwierig erscheinen – sei es, um das lokale Rechtssystem zu verstehen, die Sprache zu beherrschen oder sich an die Arbeitskultur zu gewöhnen. Wichtig ist es, sich proaktiv Rat von Kolleginnen und Kollegen zu holen, in die juristische Weiterbildung zu investieren und sich den Freiraum zu geben, um zu lernen und zu wachsen. Und schließlich sollte man sich über die Kanzlei informieren, bei der man sich bewerben möchte. Selbst in internationalen Kanzleien können sich die Kultur und das Arbeitsumfeld von einem Büro zum anderen erheblich unterscheiden.

"Ich schwöre auf To-Do-Listen"

Derzeit sind Sie Senior Managing Associate – und Mutter von zwei Kindern. Arbeiten Sie in Vollzeit? 

Im Moment arbeite ich in Teilzeit. Viel Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, hat für mich oberste Priorität: Ob ich sie vom Kindergarten abhole oder nachmittags mit ihnen auf den Spielplatz gehe - für mich war immer klar, dass ich in ihrem Leben präsent sein möchte. Diese Momente sind nicht nur wichtig für sie und ihre persönliche Entwicklung, sondern auch unglaublich erfüllend für mich.

Auf der anderen Seite genieße ich es auch, an unseren hochkarätigen Mandaten zu arbeiten und in der ersten Reihe zu sitzen. Aufgrund des transaktionsbezogenen Charakters meiner Tätigkeit bedeutet Teilzeit jedoch nicht, dass ich den Stift zu einer bestimmten Zeit fallen lasse und erst am nächsten Tag wieder aufnehme. Bei Transaktionen müssen Anwälte flexibel sein und schnell auf die Bedürfnisse von Mandanten reagieren.

Das klingt sehr herausfordernd. Wie bekommen Sie Familie und Beruf unter einen Hut?

Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen, kann sich in einer Großkanzlei oft wie ein Dauerlauf anfühlen. Organisation, Kommunikation und Flexibilität sind entscheidend. Ich schwöre auf To-Do-Listen – nicht nur für die Arbeit, sondern auch für Weihnachtsgeschenke oder Nachmittagsaktivitäten der Kinder. Ich versuche, anstehende Aufgaben so weit wie möglich vorherzusehen.

Genauso wichtig ist die Kommunikation, sowohl Zuhause als auch im Beruf. Ich rede mit meinem Mann, der in Vollzeit berufstätig ist, viel über Zeitpläne und Zuständigkeiten. So können wir uns abstimmen und gegenseitig unterstützen.

Auch bei der Arbeit ist eine klare Kommunikation wichtig, um das Pensum zu bewältigen und bei Bedarf Aufgaben zu delegieren. Auch die Homeoffice-Möglichkeit schätze ich sehr. Im Transaktionsbereich können sich Prioritäten und Zeitpläne schnell ändern. Durch das Homeoffice kann ich meinen beruflichen Verpflichtungen nachkommen und gleichzeitig sicherstellen, dass ich genügend Zeit für meine Familie habe.

"Einfach mal fragen, wenn man etwas möchte"

Haben Sie Tipps für andere Anwältinnen und Anwälte, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht? 

Viel hängt natürlich von dem Rechtsgebiet ab, in dem man arbeitet, und zudem hat jede Familie ihre eigenen Bedürfnisse. Aber ich finde es wichtig, für sich selbst klare Prioritäten zu setzen. Wenn man seine täglichen Aufgaben mit den langfristigen Zielen in Einklang bringt, kann man sicherstellen, dass Familie und Karriere die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. Und man sollte zwar planen, aber dennoch flexibel bleiben. Das Leben ist oft unvorhersehbar – von einem neuen Mandat, das zu einem Zeitpunkt kommt, der nicht ideal in den Terminkalender passt, bis hin zu einem kranken Kind, das mitten am Tag von der Kinderbetreuung abgeholt werden muss. 

Und, was viele sich oft nicht trauen: Einfach mal fragen, wenn man etwas möchte. Egal, ob es sich um Feedback, Mentoring, Flexibilität bei der Arbeit oder Unterstützung zu Hause handelt, man sollte sich für sich selbst einsetzen und die eigenen Bedürfnisse klar artikulieren. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen oft eher bereit sind, Ja zu sagen, als man erwarten würde. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Louise Freund ist seit Januar 2021 bei Sidley Austin in München tätig, seit Januar 2024 als Senior Managing Associate. Zuvor hat sie als Associate bei Latham & Watkins in Paris und bei Weil, Gotshal & Manges in München gearbeitet. 

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